Erkelenz 1680 Kilometer jährliche Mobilität

Erkelenz · Wie der Behindertenfahrdienst des Kreises und des DRK Heinsberg die Teilnahme am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben ermöglicht - Gerhard Frisch (63) ist sehr froh über dieses Angebot.

 Gerhard Frisch wird von Stefan Herzberg abgeholt und nach Neuss zum Tischtennis-Training gebracht. Der 63-Jährige nutzt dabei den Behindertenfahrdienst des Kreises und des DRK Heinsberg.

Gerhard Frisch wird von Stefan Herzberg abgeholt und nach Neuss zum Tischtennis-Training gebracht. Der 63-Jährige nutzt dabei den Behindertenfahrdienst des Kreises und des DRK Heinsberg.

Foto: Jürgen Laaser

Was auf ihn zukommen würde, war dem in Golkrath gebürtigen, lange am Georg-Büchner-Gymnasium in Kaarst unterrichtenden und in Erkelenz lebenden Gerhard Frisch (63) bei Eindeutigkeit der Krankheitsdiagnose "MS" (Multiple Sklerose) bald bewusst. "Noch 2002 war der Rollstuhl nur eine sporadische Hilfe, mit zunehmender Verschlechterung des Gehens und Stehens dann ab 2004 ein unverzichtbares Hilfsmittel für mich", erinnert sich der verheiratete Vater von drei erwachsenen Kindern, für den die chronisch-entzündliche Erkrankung Einschränkungen in fast allen Lebensbereichen zur Folge hatte. Was speziell die eigenverantwortliche Mobilität betrifft, ist es für Gerhard Frisch oder Menschen in ähnlich misslichen Situationen sehr hilfreich, dass sie im Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen a.G. (außergewöhnliche Gehbehindert) anerkannt haben. Denn das berechtigt sie dazu, den Behinderten-Fahrdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Kreisverband Heinsberg, zu nutzen.

Wie für Gerhard Frisch zuletzt an einem Mittwochabend. Da wurde er um 18 Uhr von einem "BTW" (Behinderten-Transportwagen) des DRK in Erkelenz abgeholt, mit seinem Rollstuhl über einen automatischen Lift in das Fahrzeug gehoben, gesichert und zum Training nach Neuss gefahren. Dort bietet die TG Neuss in einer Halle mit barrierefreiem Zugang und behindertengerechter Toilette spezielle Angebote im Basketball und Tischtennis für Rollstuhlfahrer. "Die Bedingungen sind ideal", sagt Gerhard Frisch, "denn dort haben wir auch ,normale' Helfer, die zum Beispiel für uns die Tischtennis-Platten auf- und abbauen." Das Training, das auch von Gleichgesinnten aus der Region Düsseldorf genutzt wird, ist als Reha-Sport aufgezogen, bei dem moderate, der Krankheit angepasste Bewegung im Mittelpunkt steht.

In diesen zwei Stunden erinnert der Erkelenzer sich gerne an seine "Vorkrankheitszeit", da gehörte er als Aktiver dem Tischtennisclub 1968 Houverath an, bis dieser kurz nach dem 25-Jährigen abgemeldet wurde. Damals fuhr Gerhard Frisch zwar auch erschöpft, aber eben noch selbstständig vom Training nach Hause. Heute dagegen ist er "heilfroh, vom DRK chauffiert zu werden, denn ich wäre zu müde, um selbst noch am Steuer zu sitzen".

Damit drückt Gerhard Frisch aus, was der Kreis Heinsberg sogenannten a.G.lern mit der Umsetzung der im Sozialgesetzbuch verankerten Paragrafen ermöglicht: Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Klartextlich ist das die Übernahme angemessener Kosten für die Inanspruchnahme des Behindertenfahrdienstes, den es seit 1981 gibt und der im Kreis Heinsberg mit etwas mehr als 320.000 Euro zu Buche schlägt. Wie von DRK-Fahrdienstleiter Elmar Brönner, der mit zwei Kollegen die Koordination von 25 rollstuhlgerecht ausgestatteten Fahrzeugen mit mehr als 120 Rollstuhlplätzen vornimmt, zu erfahren ist, nutzen zwischen 500 und 600 Rollstuhlfahrer die Mobilitätsmaßnahmen, die rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Dazu gehören Linienfahrten (unter anderem zur Lebenshilfe nach Heinsberg oder Erkelenz), Krankenfahrten (zum Arzt, zur ambulanten Behandlung oder ins Krankenhaus) - und eben die Individualfahrten für "Rollis" mit dem Merkmal a.G., für die kein anderer Kostenträger aufkommt. Das Amt für Soziales des Kreises Heinsberg stellt in diesem Fall pro Person und Monat vier Fahrten à 35 Kilometer zur Verfügung. Und da das Kilometerkontingent auf die Folgemonate übertragen werden kann, kommen so jährlich maximal 1680 Kilometer zusammen. Eine Einschränkung gibt es, denn um 50 Prozent reduziert ist der Anspruch für Rollstuhlfahrer, die in einem Heim leben.

Für die Fahrdienstkoordinatoren beim DRK sieht die Teilhabe der a.G.ler am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben äußerst vielfältig aus: Im Frühjahr und Sommer werden "Rollis" an die deutsche, holländische, ja sogar dänische Küste gefahren und nach ein oder zwei Wochen wieder abgeholt. Ziele sind auch die Pfalz, Bayern und Österreich - seien es Verwandtenbesuche oder Urlaubszeiten. Die Flughäfen Düsseldorf, Köln und Frankfurt/Main werden von den Behinderten-Transportwagen des DRK ebenso angesteuert wie die Zoos in NRW zu Tagestouren. Auch Abendfahrten zu Konzerten und ins Theater sind gewünscht. Passend aktuell: Für närrisch angehauchte Rollstuhlfahrer besteht die Möglichkeit, sich zu Karnevalssitzungen bringen und nach stimmungsvollem Helau, Alaaf oder Maak Mött zu später Stunde wieder nach Hause fahrenzulassen. Eine Fahrt "kostet" auch dann 35 Kilometer, wenn es nur eine kürzere Strecke zu einem Skat- oder Kegelabend ist, vielleicht sogar zum Einkaufen in einen Supermarkt. Mit dieser "35-km-Währung" sind dann aber auch Plätze für Begleitpersonen und auf Anfrage sogar für den angeleinten Hund reserviert.

Ohne Hund, aber mit Tischtennis-Schläger und Sportzeug ausgerüstet, nimmt Gerhard Frisch am gemeinschaftlichen und (sport)kulturellen Leben teil. Ermöglicht durch Umsetzung der Sozialgesetzgebung im Kreis Heinsberg, die inzwischen für andere Kreise und Städte sogar Vorbildcharakter hat.

(hg)
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