Emmerich Lila Mädels und der fliegende Kessel

Emmerich · Im Juni war RP-Mitarbeiterin Monika Hartjes bereits auf dem Jakobsweg. Nun ging sie das letzte Stück bis Santiago de Compostela.

DE COMPOSTELA Eigentlich ist das Ziel des Jakobsweges die Kathedrale in Santiago de Compostela, wo im 9. Jahrhundert das Grab des Heiligen Jakobus entdeckt wurde. Viele Pilger meinen aber, dass das Ziel in Finisterre - übersetzt "Ende der Erde" - im Westen Galiciens liegt, wie der Kilometerstein 0,00 beweist. Bei dieser Reise war ich an beiden Standorten.

Am 25. August ging es los in "0 Cebreira", der Ort liegt 1300 Meter hoch. Die erste Wanderstrecke nach Triacastela, bei der es zwei Pässe zu bewältigen galt, betrug 21,5 Kilometer. Am zweiten Tag ging es weiter ins gut 20 Kilometer entfernte Sarria, danach nach Portomarin. Auf dieser Etappe zeigt Galicien seinen ländlichen Charakter. Nach drei Tagen liefen die Beine fast automatisch, doch die 30 Kilometer bis nach St. Xulian mit einer Überwindung von rund 300 Höhenkilometern, die hatten es in sich. Unterwegs trafen wir auf verbrannte Waldgebiete. Da stand der Duft der Eukalyptuswälder im positiven Gegensatz. Müde übernachtete ich in einer Herberge mit 18 Betten in einem Zimmer - Schnarchgeräusche, knarrende Betten und andere nächtliche Störungen inbegriffen. Die Strecke am nächsten Tag brachte mich an den Rand der Kräfte: 30 Kilometer bis Arzua in strömendem Regen. Doch aufgeben gibt es nicht, schließlich bekommt man die "Compostela" - die Pilgerurkunde - nur, wenn man die letzten 100 Kilometer bis Santiago läuft.

Am sechsten Tag waren es nur 18 Kilometer, am siebten sollte es endlich nach Santiago gehen. Eigentlich leichte 25 Kilometer, doch der "Monte Gozo", der "Berg der Freude", stellte eine Herausforderung dar. Die Strapazen vergisst man beim Betreten der Kathedrale. Die Sicherheitsvorkehrungen aus Angst vor Anschlägen sind dort streng: In die Kathedrale dürfen keine Rücksäcke mitgenommen werden, es findet eine Taschenkontrolle statt, auf dem großen Platz stehen bewaffnete Polizisten. Ich hatte aber Glück: In der Messe wurde der über 50 Kilogramm schwere Weihrauchkessel geschwenkt, weil eine Priesterdelegation aus Chile da war. Ein wahres Schauspiel, wie sieben Männer an Seilen den Kessel in Schwung brachten, der in einem Radius von 70 Metern durch die Kirchenhalle "fliegt".

Es sind die Menschen, denen man unterwegs begegnet, die für die besonderen Erlebnisse sorgen. Da war die 74-jährige Ursula aus Düsseldorf, die recht munter unterwegs war. Als sie hörte, dass ich aus Emmerich komme, erzählte sie: "Da war doch die Schokoladenfabrik Lohmann. Mein verstorbener Mann kam aus Hüthum und der sagte immer den Spruch: 'Lila ist Mode, lila ist chic, lila die Mädels von Lohmanns Fabrik'. Weil die Frauen bei der Arbeit lila Kittel trugen." Oder Erika aus Köln, die in Sibirien geboren ist und ihren 65. Geburtstag auf dem Camino feierte. Sie war Landesmeisterin im Bogenschießen in Tadschikistan, bevor sie vor 25 Jahren mit zwei Kindern und zwei Koffern nach Deutschland kam. Walter aus Hannover gab interessante Tipps für den Weg, ging er den kompletten Jakobsweg von St. Jean-Pied-de-Port bis Santiago - 780 Kilometer - bereits zum neunten Mal. Auf einer zwei Meter langen Tapetenrolle sammelte er die Stempel der Herbergen und Kirchen unterwegs. Lynn aus Kalifornien - "mit ein bisschen Cherokee in sich" - traf ich in Finisterre, wo sie beim Sonnenuntergang am Leuchtturm indianische Weisen auf der Flöte spielte. Das ging unter die Haut.

Man kann günstig auf dem Jakobsweg leben, Übernachtungen gibt es ab 6 Euro, Pilgermenüs mit Vor- und Hauptspeise, Dessert, Wein und Brot ab 8 Euro. Und manchmal ist die Verpflegung umsonst. So setzt das Fünf-Sterne-Hotel Parador, 1499 als Pilgerherberge gegründet, die Tradition fort, Pilger kostenlos zu verpflegen. Da ich an dem Tag zu den ersten zehn Pilgern gehörte, die ihre Compostela im Pilgerbüro abholten, bekam ich einen Gutschein. Mit Australiern, Österreichern, Amerikaner und einer Russin genoss ich das kostenlose Mahl: Gemüsesuppe, Tunfischpastete, Eisbein mit Bratkartoffeln, Reispudding, Weiß- und Rotwein, Brot und Wasser. Nach 160 Kilometern auf dem Camino eine tolle Belohnung. Doch das Beste: Diesmal plagten mich keine Blasen an den Füßen.

(RP)
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