Emmerich "Ein falscher Schritt - und das war's"

Emmerich · In der JVA Geldern leben 680 Gefangene in je acht Quadratmeter großen Zellen. Diebe, Mörder, Betrüger - die harten Jungs und die, die zum ersten Mal einsitzen. Der Fernseher ist ihr Tor nach draußen. Ein Besuch im Knast.

Der Tag, an dem die schwere Tür zum ersten Mal ins Schloss fiel, war der schlimmste. Markus* hat ihn drei Mal erlebt. Erst in Duisburg, dann in Hagen und jetzt in Geldern. Seitdem hat er es schwer mit Türen. Schließt eine plötzlich und laut, erschreckt er. Sieht er ein Schloss, fühlt er sich unwohl. Für ihn ist die verschlossene Tür mit dem düsteren Versprechen verbunden: Hier kommst du so schnell nicht mehr raus.

Hier, das ist die Justizvollzugsanstalt Geldern. Hinter den sechs Meter hohen Mauern unweit des Niersufers leben knapp 680 Gefangene. Diebe, Mörder, Betrüger und Sexualstraftäter, die harten Jungs und die, die zum ersten Mal sitzen - sie alle leben und arbeiten hier auf engstem Raum zusammen, warten darauf, dass der Knast sie eines Tages wieder in die Freiheit, nach draußen, entlässt. Das Land NRW gibt jährlich 23 Millionen Euro für die JVA Geldern aus. Um die Menschen draußen vor weiteren Straftaten zu schützen, aber auch um die Gefangenen zurück auf den rechten Weg zu bringen. Sozialarbeiter, Geistliche, Ausbilder und Sicherheitsbeamte arbeiten jeden Tag daran, sie auf ein Leben nach der Haft vorzubereiten. Nicht immer gelingt das. "Wir haben dazu keine genauen Daten, aber klar ist: Wer in der Haft Arbeit hat, kommt danach besser zurecht", sagt Karl Schwers, Leiter der JVA.

Markus sitzt in seiner Zelle im Block A. Es ist kurz nach 12 Uhr. Das Mittagessen - Kartoffeln, ein Rest Putenkäse in Soße - schiebt er zur Seite. "War gut heute, aber ich bin fertig", sagt Markus. Hinter ihm hängt ein Poster, das eine nackte Frau zeigt. Von der Zellentür starren ihn der kubanische Revolutionär Che Guevara und der US-Rapper Tupac Shakur an. In dem knapp acht Quadratmeter großen Raum ist es warm. Nur durch ein vergittertes Fenster in der Ecke kommt frische Luft rein. Auf den Bildern an der Wand über dem Tisch lächeln Angehörige und die wenigen Freunde, die noch da sind. "Die Kumpels, die ständig sagen, dass sie immer für dich da sind, sind die ersten, die sich nicht mehr melden", sagt der junge Mann. Markus hat einen schweren Raubüberfall verübt. Darüber reden will er nicht, auch weil er fürchtet, erkannt zu werden. "Mir geht es nur darum, alles wieder hinzukriegen", sagt er. Im nächsten Jahr kommt der Tag X. Dann darf Markus nach Hause. Er hofft, dass es dann das letzte Mal war.

Ein paar Zellen weiter lebt Denis*. Noch fünf Wochen muss er es in der JVA Geldern aushalten. Denis ist wegen Urkundenfälschung hier. "Natürlich war das dumm", sagt er. Auch seine Wand gleicht einem Poesiealbum. Er zeigt auf eines der Bilder. Es ist seine Tochter. "Papa im Knast, das ist natürlich nicht so schön für meine Kleine zu Hause." Fast schon minimalistisch hat er die Zelle mit den wenigen Möbeln, die das Gefängnis stellt, eingerichtet. Der Tisch ist bis auf ein paar Briefe leer. "Uns bleibt ja kaum etwas anderes übrig, als die alte Kultur des Briefeschreibens wieder aufleben zu lassen", sagt Denis und lacht. Auf dem Bildschirm läuft gerade das RTL-Mittagsjournal. "Der Fernseher ist das wichtigste Gerät, das wir haben", sagt er. "Einer der wenigen Blicke nach draußen". Hinter der Wand piept es. "Ach, das ist von Sascha", sagt Denis. Und tatsächlich: Den Gang runter hält ein Gefangener zwei Wellensittiche. "Eigentlich gestatten wir das mittlerweile aus hygienischen Gründen nicht mehr", sagt Schwers. "In diesem speziellen Fall machen wir eine Ausnahme, weil der Gefangene die Vögel schon seit langer Zeit besitzt."

Was die Häftlinge besitzen dürfen, ist genau geregelt. "Computer, Handys, Alkohol und Drogen sind bei uns streng verboten", sagt Schwers. Duschen ist nur zu bestimmten Zeiten erlaubt, am Wochenende gar nicht und für eine Stunde am Nachmittag kann im Hof etwas frische Luft geschnappt werden. Einmal die Woche, wenn die Gefangenen bei der Arbeit sind, kontrollieren die JVA-Mitarbeiter die Zellen und suchen nach Waffen, Alkohol und Drogen. "Ein beliebtes Versteck ist der Fernseh-Receiver", sagt ein Mitarbeiter auf dem Gang. Wer erwischt wird, muss mit einem Disziplinarverfahren rechnen, im schlimmsten Fall sogar mit Arrest. "Ein falscher Schritt hier und das war's", sagt Markus. "Aber jeder weiß , dass irgendwer im Knast immer Drogen hat."

Nach der Mittagspause geht es zurück zur Arbeit. Im Gefängnis herrscht Arbeitspflicht, jeder muss irgendwas tun. Markus und Denis machen eine Ausbildung. Die bietet die JVA jedem an, der qualifiziert genug und nicht gewaltbereit ist. Aus 13 verschiedenen Berufen haben sich die beiden für den Zerspanungsmechaniker entschieden. "Ich wollte nichts machen, wo ich mir den Rücken kaputt maloche", sagt Markus. Zudem sei der Job draußen gut bezahlt und von den Betrieben gesucht. Als Dreher steht er jeden Morgen ab halb sieben an der Drehmaschine und formt aus Metallstücken Gewinde und Zahnräder - allerdings nur zur Übung. Verkauft werden die Stücke nicht. "Wir vermitteln nur Techniken, keine Aufträge", sagt Ausbilder Bennek vom TÜV Nord. , Für die Unternehmen sei die Arbeit im Knast zu fehleranfällig.

Nicht jeder in der JVA kann eine Ausbildung beginnen. Wer nur ein paar Monate sitzt, muss etwa in der Küche oder beim Putzen helfen. So wie Jens, der im Trakt C lebt. Zwischen Johannes-Evangelium und einer kleinen Pflanze bewahrt der Mann, der einst beim Internetbetrug erwischt wurde, Fotos vom toten Bruder auf. "Schöne Erinnerungen, aber sie tun auch weh", sagt er. "Draußen bin ich damals jeden Sonntag in die Kirche gegangen." Im seinem Kalender hat er den Tag der Entlassung mit einem fetten roten Kringel markiert.

An jedem zweiten Mittwoch im Monat kommen die Einkäufe für die Gefangenen. "Von dem Geld, das ich verdiene, zahlt man mir knapp 130 Euro aus, der Rest wandert auf mein Anstaltskonto", sagt er. Darauf sparen die Häftlinge für die Zeit nach dem Knast. Das Übrige darf in der JVA ausgegeben werden: für Schokolade, Chips, Brötchen oder Frikadellen. Markus und Denis gehören zu den sieben Insassen der JVA, denen regelmäßig ein paar Stunden Ausgang erlaubt wird. "Wir wählen die Häftlinge, die dafür in Frage kommen, sorgfältig aus", sagt Schwers. Der Tag, an dem er zum ersten Mal vorne durchs Tor ging, war hart für Denis. "Die vielen Lichter, der Lärm, das hat mich alles überfordert und ich wollte einfach meine Ruhe." "Ich habe Leute kennengelernt, die abends froh waren, wieder in ihrer Zelle zu liegen", erzählt auch Markus. Im nächsten Jahr werden sie sich daran gewöhnen müssen. Dann werden sie entlassen. Wenn dann die schwere Tür erneut zufällt, werden sie auf der anderen Seite stehen.

* Namen von der Redaktion geändert.

(RP)
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