Erkelenz Gaffer nehmen keine Rücksicht

Erkelenz · Seit einem Jahr stehen an den Ortseingängen von Immerath (alt) zwei Schilder. Eines verhängt ein nächtliches Durchfahrtverbot. Ein zweites erklärt, dass die Einwohner ungestört leben wollen. Eine Zwischenbilanz.

 Am Ortseingang von Immerath (alt) wird zur Rücksichtnahme gegenüber den Anwohnern aufgerufen.

Am Ortseingang von Immerath (alt) wird zur Rücksichtnahme gegenüber den Anwohnern aufgerufen.

Foto: Jürgen Laaser

Die Sonne steht tief in den Straßen von Immerath. Es ist Montagabend. Dass in dem einstigen 1000-Seelen-Ort, der ab 2017 dem Tagebau Garzweiler II weichen soll, noch Menschen wohnen, ist fast nur an Mülltonnen und vereinzelt am Straßenrand stehenden Autos zu erkennen. Auf der Straße anzutreffen sind sie nicht. Möglicherweise ist ihnen nach dem Klimacamp-Wochenende mit Mahnwachen, Demonstrationen und einer Hausbesetzung im Ort nach Ruhe. Lediglich zwei Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma stehen vor dem Immerather Dom auf der Straße - sie sind im Auftrag von RWE Power tätig und jener Menschen, die noch in Immerath (alt) wohnen.

Seit einem Jahr stehen an den Ortseingängen zwei Schilder. Eines verhängt nachts ein Durchfahrtverbot. Ein zweites erklärt, dass die Einwohner von Immerath (alt) ungestört leben wollen, dass auf Fahrten durch den Ort verzichtet werden soll und dass die Grundstücke, auch die von bereits leerstehenden Gebäuden, nicht betreten werden dürfen. Die beiden Männer der Sicherheitsfirma helfen dabei, dass ein ungestörtes Leben ein Stück weit möglich wird. "Wir sind permanent im Einsatz", erklärt RWE-Pressesprecher Lothar Lambertz. "In der Regel soll der Sicherheitsdienst die Autofahrer ansprechen und deren Anliegen abklären. Wer keines hat, gegen den erstatten wir Anzeige, um dieser Art des Tourismus' Einhalt zu gebieten." Nicht jeder verstehe das: "Die Reaktionen darauf sind so bunt wie das Leben." Kontrolliert die Polizei, muss ein Autofahrer noch vor Ort 20 Euro zahlen.

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Foto: picture alliance / Eibner-Presse/Augst / Eibner-Pressefoto

Vor einem Jahr war die Situation in Immerath (alt) schlimmer, sagen Stadt Erkelenz, Kreispolizei Heinsberg und RWE Power. Die Hinweistafeln, die Durchfahrtverbotsschilder und die gemeinsamen Kontrolleinsätze von Polizei und Sicherheitsdienst sind Ergebnisse von Diskussionen zwischen Stadt, Polizei, Energiekonzern, Anwohnern, Bürgerbeirat und der Umsiedlungsbeauftragten Margarete Kranz. Dazu berichtet Dr. Hans-Heiner Gotzen, Erster Beigeordneter von Erkelenz: "Wir hatten in der Vergangenheit häufig Einbrüche und Vandalismus. Dem musste begegnet werden. Wir haben keine Lösungen gefunden, die zu hundertprozentigem Erfolg führen. Das war allen klar. Eher sind es Beiträge dazu, achtsamer mit den Menschen umzugehen." Und so wurde vor einem Jahr für drei große Hinweistafeln an den Ortseingängen formuliert: "Ein Teil des Ortes Immerath ist noch bewohnt. Diese Situation ist für die verbliebenen Einwohner nicht leicht, jede weitere Störung ist eine Belastung. Zum Schutz der Privatsphäre sowie der Ruhe im Ort sollten Sie im Interesse der Immerather Bürger auf eine Fahrt durch den Ort verzichten. Bitte bleiben Sie den Grundstücken und den bereits leerstehenden Häusern fern. Das Betreten ist verboten, auch zu Ihrem eigenen Schutz. Sachbeschädigungen jeglicher Art wie auch Diebstahl werden zur Anzeige gebracht. Die StVO ist zu beachten und damit auch das Verbotsschild am Ortseingang!" Kontrollen, nächtliches Durchfahrtverbot und dieser Appell brachten laut Gotzen zumindest den Erfolg, dass "es Exzesse, wie es sie gab, seither nicht mehr gegeben hat. Das heißt allerdings nicht, dass Ruhe herrscht."

Eindrücke vom Klimacamp
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Foto: dpa, cas tmk

Vergangenen Sonntag kreuzten etliche Fahrzeuge im Schleichgang durch Immerath - Porsche-Cabrio, Kombi mit Eltern und Kindern, Motorrad- und Rennradfahrer, ein Vater mit zwei Teenies, mit Kameras bewaffnet. Er schien sich vom Ausflug mehr versprochen zu haben, er sei etwas enttäuscht, sagte er: "Wir wollten gespenstische Dörfer sehen. Aber hier wohnen ja noch Leute. So schlimm sieht es ja gar nicht aus." Hans-Josef Portz, "als Landwirt geboren", wie seine Frau Christiane sagt, kann sich schrecklich über die Gaffer aufregen. Sie selbst versucht, das Ganze mit einer Portion Humor zu nehmen. "Sonst hält man's nicht aus." Sonntags sei es heftig: "Da stehen Leute am Wohnzimmerfenster und schauen rein." Einmal riss auch ihr der Geduldsfaden. "Da habe ich ein Schild ins Fenster gehängt: Bitte nicht füttern." Christiane Portz berichtet von Autorennen, bis die Stadt Bodenschwellen aufsetzte, von Jugendlichen, die laute Partys feiern und Bewohner ärgern. Viele Auswärtige wollten "zum Loch" und kehren an der Autobahnbrücke um. Die leeren Häuser hätten Banden alle von hinten aufgebrochen: "Es gibt kein Haus mehr, wo noch eine Kupferleitung liegt."

Dass sich vor allem die Kontrollen herumgesprochen haben, stellen Polizei und RWE fest. "Mit dem RWE-Sicherheitsdienst macht die Polizei in Immerath regelmäßige Kontrolleinsätze. Die Anzahl von Personen, die sich unberechtigt im Ort aufhalten, ist insgesamt rückläufig", erklärt Polizeisprecher Karl-Heinz Frenken, ergänzt aber einschränkend: "In den Ferien sind sie in der Regel wieder steigend, da der Ort dann gerne von jüngeren Leuten als Treff aufgesucht wird." Eine markante Veränderung stellte RWE in diesem Sommer fest. "Aufgrund einer Verkehrserhebung wurde die Durchfahrtverbotszeit von 21 bis 6 Uhr auf 17 bis 6 Uhr ausgedehnt", berichtet RWE-Sprecher Lambertz, "im Juni hatten wir 650 Fahrzeuge, die nicht dort hingehörten. Im August waren es bisher nur noch 350."

(RP)
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