Emmerich Seemannslieder für die Seele

Emmerich · Türchen Nummer 6: Der Shantychor Vynen entstand, weil man einem Seemannsfreund ein Ständchen singen wollte. Heute geht es der Gruppe vor allem um eines: den Spaß an der Musik.

Emmerich: Seemannslieder für die Seele
Foto: Milena Reimann

Erst mal ein Schnäppeken. Wilfried Strahmann nimmt eine Flasche süßen Kräuterlikör aus dem kleinen Kühlschrank und füllt die hölzernen Pinnchen der Chormitglieder - auf jedem Gefäß ist der Name eingraviert. Die Stimmbänder müssen gut geölt sein, scherzen die Herren vom Shantychor Vynen. Hier in der Alten Schule treffen sie sich jeden Montagabend um halb sieben. Doch schon eine halbe Stunde vorher ist es rappelvoll in dem ehemaligen Klassenzimmer mit dem blauen Gummiboden und den hölzernen Schultischen. Die Mitglieder kommen gerne früher, zum Umarmen, zum Händeschütteln, zum Quatschen. Einfach, weil es miteinander so schön ist.

Der Shantychor nimmt das mit dem Singen nicht ganz so ernst, das merkt man schnell. Und doch klingt es ziemlich gut, wenn der Chor mit seinen Seemannsliedern loslegt. Einsingen? Pustekuchen. Es geht gleich in die Vollen. "Dann schmettern wir mal einen", sagt Strahmann, der Vorsitzende des Chors. Als erstes ein Ständchen: Katja, die eines der Akkordeons spielt, hat Geburtstag. Als der Chor mit kräftiger Stimme "Happy birthday, liebe Katja, happy birthday to you" anstimmt, will man gleich mitschunkeln. "Katja hat auch was in die Kasse gelegt", raunt jemand nach dem Lied durchs Zimmer. Kurzer Jubel, die nächste Flasche Schnaps ist gesichert.

Wer im Shantychor mitsingen will, muss zwei Dinge erfüllen: Erstens, ein Mann sein, denn Frauen dürfen hier nur an den Instrumenten mitmusizieren. Eine Ausnahme ist Chorleiterin Edith Maas, die jedes Mal leise mitsingt, wenn sie den Chor dirigiert. Zweitens muss jedes Chormitglied auch in den Schifferverein eintreten. "Den wollen wir nicht kaputtgehen lassen", erklärt Strahmann. Denn gewissermaßen hat der Chor seinen Ursprung in eben jenem Schifferverein. Über 16 Jahre ist es her, dass aus einer fixen Idee der Shantychor Vynen wurde. 2001, zur Goldhochzeit von "unsrer Inge und unsrem Werner", der damals Vorsitzender des Schiffervereins war, wollte man etwas Besonderes schenken. Weil der Jubilar mit seinem Schiff zwar schon ganz Europa gesehen hatte, aber nie die deutsche Küste, wollte man das Paar für eine Woche an die Nordsee schicken. "Wir dachten, es wäre blöd, nur einen Zettel zu übergeben", sagt Strahmann. Also kam die Idee auf, ein Ständchen zu singen. Aus dem Ständchen wurden schnell sechs Seemannslieder, die die Freunde auf der Goldhochzeit vortrugen. Als das Paar erkannte, dass es sich bei dem Chor um ihre Freunde handelte, hatten sie Tränen in den Augen, erzählt Chorleiterin Maas.

"Der Auftritt damals war eine Katastrophe im Vergleich zu heute", sagt sie lachend. Die Chorleiterin war es , die die Truppe in den Jahren danach fit für die Bühnen der Region machte. "Ich bin da so reingerutscht", sagt sie. Als die Männer bei ihr im Haus für den Hochzeitsauftritt übten, sagte sie ihnen: Das hört sich nicht an. Und schon war sie Chorleiterin. Weil der Freundeskreis nun Spaß am Singen gefunden hatte, traf man sich fortan in einem zur Kneipe ausgebauten Keller eines Mitglieds. Als immer mehr Leute dazustießen - heute zählt der Chor 34 aktive Mitglieder - zog die Gruppe in die Alte Schule um.

Dort sitzen sie nun jeden Montag ganz entspannt im Kreis an den Schultischen und singen. Vor ihnen liegen dicke Aktenordner, in denen die Liedtexte gesammelt sind. "Machen wa' die 13!", sagt jemand. "Die 13?", hallt es durch den Raum. "Ja, die 13." Und dann singen sie Seemannslieder, in denen sich so herrlich die Sehnsucht nach der wohlbekannten Heimat und zugleich nach der Freiheit des weiten Meeres vereint. In der Pause reicht jemand eine große grüne Plastikschüssel mit Schokoriegeln rum. Singen, Schnaps und Süßigkeiten. Und Seemannslieder für die Seele.

Inzwischen absolviert die Truppe rund 35 Auftritte im Jahr, von Firmenfeiern über Schiffsweihen bis hin zu Weihnachtskonzerten. Auch den Hochzeitsjubiläen sind sie treu geblieben. Die Einnahmen spenden sie zum Großteil an Projekte in der Region oder machen Chorausflüge mit ihren Frauen. Von Xanten bis Duisburg und von Kranenburg bis Moers sind sie schon aufgetreten. Einmal, erzählt Wilfried Strahlmann, kam sogar eine Anfrage aus Mainz. Doch der Chor lehnte ab: "Wir alten Stömpkes, wir bleiben lieber am Niederrhein", sagt er.

Auf den Facebookseiten unserer Redaktionen vom Niederrhein finden Sie im Rahmen unseres Adventskalenders ein

(mre)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort