Kommentar Nummer neun bei Tante Lieschen

Emmerich · Waren diese Leute niemals auf einem Empfang mit dem zigsten Redner? Haben die Münsteraner Richter niemals die Langeweile gespürt, wenn jeder sich berufen fühlt, etwas zu sagen? Und wieso sollen viele Miniparteien im Emmericher Ratssaal eigentlich ein Fortschritt sein?

Wenn es für den Deutschen Bundestag eine Fünf-Prozent-Hürde gibt, warum soll sie dann für kommunale Parlamente nicht auch gelten? Nicht einmal eine 2,5-Prozent-Hürde haben die Richter des NRW-Verfassungsgerichtshof in Münster unserem Bundeslang zugestanden. Mit dem Hinweis, dass der Nachweis nicht erbracht worden sei, dass eine Vielzahl von Parteien in einem Stadtrat dessen Arbeit erschwerten oder gar behinderten.

Und so feiern die kleinen Parteien diesen Richterspruch natürlich als Sieg der Demokratie, ebenfalls sind einige Kommentatoren der Meinung, dass die Vielfalt in der Politik ganz wichtig sei.

Ich vermute, dass diese Menschen noch nie einer Sitzung des Emmericher Rates oder seiner Ausschüsse beigewohnt haben.

Sieben Parteien sind im Emmericher Stadtrat bereits jetzt vertreten. Sie haben sich zu sechs Fraktionen zusammengeschlossen. Möglich geworden ist diese hohe Zahl durch den Wegfall jeglicher Prozenthürden bei der jüngsten Kommunalwahl im Jahr 2014. Da reichte es beispielsweise für die Linken zu einem Sitz im Rat, weil 181 Menschen in der 30.000-Einwohner-Stadt dieser Partei ihre Stimme gegeben hatten.

Nun kann man der Meinung sein, dass das doch ausreichend genug sei.

Und vermutlich wird der eine oder andere Mahner einwenden, dass gerade der Wegfall einer solchen Hürde die Menschen doch dazu animieren mag, sich politisch und gesellschaftlich zu engagieren. Eben weil auch kleinste Parteien oder politische Interessengruppen vor Ort mitbestimmen können.

Dem lässt sich entgegen halten, dass es bereits heute eine Vielzahl von Möglichkeiten dazu gibt, dies aber dennoch nichts daran geändert hat, dass bei der Kommunalwahl 2014 die Wahlbeteiligung bei 43 Prozent lag.

Ebenso bedeutet die Vielfalt von Meinungen nicht zwangsläufig auch die Zunahme von Erkenntnis.

Wenn also im Jahr 2020 die Zahl der Parteien im Emmericher Rat von sieben auf zum Beispiel neun ansteigt (was denkbar ist), würde ich gerne einen Münsteraner Richter nach Emmerich zur Haushaltsverabschiedung einladen.

Das ist nämlich der Tag, an dem die Fraktionsvorsitzenden im Rat in einer langen Rede zur finanziellen Lage der Stadt sprechen. Verknüpft wird das Ganze traditionell mit einer grundsätzlichen Standortbestimmung der jeweiligen Parteien. Die Reden umfassen meistens mehrere Seiten - je nach Mentalität des jeweilig Vortragenden.

Neun Reden zum Emmericher Haushalt...

Ich stelle mir gerade vor, wie auf Tante Lieschens 80. Geburtstag der neunte Gratulant vor versammelter Festgemeinde seine Redemanuskript aus der Tasche zieht und die Seiten 1 bis 10 noch einmal durchsortiert...

Wetten, dass spätestens dann ein Teil der Gäste Harndrang vortäuscht, ein großes Glas Sekt ordert oder einfach ein Gespräch mit dem Nebenmann beginnt?

Alkohol gibt es im Ratsaal natürlich nicht. Mit dem Nebenmann oder der Nebenfrau schwätzen Kommunalpolitiker meistens auch nicht. Aber zuhören bei Nummer neun? Das kann wirklich niemand verlangen.

(RP)
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