Wilfried Oellers "Hart errungener Kompromiss"

Erkelenz · Union und SPD haben in Berlin einen Koalitionsvertrag erarbeitet, dessen Haltung in der Europa- und Energiepolitik für den Kreis Heinsberg von besonderer Bedeutung ist, erklärt Wilfried Oellers (CDU). Der hiesige Bundestagsabgeordnete findet, dass die Inhalte des Vertrags den Menschen noch stärker erklärt werden müssen.

Wilfried Oellers: "Hart errungener Kompromiss"
Foto: Frank Thelen

Aus Berlin ist momentan viel über Personalfragen und den Mitgliederentscheid der SPD zum Koalitionsvertrag zu hören. Können Sie nachvollziehen, wenn Bürger sich über den Vertrag an sich nicht ausreichend informiert fühlen, den CDU, CSU und SPD in den Wochen vor Karneval ausgehandelt haben?

Oellers Der Vertrag stand sofort im Internet, weltweit lesbar. Manchmal erschlägt die Informationsflut. Gegensätzliche Analysen zum gleichen Vertrag, vermengt mit Fake-News, verwirren oft mehr als sie informieren. Wer sich selber ein Urteil machen will und dazu nicht Kommentierungen heranzieht, muss aber die 177 Seiten lesen.

Wie informieren Sie als Abgeordneter für den Kreis Heinsberg die Bürger?

Oellers Ich habe den Vertrag und eine Kurzfassung von sechs Seiten auf meiner Homepage und über Facebook veröffentlicht. Auch informiere ich über die Presse, Gespräche mit Bürgern und bei Veranstaltungen. In der nächsten Woche starte ich über Facebook eine Aktion mit Kurzinfos zu speziellen Themen, um auch Menschen mit wenig Zeit gut zu informieren. CDU-Mitglieder erhielten einen Mitgliederbrief.

Was sind für Sie aus Sicht des CDU-Politikers die wichtigsten Inhalte des Koalitionsvertrags?

Oellers Steuerentlastungen und keine Erhöhungen - vor allem über den Soli sollen kleine und mittlere Einkommen entlastet werden, und zusätzlich entlastet der Vertrag rein rechnerisch bei den Abgaben die Bürger um etwa einen Prozentpunkt. Weiter wichtig sind ein solider Haushalt ohne neue Schulden, Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung, hohe finanzielle Unterstützungen der Familien, Stärkung der inneren Sicherheit und des Rechtsstaates durch mehr Polizei und Richter, Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur, Ausbau der Glasfasernetze, Investitionen in Bildung und Forschung, Verbesserungen bei Pflege und Gesundheitsversorgung, Stärkung der Renten, bessere Steuerung und Ordnung der Zuwanderung, Stärkung der ländlichen Räume, insbesondere der Kommunen. Alle verhandelten Bereiche sind wichtig für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und die Zukunft unseres Landes. Der Vertrag ist insgesamt ein ausgewogenes Werk. Er nimmt die Sorgen der Menschen ernst.

Welche Punkte hätten Sie gerne noch in den Vertrag aufgenommen?

Oellers Ich hätte gerne eine Absichtserklärung im Vertrag gehabt, sich für die Abschaltung der belgischen Atomkraftwerke einzusetzen. Das Vorgehen unseres Ministerpräsidenten Armin Laschet begrüße ich außerordentlich.

Worauf hätten Sie gerne verzichtet?

Oellers Bei der Befristung von Arbeitsverhältnissen hätte ich mir ein anderes Ergebnis gewünscht. Wenn man mit dem Recht auf Teilzeit den Arbeitnehmern nachvollziehbar ein weiteres Flexibilisierungsinstrument an die Hand gibt, so kann man auf der anderen Seite nicht die Flexibilisierungsinstrumente der Arbeitgeber, wie die Befristungsmöglichkeiten, einschränken. Schließlich muss der Arbeitgeber auf die flexiblen Wünsche der Arbeitnehmer flexibel reagieren können.

Was aus dem Vertrag könnte für die Bürger aus dem Kreis Heinsberg von besonderer Bedeutung werden?

Oellers Einiges, wie die zusätzliche finanzielle Unterstützung der Kommunen durch den Bund, die Sanierung von Schulen, der Ausbau der digitalen Infrastruktur, die hohen Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur mit vier Bundesstraßenprojekten in unserem Kreis und das Engagement des Bundes beim Strukturwandel der Braunkohlereviere, weshalb aus meiner Sicht unserem Wahlkreis ein CDU-geführtes Wirtschaftsministerium guttut. Durch die personelle Aufstockung der Bundespolizei bekommen wir mehr Beamte in unserer Region, so dass das Ziel eines Standortes der Bundespolizei im Kreis Heinsberg weiter von mir verfolgt und die innere Sicherheit gestärkt wird.

Sie sprechen den Strukturwandel im Rheinischen Revier an. Was steht über die Energiepolitik und Braunkohlenverstromung im Vertrag?

Oellers Er hält an der Energiewende fest. Die erneuerbaren Energien sollen weiterentwickelt werden, bessere Speichersysteme sowie effektivere und intelligentere Netze entwickelt werden. Bis 2030 sollen 65 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien stammen. Der CO2-Ausstoß soll reduziert werden, um die Klimaziele bis 2030 und 2050 einzuhalten. Das geht einher mit einer Reduzierung der Braunkohleverstromung. Dabei wird man wohl nicht ganz auf diese verzichten können, um die Versorgungssicherheit zu gewähren. Dabei müssen sowohl die Interessen der Menschen, die von der Umsiedlung und in Tagebaurandlagen betroffen sind, als auch die Interessen der betroffenen Arbeitnehmer beachtet werden.

Vor Union und SPD hatten CDU, CSU, FDP und Grüne eine Regierungsbildung sondiert. Letztlich erfolglos. Hätte es einen früheren Ausstieg aus der Braunkohle gegeben?

Oellers Man hatte das in den Blick genommen, um die Klimaziele für 2020 zu erreichen. Es war aber kein festes Ausstiegsdatum gesetzt. Jetzt aber ist vorgesehen, dazu bis zum Jahresende ein Aktionsprogramm zu erstellen. Darin enthalten sein soll ein Plan zur schrittweisen Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung - einschließlich eines Abschlussdatums und strukturpolitischer Maßnahmen.

Gibt es in der Europapolitik Ansätze im Koalitionsvertrag, die sich auf unsere Grenzregion auswirken können?

Oellers Bei uns ist das Thema Europa sehr wichtig, wirtschaftlich, zwischenmenschlich und kulturell. Europa ist Teil unsers Lebens. Das Bekenntnis zu Europa ist unverzichtbar. Auf das aktuelle Thema der belgischen Atomkraftwerke bezogen, ist die Absicht zur Schaffung einer europäischen Kontrollaufsicht für Atomkraftwerke hervorzuheben. Zur Sicherheit der Menschen sind Standards festzulegen, die EU-weit gelten müssen, streng zu kontrollieren und zu sanktionieren sind.

Ihr potenzieller Koalitionspartner befragt noch seine Mitglieder, ob die SPD den Vertrag annehmen soll. Hätten Sie sich so etwas auch für die CDU gewünscht?

Oellers Nein. Durch die Wahl bekommen Volksvertreter das Mandat, Entscheidungen zu treffen. Dass so kurz nach der Wahl die Mitglieder befragt werden, ist ein rein taktisches Mittel, um bei Verhandlungen Druck aufzubauen - so wie bereits 2013.

Kommt der Vertrag zustande?

Oellers Der Koalitionsvertrag ist ein hart errungener Kompromiss, in dem sich beide Seiten gut wiederfinden. In der derzeitigen Situation ist es aber schwierig einzuschätzen, wie das Ergebnis ausgehen wird.

Bei einem Nein der SPD - wären Sie dafür, als CDU eine Minderheitsregierung auszuprobieren?

Oellers Bevor es zu Neuwahlen kommt, sollten wir alles versuchen, um eine Regierung zu bilden. Daher käme auch eine Minderheitsregierung in Betracht. Die Mitwirkungsrolle des Parlaments würde gestärkt werden, die Gesetzgebungsverfahren aber mehr Zeit beanspruchen. Ich halte in Zeiten europäischer und internationaler Verunsicherung eine stabile und handlungsfähige Regierung besser für unser Land.

ANDREAS SPEEN FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
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