Merve Heynen, Holger Kohn und Walter Heicks So verschieden kann Azubi-Suche sein

Emmerich · Die Firma Spectro aus Kleve kann eigentlich nicht klagen in Sachen Azubis. 100 Bewerber kamen auf zwei Industriekaufleute-Stellen. Walter Heicks von der Bäckerei Heicks und Teutenberg dagegen hat noch acht Ausbildungsplätze zu vergeben.

 Bäcker Walter Heicks im Gespräch mit Merve Heynen (kaufmännische Ausbildungsleiterin) und Holger Kohn (Personalleiter) von der Firma Spectro (von links). Bei Spectro sind alle Lehrstellen besetzt, in der Backstube gibt es hingegen noch einige freie Plätze. Im Interview sprechen die drei über die Gründe für die unterschiedliche Situation.

Bäcker Walter Heicks im Gespräch mit Merve Heynen (kaufmännische Ausbildungsleiterin) und Holger Kohn (Personalleiter) von der Firma Spectro (von links). Bei Spectro sind alle Lehrstellen besetzt, in der Backstube gibt es hingegen noch einige freie Plätze. Im Interview sprechen die drei über die Gründe für die unterschiedliche Situation.

Foto: Gottfried Evers

Das neue Ausbildungsjahr hat letzte Woche begonnen. Wie sieht es bei Ihnen aus. Frau Heynen, wie viele neue Azubis hat Spectro eingestellt?

Merve Heynen Bei uns startet das Ausbildungsjahr am 1. September. Den Vertrag unterschrieben haben schon alle, zwei Industriekaufleute, zwei Physiklaboranten und drei Elektroniker für Geräte/Systeme.

Und bei Ihnen, Herr Heicks? Ist die Backstube voll seit dem 3. August?

Walter Heicks Leider nicht. Inzwischen sind es sogar nur noch sieben. Eine Kandidatin ist spontan abgesprungen, weil sie doch lieber weiter zur Schule gehen will. Obwohl sie den Vertrag schon vor neun Monaten unterschrieben hat.

Gibt es denn schon einen Nachfolger auf die Stelle?

Heicks Schön wär's. Wir bekommen eigentlich keine Bewerbungen mehr, wir müssen selbst auf die jungen Leute zugehen. Im Augenblick ist noch eine Ausbildung in der Konditorei offen, und wir könnten auch noch sechs bis sieben Bäckereifachverkäufer-Azubis gebrauchen.

HOLGER KOHN In den technischen Ausbildungsberufen haben wir auch unsere Schwierigkeiten, weil der Bekanntheitsgrad einfach noch zu gering ist.

Liegt das bei Ihnen auch an der Unbekanntheit? Schließlich gibt es die Berufe ja nicht erst seit gestern.

Heicks Eben. Ich glaube, die jungen Leute haben einfach ganz falsche Vorstellungen vom Handwerk. Sie kennen ihre Möglichkeiten nicht.

Welche gibt es denn?

Heicks Allein die Zukunftsperspektive. Bäcker werden gesucht, und sie verdienen vermutlich bald mehr als Akademiker.

HEYNEN Viele denken nicht langfristig, sondern wollen es einfach bequem haben.

Das heißt?

Heynen Wir hatten zum Beispiel 100 Bewerber für zwei Industriekaufleute-Stellen. Dieser Ansturm nimmt auch nach der Lehre sicher nicht ab. HEICKS Natürlich muss man in der Backstube nachts arbeiten. Dann gibt es aber auch Nachtzuschlag, teilweise sogar steuerfrei.

Wie hoch ist denn das Einstiegsgehalt bei Ihnen?

heicks Ein Bäckergeselle verdient 2022 Euro.

Und bei Spectro?

Heynen 2075 Euro. Für alle nach der Ausbildung.

HEICKS Mit bis zu 50 Prozent Nachtzuschlag können wir da ganz gut mithalten.

Wenn das Gehalt nicht das Problem ist, wo liegt es dann?

Heicks Die familiären Verhältnisse haben sich geändert.

HEYNEN Richtig. Eltern erwarten heute von ihren Kindern, dass sie einen Job suchen, der viel Geld einbringt. Und das Thema Schule spielt eine Rolle. Die Unterrichtsinhalte passen oft nicht zum bevorstehenden Berufsleben.

KOHN Dafür sind aber andere Eigenschaften ausgeprägter. Wie der Umgang mit Computern. Und jeder spricht Englisch.

Welche Erwartungen stellen Sie denn sonst noch an ihre Auszubildenden?

Heynen Wir stellen bei den Elektronikern gute Hauptschulabsolventen ein, die die Fachoberschulreife mitbringen. Vorausgesetzt, sie bestehen den Einstellungstest.

HEICKS Einen Einstellungstest hatten wir auch mal. Aber wenn keiner kommt...

Wenn sie die Wahl hätten, Herr Heicks, was sollte der Traum-Bewerber mitbringen, damit er bei Ihnen anfangen darf?

Heicks Ich würde gerne einen Abiturienten einstellen, keine Frage. Aber mir reicht auch der Hauptschulabschluss. Ein bisschen Rechnen und Schreiben sollten die Jugendlichen können, den Dreisatz vielleicht.

Hatten Sie denn schon immer solche Schwierigkeiten, qualifizierten und und vor allem motivierten Nachwuchs zu finden?

Heicks Es ist noch gar nicht so lange her, da hatten wir ganz viele Bewerbungen. Und dann, nichts mehr...

Herr Kohn, haben Sie einen Tipp, wie Herr Heicks an Nachwuchs kommen könnte?

Kohn Werbung. Wir kooperieren mit zwei Schulen, laden immer Klassen zu Betriebsbesichtigungen ein, sind in den sozialen Netzwerken aktiv und machen bei der Klever Nacht der Ausbildung mit. HEICKS Daran haben wir auch teilgenommen und dort sogar einen Azubi gefunden, der gerade bei uns angefangen hat.

Haben Sie eine Idee, warum Herr Heicks so händeringend nach Kräften sucht?

Kohn Vermutlich hat das Bäckerhandwerk ein anderes Klientel als wir bei Spectro.

Sie meinen, die Art der Bewerber und der Unterlagen, die bei Ihnen eingehen?

Kohn Genau.

Wie sehen die Bewerbungen denn bei Ihnen aus, Herr Kohn?

Kohn Eigentlich immer sehr gut.

HEYNEN Und wir haben bisher noch nie einen Ausbildungsabbrecher gehabt. Klar gibt es den ein oder anderen mal, der ins Grübeln kommt... Aber das ist doch normal.

HEICKS Ich dagegen muss hoffen, dass alle sieben bleiben.

Wenn Sie mal eine Bewerbung bekommen, können Sie damit etwas anfangen?

Heicks Die Kandidaten sind ganz oft nicht vermittelbar. Ich möchte nicht jemanden einstellen, der 100 unentschuldigte Fehlstunden hat.

Es liegt also an der Jugend...

Heicks Verstehen Sie mich nicht falsch. Die Auszubildenden, die wir haben, sind toll. Der Zusammenhalt in der Belegschaft ist riesig. Es ist einfach nur schwer, motivierten Nachwuchs zu finden. HEYNEN Das ist bei uns ganz ähnlich. Die Jugend ist toll, alle helfen, wenn wir zum Beispiel nach Feierabend Events haben, die Azubis kratzen Waffeleisen aus und integrieren sich prima ins Team.

Das heißt, für Spectro kann alles so bleiben, wie es ist?

Kohn Jein. Ich glaube, dass sich in der Politik etwas tun muss. Ständig werden die Hauptschulen niedergeredet, dabei gibt es so viele Möglichkeiten, trotz oder gerade mit Hauptschulabschluss Karriere in der Wirtschaft zu machen.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, Herr Heicks, wie sähe der aus?

Heicks Mehr junge Menschen, die einen spannenden und kreativen Beruf lernen wollen.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE NICOLE SCHARFETTER.

(RP)
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