Serie 120 Jahre Heimatverein Wassenberg - Ausblick Heimatgeschichte hat eine Zukunft

Erkelenz · Die Mitgliederzahl des Wassenberger Heimatvereins steigt, kürzlich wurde die 500 überschritten. Gespräch mit dem Vorsitzenden Sepp Becker über das Profil des Vereins, sich wandelnde Themen und Zukunftsaufgaben.

 Heimatgeschichte anschaulich gemacht: Die Spaziergänge zur Stadtgeschichte mit Sepp Becker (li.) - hier auf dem Waldfriedhof - sind ein beliebtes Angebot des Heimatvereins.

Heimatgeschichte anschaulich gemacht: Die Spaziergänge zur Stadtgeschichte mit Sepp Becker (li.) - hier auf dem Waldfriedhof - sind ein beliebtes Angebot des Heimatvereins.

Foto: Laaser (archiv)

WASSENBERG Heimat- und Geschichtsvereine haben eine wichtige Aufgabe in der sich rasant wandelnden Gesellschaft und eine Zukunft, sofern sie sich neuen Themen, Interessen und Bedürfnissen der Menschen öffnen. Und das tue der Wassenberger Heimatverein, der in diesem Jahr auf sein 120-jähriges Bestehen zurückblickt. Davon ist Vorsitzender Sepp Becker überzeugt.

Im Gespräch mit unserer Redaktion über die Rolle des Heimatvereins heute und in Zukunft, geht zunächst der Blick zurück in die Vereinsgeschichte, in der (wie berichtet) der damalige Verkehrs- und Verschönerungsverein noch ein anderes Selbstverständnis hatte. Eng angebunden an die Verwaltungsspitze des Ortes, deren Honoratioren auch den Kopf des Vereins bildeten, war dessen Aufgabe das Spendensammeln für die Ortsverschönerung in der Bürgerschaft, erläutert Sepp Becker. Das Selbstverständnis habe sich nach dem Krieg in den 50er Jahren mit dem Vorsitzenden Dr. Jakob Broich schrittweise verändert. "Mit dem Namenswechsel gewann der Verein mehr Eigenständigkeit. Er fühlte sich für die Bürger zuständig. Ein Programm mit Fahrten, Vorträgen, Unternehmungen entwickelte sich damals. Bürger wurden auf privater Ebene für den Verein aktiv - nicht mehr als verlängerter Arm der Kommunalverwaltung."

 Jugend im Blick: Austauschschüler aus Guatemala hören am Weberdenkmal vom früheren Handwerk in der Stadt.

Jugend im Blick: Austauschschüler aus Guatemala hören am Weberdenkmal vom früheren Handwerk in der Stadt.

Foto: Laaser Jürgen

Vieles davon gilt bis heute - in variierter Form. So sieht sich der Heimatverein keineswegs losgelöst von der Stadtpolitik - aber natürlich nicht als deren "verlängerter Arm". Becker spricht von einer fruchtbaren Zusammenarbeit. "Es ist ein Geben und Nehmen. Wir regen vieles an, beteiligen uns aber dann auch an der Umsetzung mit ehrenamtlichem Engagement." Etwa an der aktuellen Nutzung des Bergfrieds durch Ausstellungen und die Anwesenheit von Mitgliedern bei der regelmäßigen Sonntagsöffnung. Der Verein bringt Ideen ein, stellt Anträge, hat wesentliche Impulse gesetzt für die von der Stadt dann umgesetzte Gestaltung des Burgbergs und des Bergfrieds. Die Gedenkstätte an der Stelle der früheren Synagoge wurde vom Heimatverein angeregt und mitkonzipiert, ebenso der beschilderte historische Stadtrundgang. Aktuell ist die neue Nutzung des Küppers-Hauses (Galerie und Domizil der Bücherkiste) ein Beispiel einer vom Heimatverein mit unterstützten Zusammenarbeit von Stadt und bürgerschaftlichem Ehrenamt.

"In den vergangenen Jahren sind die Aktivitäten des Vereins deutlich vielfältiger geworden", sagt Becker. Neu ausgeprägte Themenfelder etwa sind das jüdische Leben im früheren Wassenberg, dem sich ein eigener Arbeitskreis widmet, die Industrie und Arbeitswelt oder die Mundartpflege, deren Stellenwert bei vielen Mitgliedern die Beliebtheit der alljährlichen Mundartabende zeigt.

 Historischer Rundweg: Sepp Becker, Agnes Basten und Walter Brehl (v.l.) vom Vorstand an der früheren Münze.

Historischer Rundweg: Sepp Becker, Agnes Basten und Walter Brehl (v.l.) vom Vorstand an der früheren Münze.

Foto: Laaser Jürgen

Vor allem aber Stadtführungen und Besichtigungen (auch historische Radwanderungen) erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Becker und sein engagierter Stellvertreter Walter Bienen bieten nicht nur Führungsreihen des Vereins an, sondern sind auch bewährte Ansprechpartner für Gästegruppen von außerhalb geworden. Becker begleitet zudem regelmäßig Kindergruppen aus Grundschulen und mittlerweile sogar Kindergärten auf Erlebnisreisen durch die Stadt. Er und seine Mitstreiter spüren: "Für Erwachsene wie für Kinder gilt: Im Gegensatz zu Vorträgen in geschlossenen Räumen, zieht Geschichte, die durch Erläuterungen am historischen Ort anschaulich und für viele erst lebendig wird."

 Mitgestalter des offenen Bergfrieds: Walter Bienen (re.) und Franz Thomassen 2014 mit Entwürfen der Panoramen für die Aussichtsplattform.

Mitgestalter des offenen Bergfrieds: Walter Bienen (re.) und Franz Thomassen 2014 mit Entwürfen der Panoramen für die Aussichtsplattform.

Foto: Laaser Jürgen
 Der mit einer Gedenktafel zur Geschichte jüdischer Familien in Wassenberg neu gestaltete Platz der ehemaligen Synagoge - eine Anregung des Heimatvereins.

Der mit einer Gedenktafel zur Geschichte jüdischer Familien in Wassenberg neu gestaltete Platz der ehemaligen Synagoge - eine Anregung des Heimatvereins.

Foto: Laaser Jürgen

Mit dem Stichwort Kinderführungen ist der Bogen in die Zukunft gespannt. Heimatvereine leben mit dem Vorurteil, mehr oder weniger Seniorenclubs zu sein. Was Sepp Becker, selbst 73 Jahre alt, nicht von der Hand weist. Knapp über 500 Mitglieder zählt seit Kurzem der stetig wachsende Wassenberger Heimatverein, das Gros freilich in der Altersgruppe ab 60. Becker: "Wir spüren, dass immer mehr Menschen heutzutage die Pflege ihrer Interessen - und dazu gehört auch die Heimatgeschichte - auf die Zeit nach der Berufs- und Familienphase verschieben. Die Änderung des Berufsalltags von Männern und Frauen mit langen Pendlerwegen lassen für Hobbys wenig Zeit. Daher stoßen viele neue Mitglieder im Ruhestand zu uns, die sagen ,Jetzt haben wir endlich Zeit dafür.' " Deshalb glaubt Becker nicht daran, dass der Verein "ausstirbt". Es gibt die nachwachsenden Interessierten, die Geschichte der Heimat für sich entdecken - Mitglieder von morgen, das spürt Becker bei seinen Führungen. Deshalb ist dem früheren stellvertretenden Leiter der Betty-Reis-Gesamtschule auch die Arbeit mit Kindern so wichtig. "Man muss früh Samen säen", sagt er. Und er erinnert sich an seinen alten Volksschullehrer, der bei ihm mit spannenden Geschichten und Sagen früh Interesse an der Heimatkunde weckte. Dies versucht Becker heute auch Lehrern in Stadtrundgängen zu vermitteln, zu denen alljährlich etwa die neuen Kolleg(inn)en an der Betty-Reis-Gesamtschule eingeladen sind. Dies entbinde die Heimatvereine freilich nicht davon, sich stetig weiterzubewegen: neue Themenfelder zu erspüren und digitale Vermittlungsformen auszubauen.

(RP)
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