Emmerich Deutschland, wo und wie es zuhause ist

Emmerich · Im Museum Goch ist die Ausstellung "Home stories" von Fabian Seyd eröffnet worden. Der Berliner untersucht das häusliche Umfeld der Deutschen. Bearbeitete Fotografien, Gemälde und Skulpturen sind zu sehen.

 Die Bilder, die Fabian Seyd allesamt auf Flohmärkten zusammengesucht hat, fallen auf den zweiten Blick durch die Verfremdungen auf. So hat keine der dargestellten Figuren ein Gesicht.

Die Bilder, die Fabian Seyd allesamt auf Flohmärkten zusammengesucht hat, fallen auf den zweiten Blick durch die Verfremdungen auf. So hat keine der dargestellten Figuren ein Gesicht.

Foto: Klaus-Dieter Stade

Home stories steht auf den Fußmatten, die in den Türen der beiden Ausstellungsräume liegen. Soll man sich daran tatsächlich die Schuhe säubern, das Heimatgefühl, das sich gleich einstellen wird, buchstäblich "mit Füßen treten"?

 Über das Internet hat der Künstler alte Teppiche erworben, um sein öffentliches Zuhause auszustatten.

Über das Internet hat der Künstler alte Teppiche erworben, um sein öffentliches Zuhause auszustatten.

Foto: Stade Klaus-Dieter

Das zu entscheiden stellt Fabian Seyd den Besuchern seiner aktuellen Ausstellung im Museum Goch anheim. Man kann auch einen großen Schritt über den kleinen Vorleger machen, um sich anschließend mit diversen Textilien konfrontiert zu sehen: Über das Internet hat der Künstler alte Teppiche in vielen Mustern und Farben günstig erworben, um sein öffentliches Zuhause auszustatten. Gerahmte Fotografien an den Wänden und inhaltlich an sie angelehnte Gemälde machen gemeinsam mit einem 60-er-Jahre-Schrank in "Gelsenkirchener Barock" ein irritierend vertrautes Heim.

Fabian Seyd wurde 1979 im damaligen Osten von Berlin geboren, ging in Treptow zur Schule, wurde an der Kunsthochschule nicht aufgenommen. "Dann hab' ich erstmal ein paar Semester Literatur studiert, war aber nichts für mich, weswegen ich verschiedenste Jobs annahm und nebenbei malte", erzählt Seyd. Mit Glück fand er 2007 einen Galeristen und ein Atelier. "Seit damals läuft's irgendwie." In ganz Deutschland waren seine Wohnzimmer-Werke schon zu sehen, die Galerie Börgmann in Mönchengladbach (früher in Kevelaer-Twisteden) hat ihn unter Vertrag. In Goch ist der 37-Jährige erstmals zu sehen.

Fabian Seyd untersucht das häusliche Umfeld. "Die Geborgenheit und gleichzeitig die Enge des Wohnraums eröffnen das zentrale Spannungsfeld: Vielschichtige zwischenmenschliche Beziehungen prägen und werden geprägt von diesem konventionalisierten architektonischen Rahmen", schreibt Museumsmitarbeiterin Jasmin Schöne in ihrer Beschreibung. Naturalistisch ist seine Malerei, allerdings durch Abstraktionen aufgebrochen. Der Betrachter glaubt, hier und dort schon gewesen zu sein, erinnert sich an die Kaffeekränzchen seiner Kindheit, an das Aufgestellt werden mit der Schultüte, an den gebannten Blick hin zum Fernseher, der Neuerwerbung fürs Wohnzimmer. An den Gemälden ebenso wie auf sämtlichen Fotos, die sich Seyd übrigens auf Flohmärkten zusammengesucht hat, fallen auf den zweiten Blick die Verfremdungen auf. Keine der dargestellten Figuren hat ein Gesicht; ohne Augen, Wangenknochen, Nase sind sie nur austauschbare Figuren. Sie sind jeder von uns, quasi Reflexionsflächen des trauten Heims, das wir alle so oder so ähnlich kennen.

Auch dreidimensionale Collagen hat der Künstler mitgebracht, weniger beklemmend als die Fotos und Gemälde, denn in ihnen spielt Seyd mit verschiedenen Möglichkeiten von Licht und Tiefe, wodurch die Begrenztheit, die der Rahmen vorgibt, aufgehoben scheint. Die gemalten Bilder hingegen lassen eine Enge spürbar werden, die hinter der oberflächlichen Gemütlichkeit lauert. "Heimelige Wärme schlägt schnell um in Beklemmung, die Freude des familiären Beisammenseins scheint aufgeladen mit latenten Erwartungshaltungen eines komplexen sozialen Geflechts", meint Jasmin Schöne. Die Frau, die in Kittelschürze und 60-er-Jahre-Wasserwelle von hinten beim Blick in den Spiegel zu sehen ist, nimmt anderes wahr als der Betrachter. Was ist echt: Die Umgebung, die Menschen, sind sie Typen, austauschbar, nur relevant in dem, was wir in ihnen sehen?

Ergänzend gibt es auch noch Skulpturen, bestehend aus umgedrehten Blumenbänken mit dörflichen Szenerien oben drauf. "Kolonien" nennt sie der Künstler und der hat (als Großstädter) seine Freude daran, auf der Zugfahrt nach Goch ganz ähnliche Mikrokosmen gesehen zu haben: Kirchturm, ein paar Häuser, Gärtchen. Immer wieder ähnlich, egal, auf welches piefige Podest sie gehoben werden.

VON ANJA SETTNIK

(RP)
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