Pfarrer Günter Salentin zu Tagebau-Spekulation "Das grenzt an seelische Grausamkeit"

Erkelenz · Die Spekulationen um ein frühzeitiges Aus für den Tagebau Garzweiler II wühlen Pfarrer Günter Salentin regelrecht auf. Der katholische Pfarrer und frühere Erkelenzer Dechant kämpft seit zwei Jahrzehnten an der Seite der Garzweiler-Gegner und fordert Klarheit.

Der letzte Gottesdienst im Immerather Dom
12 Bilder

Der letzte Gottesdienst im Immerather Dom

12 Bilder

Die Stimme von Günter Salentin bebt. "Das grenzt an seelische Grausamkeit", schimpft der 69-jährige Pfarrer. "Ein Hin und Her um die Fortführung dieses Tagebaus ist unmenschlich und brutal." Salentin steht vor seiner erst wenige Tage entwidmeten Pfarrkirche Sankt Lambertus in Immerath. Der wuchtige Backsteinbau mit den beiden neuromanischen Kirchtürmen, den der Volksmund "Dom von Immerath" nennt, muss in fünf Jahren dem Braukohlentagebau Garzweiler II weichen. Die riesigen Schaufelradbagger kommen immer näher. Unter der Ortschaft, die zu ihren besten Zeiten über 1.500 Einwohner zählte, liegen mehrere Braunkohleflöze.

Während in Immerath die Räumung der Ortschaft längst begonnen hat, halten sich hartnäckig Spekulationen, dass der gigantische Tagebau im rheinischen Revier womöglich vorzeitig beendet wird - was RWE Power als Betreiber bisher aber dementiert. Nach den derzeitigen Planungen sollen aus dem 48 Quadratkilometer großen Feld im Städtedreieck Mönchengladbach-Aachen-Neuss bis 2045 insgesamt 1,3 Milliarden Tonnen Braunkohle gefördert werden. Doch in Zeiten der Energiewende wird die Braunkohleverstromung offenbar zunehmend unwirtschaftlicher.
Angeblich gibt es bei RWE Szenarien, den europaweit größten Tagebau noch vor der dritten Umsiedlungswelle mit den Erkelenzer Ortschaften Keyenberg, Kuckum, Ober- und Unterwestrich und Berverath 2023 vorzeitig zu beenden.

"Da geht es um irgendwelche finanziellen Spielchen und Vorteile", mutmaßt Pfarrer Salentin. "Das ist keine ehrliche Diskussion." Tatsächlich wurden die Gerüchte um ein vorzeitiges Aus pünktlich zu Beginn der Koalitionsverhandlungen in Berlin lanciert. Dort wird es auch um bessere wirtschaftliche Rahmenbedingungen für Kohlekraftwerke gehen. Von diesem Politpoker seien die Menschen in der Tagebauregion arg verunsichert, berichtet der Seelsorger. "Es herrscht Verärgerung, aber auch stille Wut. Da blickt keiner mehr durch."

Unmittelbar nach Bekanntwerden der Ausstiegs-Szenarien hat die Stadt Erkelenz die Vorbereitungen für die noch anstehenden Umsiedlungen von 3.200 Menschen vorerst gestoppt. Für kommenden Mittwoch ist ein Krisentreffen zwischen Vertretern der Landesregierung und der Kommune anberaumt.

"Wir brauchen Klarheit", verlangt Salentin. Der katholische Pfarrer und frühere Erkelenzer Dechant kämpft seit zwei Jahrzehnten an der Seite der Garzweiler-Gegner, ohne die Bergleute auszugrenzen. "Hier geht es auf beiden Seiten um Menschen", so Salentin. Die Meinungsverschiedenheiten in der Sache dürften nie dazu führen, dass man nicht mehr miteinander einen Kaffee trinken könne.

Bereits 1996 haben die beiden großen Kirchen mit Unterstützung des Aachener Bischofs Heinrich Mussinghoff eine "Erklärung zur Sozialverträglichkeit von Umsiedlungsmaßnahmen aus kirchlicher Sicht" verfasst. Darin vertreten sie die Position, dass Umsiedlungen nur gerechtfertigt seien, wenn der Tagebau dem Allgemeinwohl diene.

Dieser Nachweis sei bei Garzweiler II "so unbedingt und unausweislich nicht erbracht worden", befindet Salentin. In den kommenden Wochen wird das Bundesverfassungsgericht über die Rechtmäßigkeit der bisherigen und künftigen Umsiedlungen urteilen.

Die 125 Jahre alte Sankt-Lambertus-Kirche in Immerath wird das Urteil der Karlsruher Richter aber wohl kaum noch retten. Für die Kirchenausstattung wie Altar oder Kirchenbänke haben sich bereits viele Interessenten gemeldet. "Die Anfragen kommen bis aus Polen", berichtet Salentin. Auf den benachbarten Friedhof mag der Seelsorger nicht mehr gehen. "Das zerreißt mir das Herz." Hier hat der Pfarrer viele Gemeindemitglieder beerdigt. Das Totengebet um die "ewige Ruhe" sei ihm angesichts der anrückenden Bagger zuletzt immer schwerer über die Lippen gegangen, bekennt der Priester. Die meisten Verstorbenen sind bereits in "Immerath neu" umgebettet worden. Salentin bekommt feuchte Augen: "Es ist ein toter Friedhof."

(KNA)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort