Rees Günther Netzer in der Textilabteilung

Rees · Erwin Roos, Jahrgang 1931, führt über Reeser Geschichte und Geschichten seit vielen Jahren Buch. Gemeinsam mit der RP erinnert sich der Ehrenmajor des Tambourcorps Rees an die Geschichte des Einzelhandels und den ersten Supermarkt in der Stadt.

Rees: Günther Netzer in der Textilabteilung
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Viele Einzelhändler sorgten sich um die Zukunft ihrer Geschäfte, als in den späten 1960er Jahren der erste Reeser Supermarkt eröffnete: Der IB-Kauf fand eine Heimat in der stillgelegten Tabak- und Pfeifenfabrik Dobbelmann, gegenüber vom Friedhof, dort wo heute Rewe, Kik, Aldi und der dazugehörige Parkplatz sind. Herr Reinkens, der Eigentümer der Fabrik, hatte die Verkaufshalle zur Verfügung gestellt und war selbst Teilhaber vom IB-Kauf.

Die Sorge der Einzelhändler war zunächst unberechtigt: Einerseits hatte der kleine Supermarkt nur ein überschaubares Angebot, andererseits führte die Einweihung der Reeser Rheinbrücke am 20. Dezember 1967 dazu, dass viele neue Kunden von der linken Rheinseite nach Rees kamen. Davon profitierten alle Händler in der Stadt.

Rees: Günther Netzer in der Textilabteilung
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In den frühen 70er Jahren vergrößerte IB-Kauf sein Angebot und seine Verkaufsfläche. Der Eingang wurde von der Emmericher Straße Richtung Westring verlegt. Dort gab es mehr Parkplätze. Die Eröffnung des neuen Trakts wurde musikalisch vom Emmericher Blasorchester und vom Tambourcops Rees begleitet. Derweil gaben in der Textilabteilung die Fußballer Günter Netzer, Herbert Laumen und Herbert "Hacki" Wimmer von Borussia Mönchengladbach Autogramme. Die Nachfrage war so groß, dass der Tisch, an dem die Kicker saßen, zusammenbrach.

Im Juli 1971 begann der Reeser Erwin Roos für den IB-Kauf zu arbeiten. Zuvor war er 20 Jahre in Düsseldorf tätig gewesen und täglich gependelt. "Im Wechsel mit dem Marktleiter wurde mir wöchentlich der Frühdienst aufgetragen, der um 7 Uhr begann", sagt Erwin Roos. "Zu dieser Zeit wurden die Frischwaren angeliefert. An Tagen, an denen der Umsatz besonders gut war und die Kassiererinnen Rekordeinnahmen verzeichneten, begleitete ich abends den Kassenleiter zur Bank, um das Geld möglichst schnell in Sicherheit zu wissen."

Das war vor allem an langen Samstagen der Fall, besonders in der Adventszeit. "In dieser dunklen Jahreszeit saß uns die Angst im Nacken, wenn wir das viele Geld zur Bank bringen mussten. Da waren wir stets dankbar, wenn uns eine Zivilstreife der Polizei begleitete, bis die Geldbombe in Sicherheit war. Wir waren für die Geldbotendienste zwar extra versichert, aber was hätte uns das genützt, wenn uns jemand abgeknallt hätte?"

Nach mehreren Jahren wurde der IB-Kauf in Allkauf umbenannt. Die die Teilhaber schlossen sich dem Allkauf Mönchengladbach an, um noch günstiger an Ware zu kommen. Dennoch blieb die Reeser Allkauf-Gruppe selbständig und expandierte weiter: nach Rhede, Moers, Coesfeld und Nettetal.

Bereits 1966 hatte in der ehemaligen Steinfabrik am Westring die Selbego einen Großhandel eröffnet. Dieser Markt bot der Gastronomie und dem Einzelhandel Großgebinde zum Weiterverkauf. 1978 brannte die Selbego bis auf die Grundmauern ab. Da das Feuer am späten Abend und nachts wütete, wurde niemand verletzt. Als Brandursache wurde ein technischer Defekt ermittelt. Die Geschäftsleitung erwarb in der Nähe der Rheinbrücke ein Grundstück und baute am Grüttweg neu. Dort befindet sich heute Real.

Der Großbrand in der Selbego warf die Frage auf, wie sicher eigentlich der Allkauf war. Um die strengen Brandschutzauflagen erfüllen zu können, hätten die Eigentümer viel Geld investieren müssen.

"In den alten Verkaufshallen war praktisch kein Brandschutz vorhanden, es fehlte nicht nur die vorgeschriebene Sprinkleranlage", sagt Erwin Roos. Alle Versuche, die Mitarbeiter und die Kunden besser zu schützen, reichten den Behörden nicht aus. Sogar zwei Feuerwehrleute waren im Einsatz, die ständig durch den Verkaufsraum patrouillierten.

Eine zusätzliche Stahltreppe sollte als Notausgang dienen. Doch schon bald beschlossen die Sachverständigen: Der Allkauf muss schließen! Nun griff ein Notfallplan, der schon länger in der Schublade gelegen hatte. Die Selbego wurde aufgegeben, der Allkauf übernahm im Frühjahr 1980 die Immobilie am Grüttweg.

Es dauerte nicht lang, bis andere Supermärkte und Discounter die Grundstücke nahe der City übernahmen. "Als sich dann noch weitere Discounter in der näheren Umgebung ansiedelten, wurde die Luft für die kleinen Geschäfte dünner", meint Erwin Roos. "Die Sorge, die der Einzelhandel in den 60er Jahren hatte, wurde nun Realität. Umso mehr freue ich mich darüber, dass wir in unserer Innenstadt noch immer viele Bäckereien, Metzgereien und andere familiengeführte Geschäften haben."

Zusammengefasst von Michael Scholten

(RP)
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