Emmerich Irak: Terror belastet Emmericher Yezidin

Emmerich · Beruflich ist sie in Sachen Integration unterwegs - als Mitarbeiterin des Weezer "Wellenbrechers". In der Heimat ihrer Eltern verschleppen und ermorden IS-Kämpfer Andersgläubige. Die Yezidin Bahriye Altun aus Emmerich leidet mit.

Emmerich: Irak: Terror belastet Emmericher Yezidin
Foto: Evers, Gottfried (eve)

Sie ist am Niederrhein geboren, hat deutsche Schulen besucht, mit deutschen Freunden gespielt, ihren Abschluss an der Hochschule in Nimwegen gemacht. Die 36-Jährige ist Integrationsbeauftragte der Gemeinde Weeze und auch auf der Internetseite des Kreises Kleve als Musterbeispiel gelungener Völkerverständigung präsent.

 In einem Kinderatlas aus der Bibliothek des "Wellenbrechers" zeigt Bahriye Altun, wo die Kurdengebiete liegen, um deren Bewohner sie sich sorgt. Bei der Demonstration der Yeziden kürzlich in Kleve war die Emmericherin, die in Weeze arbeitet, auch dabei.

In einem Kinderatlas aus der Bibliothek des "Wellenbrechers" zeigt Bahriye Altun, wo die Kurdengebiete liegen, um deren Bewohner sie sich sorgt. Bei der Demonstration der Yeziden kürzlich in Kleve war die Emmericherin, die in Weeze arbeitet, auch dabei.

Foto: Settnik, Evers (Archiv)

Doch derzeit spürt die Emmericherin, die seit 2007 im Weezer "Wellenbrecher" arbeitet, ihre ausländischen Wurzeln so stark wie kaum jemals zuvor: Bahriye Altun ist Yezidin und leidet mit ihren verfolgten Glaubensgenossen im Nordirak mit. "Es gibt bei uns zu Hause seit Wochen kein anderes Thema mehr", sagt die berufstätige Mutter zweier Kinder. Mit ihren Eltern, ihrem Ehemann und vielen Freunden verfolgt sie Tag für Tag die Nachrichten aus der Region, die ihr persönlich nie Heimat war, aber doch zu ihrem Leben gehört.

Yezide wird man durch Geburt in eine yezidische Familie. Und die Familien sind groß. "Früher waren zehn Kinder keine Seltenheit. In dem Dorf, aus dem mein Vater stammt, habe ich viele Verwandte. Andere Familienmitglieder sind vor Jahren nach Syrien oder auch in den Irak gezogen. Manche von ihnen kenne ich, weil sie uns früher besucht haben. Oder ich weiß zumindest, wer ihr Cousin, Großcousin, Onkel oder der Dorfälteste ist."

Angehörige einer religiösen Minderheit zu sein - daran ist Bahriye seit Kindertagen gewöhnt. Als Kurdin schon und erst recht als nicht-muslimische Yezidin.

"Hier in Deutschland spielt das kaum eine Rolle. Ich habe meine Jugend mit muslimischen, yezidischen und christlichen Freunden verbracht, die Frauen haben zusammen gekocht, das war kein Problem. Wir alle wollen doch ein funktionierendes Miteinander und möchten in Frieden leben!"

Doch in der alten Heimat, in der ihre Eltern noch groß wurden, bevor sie als Gastarbeiter nach Deutschland kamen, waren die Yeziden schon immer unterdrückt und bedroht. Seit die IS-Kämpfer im Nordirak Andersgläubige verschleppen und ermorden, ist die Ruhe auch in Deutschland dahin. "Kurdische Fernsehsender zeigen unfassbare Bilder, wir wissen von hingerichteten Menschen, von systematischen Vergewaltigungen und verdurstenden Kindern."

Gerade das Schicksal der Frauen und Kinder setzt Bahriye Altun, die im "Wellenbrecher" mit Migrantinnen arbeitet, zu. "Ständig erreichen mich grauenhafte Nachrichten, wir bekommen Hilferufe von Verwandten, organisieren Spendensammlungen."

Mehrere Familienmitglieder sind bereits mit Nahrungsmitteln und Kleidung ins türkisch-irakische Grenzgebiet gefahren, um vor Ort zu helfen.

Im Kreis Kleve leben zahlreiche Yeziden, und mit vielen von ihnen steht Bahriye Altun im Kontakt. Bei der Demonstration kürzlich in Kleve haben sie die deutsche Politik aufgerufen, nicht wegzuschauen. "Das ist für uns jetzt eine ganz schwere Zeit - auch für unsere Kinder, die die Verzweiflung mitkriegen, aber nicht verstehen können, um was es geht."

Die Emmericherin ist sehr frei aufgewachsen, trug nie Kopftuch, durfte studieren und eine selbstbewusste moderne Frau werden. Religion und Tradition betrafen lange Zeit ihren Alltag kaum. Plötzlich steckt sie, zumindest emotional, mitten drin im von ihr so genannten Völkermord an ihren Glaubensbrüdern und -schwestern.

Sie vergisst auch nicht, auf die verfolgten Christen in Syrien und dem Irak hinzuweisen - die Dschihadisten verschonen keinen Andersgläubigen. "Auch viele meiner muslimischen Bekannten sind entsetzt und grenzen sich von den Extremisten ab. Sie sagen: ,Diese Gewalt hat doch nichts mit unserem Glauben zu tun.'"

(RP)
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