Lokalsport Der Lauf des Lebens

Niederrhein · Der Klever Gerd Mölders ist der einzige Leichtathlet aus dem Kreis, der bei den Olympischen Spielen gestartet ist. Die Sportart bestimmt sein Leben noch heute. Was sich geändert hat, ist die Einstellung zu Leistung und Ergebnissen.

Lokalsport: Der Lauf des Lebens
Foto: Evers Gottfried

An einem kalten Dienstagabend steht Gerd Mölders im Klever Forstgarten. Es sind ein paar Grad über Null. Es ist neblig. Die Lampen am Rand der Wege helfen kaum, die Laufstrecke zu beleuchten. Mölders trägt einen Trainingsanzug, Turnschuhe und Mütze. Vor ihm stehen knapp 20 Läufer des LV Marathon Kleve. Es ist das erste Training in der Woche, drei Einheiten folgen noch. Mölders erzählt, was heute auf dem Programm steht: "Drei Kilometer Einlaufen, dann Intervalltraining. 200, 300, 400 Meter und wieder rückwärts. Davon fünf Serien." Die Gruppe trabt locker an. Während der kurzen Intervall-Distanzen korrigiert der Trainer bei einigen Sportlern den Laufstil oder er kommentiert die Zeiten. Gerd Mölders ist jetzt 75 Jahre alt und in seinem ganzen Leben ging es immer nur ums Laufen. Die Sportart hat ihn nie losgelassen. Doch gibt er zu: "Ich trabe nur noch sporadisch ein bisschen. Mir fehlt mittlerweile die Motivation."

Eben diese Motivation trieb ihn jahrzehntelang an, sie hat aus seiner Sicht heute kaum einer mehr. Er hat eine Zeit lang gebraucht, bis er erkannt und akzeptiert hat, dass Leistung in der Leichtathletik mittlerweile eine untergeordnete Rolle spielt. "Heute sind Jogger unterwegs. Das ist besser, als sich nicht zu bewegen. Aber hart trainieren, um auf einer anderen Ebene vorne mitzulaufen, das ist vorbei."

Auch wenn der Blick zurück meistens ein verklärter ist, so lässt sich diese Meinung in der Leichtathletik anhand von nackten Zahlen belegen. 1986 lief Mölders als 42-Jähriger einen Marathon-Kreisrekord in Berlin. Nach 2:24,51 Stunden hatte er die 42,195 Kilometer bewältigt. Ein Beleg für ihn: "Die Leistungsbereitschaft nimmt ständig ab. Es kann mir keiner erzählen, dass im Kreis niemand geboren wurde, der einen 30 Jahre alten Rekord knacken kann."

Für den gebürtigen Keppelner haben sich die Strapazen gelohnt. Mit seinen Geschichten fasziniert er seine Zuhörer immer noch. Etwa mit jener von seinem größten Wettkampf. Die "eiserne Lunge", wie Mölders auch genannt wird, war dort, wo alle Sportler hin wollen. Im Alter von 26 Jahren startete er 1968 bei den Olympischen Spielen in Mexiko über 3000 Meter Hindernis. "Ich brauchte Hürden und Wassergraben, nur Runden zu drehen, war mir zu langweilig." Es war ein langer Weg bis er in Mexiko auf der Bahn stand, denn zuvor mussten Zeiten abgeliefert werden. "Für die Spiele wurde nur gemeldet, wer die 3000 Hindernis zweimal unter 8:40 Minuten lief", erinnert er sich.

Als er die Norm zum ersten Mal unterbot, führte er für kurze Zeit die Weltjahresbestenliste an. Er lief die Quali ein zweites Mal und war bei Olympia dabei. Doch so hart der Klever auch war, nach dem Vorlauf waren für ihn die Spiele beendet. Mölders wurde Fünfter, die ersten Vier kamen weiter. Der Grund: "Das Stadion lag 2400 Meter über dem Meeresspiegel. Das machte alle zu schaffen, die das nicht gewohnt waren. Europäer hatten da keine Chance. Da wurden die Jungs reihenweise von der Bahn getragen, weil sie sich in eine Sauerstoffschuld liefen und umkippten." In Mexiko siegte Amos Biwott aus Kenia in 8:51 Minuten. Eine Zeit, die Mölders im Flachland problemlos unterboten hätte. Ein Jahr später bei den Weltspielen in Helsinki ließ der Klever den Olympiasieger hinter sich.

Mölders erlebte bei den Spielen zwei Ereignisse, die in die Leichtathletik-Geschichte eingingen. Er erzählt mit Glanz in den Augen: "Bob Beamon flog an mir vorbei, und ich sah, wie die 8,90 Meter auf der Anzeigetafel aufleuchteten. Die habe ich sofort fotografiert." Die Leistung des Amerikaners galt als der Sprung ins 21. Jahrhundert. Er stellte einen Weltrekord im Weitsprung auf, der 23 Jahre Bestand hatte. Eine Revolution sah der Klever im Hochsprung. Als Erster überquerte Dick Fosbury die Latte rückwärts. Nach ihm wurde der Fosbury-Flop benannt. Der beste Sprungstil, den es gibt.

Gerd Mölders erhielt für seine Titel und guten Zeiten nicht nur Ruhm, sondern auch Geld. "Man musste im A-Kader sein. Dann gab es 600 Mark Sportförderung. Damals ein ordentlicher Zuschuss." Einen Ausrüstervertrag mit dem Sportartikelhersteller Adidas hatte er ebenfalls. "Eigentlich bekamen wir nur Klamotten", sagt er. Durch eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit seinem Laufpartner Rolf Burscheid, der ebenfalls Kaderathlet war, verdiente sich Mölders gelegentlich etwas dazu. "Der Rolf ist bei internationalen Wettkämpfen zum Adidas-Stand gegangen und hat gesagt, ich hab' den Mölders gerade bei Puma gesehen. In der nächsten Woche bekam ich einen Umschlag mit 500 Mark."

Nach etlichen nationalen Meistertiteln, Länderkämpfen und Rekorden war die Karriere auf der Bahn mit 32 Jahren beendet. Ein paar Jahre später startete er eine zweite auf der Straße. Es wurden Kilometer gefressen, was die Woche an Tagen und der Körper an Kraft hergab. "Teilweise bin ich bei der Vorbereitung auf einen Marathon 270 Kilometer in der Woche gelaufen. Das würde ich heute keinem empfehlen", sagt er. Durch Trainerlizenzen und seinen Job als Sport- Physiotherapeut, in dem er heute noch arbeitet, weiß der Klever, worauf es im Training ankommt.

Jahrzehntelang ging es bei Mölders allein darum, wo die Uhr stehen bleibt. Er wurde Deutscher Meister in der Altersklasse mit Ergebnissen, die auch heute bei den Männern keiner im Kreis erreicht. Denn um Zeiten geht es. Titel allein sagen für ihn nichts über den Wert einer Leistung aus. "Was will ich mit einem ersten Platz bei den Deutschen in irgendeiner Altersklasse, wenn zwei am Start waren und einer nicht ins Ziel kommt", sagt er.

Doch ist es nicht mehr allein die Jagd nach Stunden und Sekunden. Seine Ziele haben sich verschoben. Heute trainiert er mit den Athleten des LV Marathon im Park. "Ich will die Truppe bei der Stange halten und freue mich über jeden, der regelmäßig kommt. Aber ich bin auch für jeden da, der hier schneller werden will", sagt er, während die letzten Läufer das Programm im Park geschafft haben. Nach gut einer Stunde ist die Einheit beendet. Es ist noch kälter geworden und Zeit, nach Hause zu gehen. Man verabschiedet sich, bis zum nächsten Training. Dann gibt der 75-Jährige wieder das Pensum vor. "Ich bleibe bei der Leichtathletik, solange es geht." Irgendwann wird auch für Gerd Mölders der Lauf des Lebens zu Ende sein. Was bleibt, sind seine Rekorde. Die werden nie vergessen.

(jan)
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