Emmerich "Fungarden": Sechs Akten Schicksale

Emmerich · Die angeklagten Bordell-Betreiber haben über die Frauen in ihren Etablissements genauestens Buch geführt.

Razzia in Bordellen in Emmerich
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Es klingt zunächst einmal unspektakulär, wenn der Vorsitzende Richter der 9. Großen Strafkammer des Landgerichts Kleve, Christian Henckel, hinter sich greift, einen Aktenordner hervorholt und sagt: "Ich habe hier den Ordner mit der Beschriftung 'Personal (Mädchen) 2010'. Darin sind enthalten die Originale der Gewerbeanmeldungen und Kopien von Identitätspapieren."

Tag zwei im "Fungarden"-Prozess in der Klever Schwanenburg gegen die Bordellbetreiber Esed D. (53) und Olga G. (40) wegen Menschenhandels, Einschleusung, Steuerhinterziehung, Vorenthalten von Arbeitsentgelten und Urkundenfälschung. Die Kammer wühlte sich durch Akten und andere Dokumente, und die Zuschauer beschlich möglicherweise das Gefühl, dass die Ordnungsliebe der beiden Angeklagten in diesem Fall nicht gerade ein Vorteil für die Verteidigung ist. Es sind insgesamt sechs Aktenordner, die als Beweismittel dienen. Sie sind beschriftet mit Titeln wie "Fun Garden Personal 2010", "Mitarbeiter aktuell" oder "Ex-Mitarbeiter". Reihenweise werden Frauen aufgelistet, die Elzbieta, Felicia, Ramona, Lenka oder Kunka heißen und die von Bulgarien, Ungarn, Rumänien, Litauen oder Estland nach Emmerich gekommen sind oder herbeigeschafft wurden, um in dem Bordell an der Tackenweide Liebesdienste zu verrichten. Das Aktenstudium zeigte, dass der Schrecken auch hinter Klarsichtfolien lauern kann: Es waren — genau genommen — sechs Aktenordner Schicksale. Die dunkle Seite dessen, was der "Fun Garden" in seiner Eigenwerbung als "über 500 Quadratmeter für die totale sexuelle Freiheit" anpries.

Als das Gericht verschiedene Internet-Auftritte des Emmericher Bordells in Augenschein nahm, fielen Formulierungen auf, die klingen, als hätte ein Fachmann den Stift geführt. Demnach seien die Frauen "selbstständig tätig" und handelten bei ihrer Arbeit im Fun Garden "nicht weisungsgebunden".

Staatsanwalt Hendrik Timmer hakte zu einer solchen, von einer Frau unterschriebenen Erklärung nach: "Haben sich bei den Akten auch Übersetzungen gefunden?" Die gab es nicht, und so stellt sich die Frage, ob die osteuropäischen Prostituierten überhaupt wussten, was sie da unterschrieben. Die Masse an Gewerbeanmeldungen und weiteren Dokumenten in den Ordnern wirft noch grundsätzlichere Fragen auf: Wenn die Damen alle selbstständig tätig waren, warum finden sich dann sämtliche Unterlagen zu ihrer Geschäftstätigkeit im Büro des Bordells?

Staunen lässt auch die Arbeit des Emmericher Gewerbeamtes: Offenbar eskortierte Olga G. im raschen Rhythmus immer neue Frauen in die Stadtverwaltung und erledigte dort gemeinsam mit ihnen den Behördenkram, indem sie sie wahlweise als Tänzerinnen, Hostessen oder Masseurinnen anmeldete. Glaubten die Mitarbeiter der Stadtverwaltung allen Ernstes, dass in Emmerich so viel getanzt wird?

Jedenfalls lockte der Fun Garden im Internet damit, dass immer neue "Top-Girls aus aller Welt" selbst den anspruchsvollsten Gast verwöhnten und das Lokal ein "Geheimtipp für Geschäftsbesprechungen der angenehmen und erfolgreichen Art" sei.

Ein Schwerpunkt des Verfahrens sind die möglichen Steuervergehen der beiden Betreiber. Gegen einen Steuerfachangestellten wird parallel wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung ermittelt. Am Freitag erklärte jener Steuerfachangestellte sich damit einverstanden, dass seine Aussage aus seinem eigenen Prozess im Verfahren gegen die Bordellbetreiber verwertet werden dürfen.

(dau)
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