Emmerich Die Deutschen zählen komisch

Emmerich · Lilia Abrantes hat eine Eisdiele an der Steinstraße. Ihre Geschichte ist spannend, ihr Blick auf die Sprache ebenfalls.

 Lilia Abrantes aus Venezuela betreibt eine kleine Eisdiele an der Steinstraße.

Lilia Abrantes aus Venezuela betreibt eine kleine Eisdiele an der Steinstraße.

Foto: Markus van Offern

Lilia Abrantes ist ein gutes Beispiel gelungener Integration. Die gebürtige Portugiesin lebte bis zu ihrem 13. Lebensjahr bei den Großeltern und verließ 1984 ihr Heimatland, um zu den Eltern nach Venezuela zu ziehen. Acht Jahre später nahm sie die Einladung ihrer Tante nach Rees an, da sie sich in Deutschland bessere Arbeitsperspektiven ausrechnete.

Zunächst half sie der Tante zwei Jahre lang in deren Eissalon am Markt. "Mir war die deutsche Sprache vollkommen fremd, nur die Zahlen zum Kassieren lernte ich auswendig", erinnert sie sich. Im Oktober 1995 hörte sie von Bekannten, dass das Käsewerk Raadts Mitarbeiter in der Produktion sucht. Sie erschien zu ihrem ersten Arbeitstag superpünktlich und wunderte sich sehr, dass sie an der Pforte die Einzige war. Es war ein Rosenmontag und Lilia erfuhr am nächsten Tag, dass an einem solchen Tag nicht gearbeitet wird.

In den nächsten 20 Jahren war sie sowohl im Tages- als auch Schichtdienst beschäftigt und stieg bis zur Abteilungsleiterin auf. Das Glück war ihr während dieser Jahre hold, indem sie in Margret Schneiders aus Haffen-Mehr eine geduldige Arbeitskollegin fand, von der sie die Umgangssprache erlernte und mit der sie bis heute eine intensive Freundschaft verbindet. Als Voraussetzung zur Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit erwarb sie nach entsprechender professioneller Schulung 2008 das Zertifikat des "Deutschen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge" mit der Glanznote "1".

Besonders schwierig findet sie nach wie vor die Artikel-Zuordnung: "Warum sind zum Beispiel Flüsse mal männlich, mal weiblich?" fragt sie. "Und warum sagt man 'einundzwanzig' und nicht 'zwanzigeins' (twenty one)?" Sie kenne keine Sprache, in der das so ist wie in Deutschland, sagt die sprachbegabte Frau, die Portugiesisch, Spanisch und Englisch beherrscht und durch ihren Mann auch etwas türkisch spricht.

Sie lernte Metin vor 23 Jahren kennen und lieben. "Die erste Zeit war sehr schwer, denn wir hatten praktisch nichts", erinnert sie sich. In einer Einzimmerwohnung in Rees habe man gelernt, zu improvisieren. "Gerade diese Zeit hat uns beide fest zusammen geschweißt", weiß sie und ist gleichzeitig stolz auf das inzwischen Erreichte: ein eigenes Haus am Melatenweg, Verwandte und Freunde in der Nähe. Ihre Sprachbegabung kommt ihr heute sehr zu Gute, denn sie führt einen Eis-Kiosk an der Steinstraße, direkt gegenüber dem Rathaus. Dieser erfreut sich bei zunehmend internationalem Publikum größter Beliebtheit. Eine bunte Fahne sowie die Gebäudebeschriftung "Lilli's ice cream to go" laden von März bis Oktober täglich von elf bis 21 Uhr und bei jedem Wetter zu vielen Eis- Spezialitäten ein.

Emmerich und Rees empfindet das strebsame Paar längst als seine neue Heimat. Jeweils im Winter besuchen sie ihre Verwandten und Freunde in Portugal und der Türkei.

(woh)
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