Emmerich Blumen haben uns viel zu sagen

Emmerich · Der Katalog zur Moyländer Ausstellung "Lasst Blumen sprechen" erscheint als Buchhandelsausgabe beim Kölner Wienand-Verlag.

 "Für alle Lieben in der Welt", Jörg Immendorf, 1967.

"Für alle Lieben in der Welt", Jörg Immendorf, 1967.

Foto: Repro

Ein grobkörniges Schwarz-Weiß-Foto zeigt den Mann in seinem Element, den Oberkörper leicht vorgebeugt, stützt er sich auf die rechte, zur Faust geballten Hand. Er trägt eine Weste mit Hasenpfote, weißes Hemd und auf dem Kopf den markanten Hut. Joseph Beuys diskutiert. Doch im Vordergrund des Fotos steht eigentlich eine Blume: Eine langstielige Rose, in ein schmales Glas gestellt, steht zwischen säuberlich geordneten, eng beschriebenen Stößen von DIN-A-4 Blättern.

Die Rose war für Beuys in dieser Aktion das "sehr einfache und klare Beispiel und Bild (...) zum revolutionären Ziel", der langsam sich entfaltenden Blüte. Es ist die Rose, "die zum signifikanten Sinnbild der von Beuys angestrebten friedlichen Revolution steht", schreibt die Direktorin von Museum Schloss Moyland, Dr. Bettina Paust, im Katalog zur Ausstellung "Lasst Blumen sprechen". "Sein Ziel war die Wiederversöhnung der ökonomisch dominierten Industriegesellschaft mit ihrer Lebensgrundlage, der Natur", so Paust. Er habe für einen heilenden Umgang mit der Natur plädiert. Damit sei er zum Wegbereiter für eine Künstlergeneration geworden, die sich seit den 1990er Jahren kritisch mit dem Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt auseinandersetzt.

Diese Generation Künstler nach Beuys sowie die Zeitgenossen des Schamanen vom Niederrhein hat Pausts Stellvertreter Dr. Alexander Grönert jetzt zu einer sehenswerten Schau zusammengestellt, die dieses ganze Spektrum umfasst. Das reicht vom Willen, die ganze "Eleganz und Schönheit" zu zeigen, wie der US-Amerikaner Alex Katz es formuliert, bis zur Versuchsanordnung mit Feldbeobachtung, wo künstlerischer Prozess und Forschungsbericht miteinander verwachsen, wie bei Alexandra Toland. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen, der beredt über Blumen erzählt, über Blumen und künstliche Natur, wie es im Untertitel heißt. Moyland verließ sich auf die Zusammenarbeit mit dem Kölner Wienand-Verlag, der das spannende Thema somit über die Zeit der Ausstellung rettet und einlädt, sich neben den prächtigen Bildern mit den Texten auseinanderzusetzen. "Die Kunst zur Blume entsteht auch methodisch neu im Rahmen der Bioart, der Arbeit mit Bakterien und lebenden Organismen, sowie in Auseinandersetzung mit der Wissenschaft der urbanen Ökologie", wirbt Wienand.

Grönert zeigt die Geschichte der Kunst mit Blumen von 1960 bis in die Gegenwart auf. Eine Kunst, die sich auch mit Gentechnik auseinandersetzt - so wie Eduardo Kac, der eine gentechnisch veränderte Petunie geschaffen habe, die mit Genen des Künstlers gekreuzt ist, so Grönert. Oder Chiara Lecca, die aus tierischen Dingen und Kunststoffen feinste Blumenbouquets schafft. Alle Werke sind in gut gedruckten, teils aufklappbaren Bildern zu sehen, jedes Kapitel wird mit einem großen Bild angekündigt - so wie das große grobkörnige Foto bei Pausts Bericht zum revolutionär Beuys.

Grundlegend diskutiert Prof. Gernot Böhme die Haltung des Menschen gegenüber der Blume, erzählt von dessen Unzufriedenheit mit diesem Geschenk der Natur, das der Mensch als Gärtner einerseits weiterentwickeln will, dem er aber andererseits immer wieder staunend gegenüber steht. Und dem er - wie Böhme dankenswerter weise zitiert - wunderbare Gedichtzeilen widmete (die animieren, mal wieder zu Büchern mit Lyrik zu greifen).

Texte von sieben Autoren hat Grönert in dem Band zusammengefügt, ohne dass das Ganze zu textlastig wirkt. Es entsteht eine spannende Spannweite. Zumal Alexandra Tolands Text im Katalog direkt mit ihrem Kunstwerk korrespondiert. Grönert holte auch die Naturwissenschaften ins Boot, wie den Humboldtianer Prof. Jens Gebauer. Der Vizepräsident der Hochschule-Rhein-Waal verweist auf Darwins Aussage: "Alles was gegen die Natur ist, hat auf Dauer keinen Bestand". Gebauer erinnert den Menschen daran, dass er auch eine sorgende Aufgabe der Natur gegenüber hat. In diesem Sinne greift er den Titel der Ausstellung auf und verkehrt ihn über die Ausstellung hinausblickend in eine Aufforderung: Nicht allein "Lasst Blumen sprechen", sondern: "Lassen wir Blumen sprechen, sie haben uns viel zu sagen!"

"Lasst Blumen sprechen! Blumen und künstliche Natur seit 1960". Wienand-Verlag, 214 Seiten. 34 Euro (29 Euro in der Ausstellung), ISBN 978-3-86832-337-5.

(RP)
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