Kriegsende Vor 70 Jahren "Wie eine riesige Todesfackel"

Emmerich · Kurz vor dem Ende des Krieges zerstörten die Alliierten am 16. Februar 1945 Rees. Der Reeser Geschichtsverein betrieb bereits vor 20 Jahren intensive Recherchen und fasste Zeitzeugenberichte zusammen. Die RP gibt sie wieder.

 Das Ergebnis von zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft und sechs Jahren Krieg - eine der ältesten Städte am unteren Niederrhein ist vor 70 Jahren in Schutt und Asche gelegt.

Das Ergebnis von zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft und sechs Jahren Krieg - eine der ältesten Städte am unteren Niederrhein ist vor 70 Jahren in Schutt und Asche gelegt.

Foto: Stadtarchiv

REES Gestern Abend, am 70. Jahrestag der Kapitulation des Deutschen Reiches, eröffneten Bürgermeister Christoph Gerwers und Stadtarchivarin Tina Oostendorp im Stadtmuseum Koenraad Bosman die Ausstellung "70 Jahre nach Kriegsende - Rees und die Grenzregion". Die Rheinüberquerung der alliierten Truppen im März 1945, auch begleitet von Trommelfeuern auf Rees und verlustreichen Häuserkämpfen in der Stadt und im Ortsteil Bienen, leitete das baldige Ende des Zweiten Weltkriegs ein. Kurz zuvor, am 16. Februar 1945, war Rees bei einem verheerenden Luftangriff weitgehend zerstört worden. Bereits vor 20 Jahren, zum 50. Jahrestag des Kriegsendes, betrieb der Reeser Geschichtsverein umfangreiche Recherchen und fasste Zeitzeugenberichte über den Untergang von Rees am 16. Februar 1945 in einem Bericht zusammen. Aus diesem zitiert die Rheinische Post nachfolgenden.

 Diese Steinbrocken aus Basaltlava im Stadtgarten beziehen sich auf die Zerstörung der Stadt Rees 1945 und stellen die zerbombten Kirchtürme von St. Mariä Himmelfahrt stellvertretend in den Mittelpunkt.

Diese Steinbrocken aus Basaltlava im Stadtgarten beziehen sich auf die Zerstörung der Stadt Rees 1945 und stellen die zerbombten Kirchtürme von St. Mariä Himmelfahrt stellvertretend in den Mittelpunkt.

Foto: Scholten

Es war ein sonniger, warmer Tag. Der Rhein führte Hochwasser, der Sommerdeich stand vor der Überflutung. Wegen der verheerenden Luftangriffe auf die Nachbarstädte und wegen der herannahenden Front hatten bereits viele Bürger die Stadt verlassen und in der ländlichen Umgebung oder im nahen Westfalen, bei Bekannten und Verwandten, Unterkunft gefunden. Es wird geschätzt, dass von den ehemals circa 4.900 Einwohnern der Stadt Rees nachts nur noch etwa 1.600 Bürger in der Stadt ausharrten, während am Tage viele Reeser in die Stadt zurückkehrten, um letzte persönliche Sachen zu holen oder um einzukaufen. Denn die Stadt war noch einigermaßen intakt. Bäcker, Metzger, Lebensmittel-Geschäfte, und andere hatten geöffnet, das Krankenhaus war voll funktionsfähig, die ärztliche Versorgung sichergestellt und eine Apotheke am Markt versorgte die Bevölkerung aus Rees und Umgebung mit Medikamenten. Im übrigen funktionierten die Wasser- und Gasversorgung sowie die Kanalisation. Allerdings gab es keinen Strom, die Telefonverbindungen waren unterbrochen. Auch die Post wurde nur noch sporadisch zugestellt und versandt, da Straßen sowie die Klein- und Reichsbahn unter ständiger Bedrohung durch Jagdbomber standen. Täglich überflogen Bomberverbände der Alliierten die Stadt, nachts standen vielfach "Christbäume" von Leuchtbomben über der Stadt, über der Fährverbindung und über dem Kleinbahngelände.

In der Bevölkerung nahm die Unruhe und Sorge von Tag zu Tag zu. Die bange Frage "Wann sind wir wohl an der Reihe?" war in aller Munde. Gewarnt war die Reeser Bevölkerung bereits durch die alliierten Luftangriffe vom 11. September 1944 (6 Tote), vom 23. November 1944 (ebenfalls 6 Tote) und den Luftangriff zwei Tage zuvor (14. Februar 1945), bei dem weitere neun Zivilisten den Tod fanden. Kurz nach 12 Uhr, am 16. Februar 1945, sahen drei junge Männer bei Stromkilometer 838, dass linksrheinisch, nicht besonders hoch, ein alliierter Bomberverband mit Jagdschutz parallel zum Rhein Richtung Osten flog. Es gab keine Anzeichen dafür, dass gerade dieser an Rees vorbeifliegende Verband die Stadt in Schutt und Asche legen würde. Der Verband überquerte den Strom und flog in einer Kurve über das Reeser Eyland nach Aspel und Groin und folgte von dort in etwa der auf das Stadtzentrum Rees führenden Reichsstraße 8. Das Flugmanöver wurde von Bewohnern in Aspel und Groin beobachtet. Evakuierte Reeser, die zu Fuß von Haldern nach Rees unterwegs waren, um letzte Besorgungen zu tätigen, wurden durch den Jagdschutz in die Straßengräben bei der Molkerei in Groin (Bottergrav) getrieben, wo sie einigermaßen Schutz fanden. Auch zwei junge Mädchen, die sich im Bereich der Kreuzung B 8/Melatenweg/Gartenstraße auf dem Weg zur Apotheke befanden, hörten und sahen die heranfliegenden Bomber und flüchteten zurück in die Feldmark, wo sie hinter einem Schuppen in Deckung gingen. Am Rathaus war rechtzeitig, circa 10 Minuten vor dem Angriff, Fliegeralarm mit der Handsirene gegeben worden, bevor die ersten Sprengbomben in der Dellstraße und der Kapitelstraße, auf dem Kirchplatz, in der Rünkelstraße und am Westring explodierten. Die Bewohner, die noch auf den Straßen, vor allem auf der Dellstraße, unterwegs waren, flüchteten bei den ersten Einschlägen in die Keller der nächstgelegenen Häuser und wurden unter dem Explosionsdruck zum Teil die letzten Kellerstufen heruntergeschleudert. Die Keller erzitterten, Rauch und Staub füllten die Luft. Anschließend ergoss sich ein Hagelschlag von Brandbomben über die ganze Stadt, wodurch Rees innerhalb kürzester Zeit in eine riesige Todesfackel verwandelt wurde.

Nachdem das Prasseln der Brandbomben zu Ende war, wagten einige Mutige einen Blick nach draußen und sahen, dass die meisten Hausdächer bereits lichterloh brannten. Die Luft war stickig und heiß. Aufgrund der Vielzahl der Feuerherde und der Heftigkeit des Brandes durch die Phosphor-Brandbomben waren Löscharbeiten kaum möglich. In nur wenigen Minuten waren auch die Treppenhäuser, die seinerzeit fast ausschließlich aus Holz bestanden, ein Raub der Flammen geworden, sodass die oberen Etagen erst gar nicht erreicht werden konnten.

Der einzige Gedanke war Flucht, heraus aus den unrettbaren Häusern und dann geschützt durch Trümmer, Bombentrichter und beidseitig brennende Straßen in die Außenbezirke. Zum Glück waren nicht alle Sprengbomben in die Stadt gefallen. Einige explodierten zwischen Sommer- und Winterdeich, auf dem "Kloster-Grindchen". Obgleich die Luftschutzwache im Rathaus unmittelbar nach dem Angriff die Kreisfeuerwehr in Wesel unterrichtet hatte, vergingen Stunden, bis Feuerwehren der Nachbarorte eintrafen, um das Feuer zu bekämpfen. Doch zu diesem Zeitpunkt war das Stadtzentrum bereits nicht mehr zu retten. Die Reeser Feuerwehr war zum Zeitpunkt des Angriffs auf Rees in Oberhausen-Osterfeld eingesetzt. Mittags erhielt sie die Nachricht, dass Rees bombardiert worden war. Auf dem Weg nach Hause geriet sie noch in einen Bombenangriff auf Wesel, sodass sie erst sehr spät in Rees eintraf. Bei dem Angriff auf Rees wurden auch das spätmittelalterliche Rathaus, die evangelische Kirche und die katholische Kirche sowie die beiden letzten noch erhaltenen Stadttore, das Rhein- und Krantor, vernichtet. Löscharbeiten im Bereich der katholischen Kirche wären auch fast unmöglich gewesen, weil hier von einer Artillerie-Einheit zwei Munitionswagen abgestellt worden waren, die nun, von Brandbomben getroffen, explodierten.

Eine militärische Zugmaschine mit Ketten-Antrieb, die in Richtung Fallstraße den Kirchplatz fluchtartig verließ, wurde von flüchtenden Reeser Bürgern angehalten, um mitfahren zu können. Die Soldaten stoppten das Fahrzeug, ließen die alten Leute aufsitzen und erreichten mit den Zivilisten unversehrt den Reeser Stadtgarten.

Der Gebäudekomplex des Krankenhauses wurde durch den tatkräftigen Einsatz eines Löschzuges der in Rees verbliebenen Feuerwehr vor der Vernichtung gerettet. Am späten Nachmittag schoben Schwestern des Krankenhauses in einem langen Zug Kranke und Verwundete in ihren fahrbaren Betten über die Reichsstraße 8 in das Kloster Aspel, das mittlerweile vom Militär als Lazarett geräumt worden war. Unerklärlich ist manchem Reeser bis heute, warum die Häuser um die heutige Bücherei am Markt nicht durch Brand vernichtet wurden. Aus einem Bericht des Heimat-Kalenders Kleve 1990 konnte entnommen werden, dass in der heutigen Bücherei seinerzeit unter anderem ein Gendarmerie-Posten stationiert war.

Während des Angriffs vom 16. Februar 1945 erreichte diese Einheit Rees und hetzte über Bärenwall, Oberstadt und Wasserstraße zum Markt, löschte mit also Sand, Wasser, Handlöschspritze und Feuerklatschen die Dachstühle der vier Häuser. Ein Malergeselle rettete zuerst das Wohnhaus seines Chefs in der Bleichstraße und anschließend das Pius-Haus in der Kapitelstraße.

Nach diesem Inferno verließen bis zum Abend fast alle Einwohner die Stadt und suchten mit dem, was sie auf dem Leib trugen, einen sicheren Platz in den schon übervölkerten Ortschaften der Umgebung. An diesem Freitag, dem 16. Februar 1945, verloren 32 Bürger, Beschäftigte von außerhalb und Besucher unserer Stadt Rees unter dem alliierten Bombenhagel ihr Leben, darunter eine Mutter mit drei Kindern.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort