Abschied vom "Immerather Dom" am Sonntag Die Kirche muss der Kohle weichen

Erkelenz-Immerath · In dem weithin als "Immerather Dom" bekannten Gotteshaus St. Lambertus wird an diesem Wochenende die letzte Messe gelesen. Kirche und Dorf müssen den Baggern des Tagebaus Garzweiler weichen.

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Oktober 2013: Ansichten des Immerather Doms

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"Achtung - spielende Kinder" mahnt ein Schild an der Ortseinfahrt. Ein Relikt aus früheren Zeiten. Denn Kinder sind weit und breit nicht zu sehen. Immerath hat seine Rollläden heruntergelassen und wirkt wie eine Geisterstadt. Das alte Dorf wird es nicht mehr lange geben, denn der Braunkohle-Tagebau Garzweiler steht vor der Tür. Die Abrissbagger werden nicht einmal die Kirche im Dorf lassen. In dem weithin als "Immerather Dom" bekannten Gotteshaus wird an diesem Wochenende die letzte Messe gelesen.

Am Samstag ist aber noch einmal viel zu tun für Theo Küppers. Für eine Taufe und eine Hochzeit wird der 75-jährige Küster die zwischen 1888 und 1891 errichtete neoromanische Basilika Sankt Lambertus mit der imposanten Doppelturmfassade noch einmal festlich herrichten. "Doch dann kommt der Tag X", sagt Küppers. Der letzte Tag von Sankt Lambertus als Kirche. Am Sonntag beginnt um 14.30 Uhr der Entwidmungs-Gottesdienst. Dabei verliest der Aachener Domkapitular Rolf-Peter Cremer die Profanisierungsurkunde des Bischofs. Die Priester werden den Kelch mit dem Allerheiligsten aus dem Gotteshaus tragen und als äußeres Zeichen der Entwidmung das ewige Licht löschen.

Daran mag Marlies Bereit noch gar nicht denken. Die 71-Jährige engagiert sich im Kapellen-Vorstand für die ehemals eigenständigen Gemeinden der umliegenden Ortschaften. Für die Frau, deren Familie seit Jahrhunderten in Immerath verwurzelt ist, bedeutet der Dom schlicht und einfach "Heimat". Sie erinnert sich, wie sie als Kind das Kirchenlied "Ein Haus voll Glorie schauet" mitgesungen hat.

"Damals dachte ich: Diese Kirche ist das Haus voll Glorie." Hier hat sie Kommunion und Firmung gefeiert, hier wurde letztes Jahr ihr verstorbener Mann aufgebahrt. Als sich in den 1980er Jahren das drohende Ende des Ortes abzeichnete, sagte ein älterer Mann zu ihr: "Wenn sie mein Haus abreißen, tut das weh. Aber wenn sie die Kirche abreißen, will ich nicht mehr leben."

Der Mann ist mittlerweile verstorben. Marlies Bereit und dem Küster-Ehepaar Küppers bleibt es dagegen nicht erspart, sich von ihrem Gotteshaus zu verabschieden. Alle drei haben sich schon früh auf die neuen Verhältnisse eingestellt und im neuen Ort rund zehn Kilometer westlich gebaut. Auch die Verstorbenen ruhen schon überwiegend auf dem neuen Friedhof, ihre Gräber wurden umgebettet.
Nur noch um die 100 von einstmals über 1.000 Menschen leben im alten Dorf; eine Handvoll Einwohner wehrt sich bei geringenErfolgsaussichten juristisch gegen die Umsiedlung. Der Niedergang hat bereits begonnen. Dachrinnen, Altmetall, alles, was transportabel ist, wird gestohlen - obwohl nachts ein Wachdienst die Straßen kontrolliert.

Mit Spendengeldern hatten die Dorfbewohner einst die Kirche finanziert und nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg beim Wiederaufbau selbst Hand angelegt. An diesen Geist wollen die Immerather anknüpfen. Gegen Widerstände aus der Bistumsverwaltung haben sie eine Kapelle im neuen Dorf durchgesetzt. Von Gedankenspielen, eine ähnlich prächtige Kirche zu errichten, haben sie sich längst verabschiedet. "Die neue Kapelle wird in etwa so groß sein wie unser jetziger Altarraum. Wir müssen ja nicht nur die Kosten für den Bau, sondern auch Rücklagen für 80 Jahre berücksichtigen", führt der Küster aus. Einige Gegenstände aus der Kirche sollen in der Kapelle Platz finden, darunter zwei Glocken, der Taufstein von 1838 oder das Missionskreuz aus dem 14. Jahrhundert.

Nur noch 60 Besucher passen in die Kapelle. Doch das entspricht eher den Bedürfnissen der Zeit. Pastor Werner Rombach betreut von seinem Pfarrbüro in Erkelenz aus Immerath, das zu einem Seelsorgenetz aus 18 Gemeinden mit 27.000 Katholiken gehört. Der Geistliche ist jetzt im siebten Jahr dort Pfarrer und hat die Umsiedlung mehrerer Orte seelsorglich begleitet. "Es war ein Trugschluss zu glauben, es würde mich nicht so sehr wie die Einheimischen berühren", gibt Rombach zu.

Doch er will der Resignation keinen großen Raum geben: "Bei aller Trauer ist der Blick nach vorn gerichtet." Genau einen Monat vor der Entwidmung des Domes hat die Gemeinde den Spatenstich zum Bau der neuen Kapelle gesetzt. "Ich hoffe, dass dort Gemeinschaft wächst", sagt Pastor Rombach. Marlies Bereit versucht auch, das Positive zu sehen: "Es siedeln sich nach und nach junge Familien an, wir haben Hoffnung und Chancen."

Jetzt sind aber alle Blicke auf den letzten Gottesdienst gerichtet.
Dennoch drängt sich ihr der Gedanke auf, was mit dem nicht mehr benötigten Inventar passieren wird. Von den Bänken über die Orgel bis zum Altar und den Heiligenfiguren soll alles eine neue Heimat finden. "Wir haben noch nicht entschieden, wie wir den Verkauf der sakralen Gegenstände organisieren, doch es gibt bereits eine große Nachfrage", berichtet Küppers. In jedem Fall sollen kirchliche Einrichtungen Vorzug vor privaten Sammlern erhalten.

Das Gebäude gehört bereits dem Energiekonzern RWE. Aber die Gemeinde hat bis Ende kommenden Jahres ein Nutzungsrecht. Noch ein paar Monate also, um die Immerather Wohnung Gottes aufzulösen.

(KNA)
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