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Erkelenz Die Ungewissheit macht mürbe

Erkelenz · Im April besuchte unsere Redaktion den syrischen Vater Zeyad Thaljah und seinen Sohn Fares. Mittlerweile hat sich die Wohnsituation deutlich verbessert. Begleitet wird die kleine Familie von Gerda Hermes und Andreas Stommel.

 Immer wieder im regen Austausch: Zeyad Thaljah (l.), sein Sohn Fares sowie Gerda Hermes und Andreas Stommel. Gemeinsam sortiert man das neue Leben der beiden Syrer in Deutschland.

Immer wieder im regen Austausch: Zeyad Thaljah (l.), sein Sohn Fares sowie Gerda Hermes und Andreas Stommel. Gemeinsam sortiert man das neue Leben der beiden Syrer in Deutschland.

Foto: JÜRGEN LAASER

Immer wieder deutet Fares auf sein Kunstwerk, für das sein Vater extra einen schönen Platz im Wohnzimmer an der Wand gefunden hat. Bunte Punkte sind darauf zu sehen und "Fares". Am Neujahrstag wurde der Junge 13 Jahre alt. Fares' Vater Zeyad Thaljah ist sehr stolz auf die Arbeit seines Sohnes, denn selbstverständlich ist es nicht, dass der Junge in der Lage ist, ein solches Bild zu malen - Fares leidet an einer speziellen Form der spastischen Lähmung.

Im April war unsere Redaktion zu Besuch bei Vater und Sohn, die vor einem Jahr aus Syrien nach Deutschland gekommen sind. Damals waren beide im Harf-Haus an der Südpromenade untergebracht - viel zu ungeeignet vor allem für den Jungen, für den eine behindertengerechte Umgebung unerlässlich ist. Beim erneuten Besuch unserer Redaktion begrüßt Zeyad seine Gäste in einer kleinen hellen Wohnung mitten in Erkelenz. Aus dem Wohnzimmer heraus ist das fröhliche Lachen seines Sohnes zu hören. In Gerda Hermes und Andreas Stommel haben Vater und Sohn nicht nur regelmäßige Begleiter, sondern vor allem Freunde gefunden. Auf den ersten Blick ist klar - die Wohnsituation hat sich deutlich verbessert. "Vom Harf-Haus ging es zunächst für etwa zwei Monate zur Pro Seniore-Residenz, aber das war von Anfang an nur als Übergangslösung gedacht", erzählt Gerda Hermes. Sie arbeitet in der Pflegeberatungsstelle des Kreises Heinsberg, kam so in Kontakt mit der kleinen Familie. Man verstand sich auf Anhieb.

Gerda Hermes und Andreas Stommel haben alle Hebel in Bewegung gesetzt, um für Vater und Sohn eine passende Wohnung zu finden. "Zum Glück ging das sehr schnell", zieht das Ehepaar zufrieden Bilanz. Und dann ist da schließlich auch die Tatsache, dass Fares seit Sommer die Oberbrucher Rurtal-Schule besucht und sich dort sehr wohlfühlt.

Die Geschichte der beiden syrischen Flüchtlinge liest sich also gut, alles scheint sich zum Guten gedreht zu haben - auf den ersten Blick auf jeden Fall. Doch Zeyad Thaljah, Gerda Hermes und Andreas Stommel werden bei aller Freude nachdenklich, und zwar sehr.

Zeyad erzählt in englischer Sprache: "Unsere Lage empfinde ich als deutlich verbessert. Mein Sohn und ich leben gut in einer schönen Wohnung. Fares geht in die Schule. Zudem treffen wir auf Menschen, die sehr hilfsbereit sind. All' diese Erfahrungen machen mich happy. Aber dann kommt immer wieder der Moment, in dem ich an meine Frau und meine weiteren vier Kinder denken muss, die nach wie vor in Syrien sind. Derzeit halten sie sich bei Damaskus auf, doch es ist sehr gefährlich dort, so dass die Sorge um meine Familie nicht aufhört."

Nachdem geklärt war, dass Fares einen Platz in der Rurtal-Schule bekommen würde, konnte Zeyad mit dem Integrationskursus beginnen. Das Problem dabei: Fares konnte bis zu den Herbstferien nicht ganztägig in der Rurtal-Schule bleiben, zudem wurde er krank. Zeyad war wieder voll mit der Betreuung seines Sohnes beschäftigt. Erst im Mai kann er daher wieder mit einem neuen Integrationskursus beginnen. Damit kann der Vater allerdings umgehen. Etwas anderes beschäftigt ihn viel mehr: "Das Warten macht mürbe." Andreas Stommel steigt in diesen Punkt ein: "Beispielsweise Besuche beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dauern mehrere Stunden. Diese lange Zeit ist für Fares nicht zu stemmen. Die Bearbeitung der Fälle ziehen sich sehr lange hin. Man hat den Eindruck, dass die Papierberge von einem Schreibtisch zum nächsten geschoben werden." Das erste Interview von Zeyad im BAMF fand im April statt, das zweite im Oktober - immer noch ist nicht klar, welchen Status Vater und Sohn bekommen. Danach richtet sich nämlich, inwieweit die Familie nachkommen kann. Zeyad sagt: "Mir fällt es darum sehr schwer, einen klaren Kopf zu bewahren."

Gerda Hermes fügt hinzu: "Bis heute ist auch Fares' Rollstuhl noch nicht so ausgebaut, wie es sein sollte. Da stellt man sich schon die Frage, warum das so sein muss." Und: "Ohne die Begleitung ist der Flüchtling an sich absolut hilflos." Überall gebe es bürokratische Hürden.

Immer wieder bringt Zeyad seine Dankbarkeit zum Ausdruck. Die Einrichtung seiner Wohnung ist über Spenden zusammengekommen - dank der Familie und Freunde von Gerda Hermes und Andreas Stommel. Auch Einrichtungen wie das Hospiz der Hermann-Josef-Stiftung hat sich engagiert, vor allem Leiter Björn Clahsen hat sich für die Familie eingesetzt - möglicherweise kann Zeyad dort ehrenamtlich tätig werden. Auch der Verein "Willkommen in Erkelenz" setzt sich ein. Fares' Vater macht das dankbar: "Deutschland versucht, die Flüchtlinge zu integrieren. Dazu ist es aber auch wichtig, dass deren Familien da sind. Wir wollen in Deutschland nicht reich werden, sondern nur ein normales Leben führen, denn unsere Zukunft in Syrien ist uns wegen des Krieges genommen worden." Der Einsatz von Ehrenamtlern wie Gerda Hermes und Andreas Stommel ist wichtig - Menschen wie sie hören den Flüchtlingen aufmerksam zu, schenken ihnen Zeit.

(RP)
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