Erkelenz Ute I. traurig: "Die Natur hat uns ausgebremst"

Erkelenz · Krisensitzung, Orkanwarnung, Risiko zu hoch: In Erkelenz wurde der Karnevalszug abgesagt, stattdessen Party in der Stadthalle und spontane Zusammenkunft junger Karnevalisten auf dem Burgparkplatz. Der Zug wird nachgeholt, ein Termin gesucht.

Rosenmontagszug in Erkelenz abgesagt
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Rosenmontagszug in Erkelenz abgesagt

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Foto: Laaser, Jürgen (jl)

Betretene Gesichter gestern Morgen beim Prinzenempfang im Alten Rathaus. Hektisch telefonierende Blau-Weiße und eine Prinzessin, die Mühe hat, Schluchzer zu unterdrücken. Kein Rosenmontagszug in Erkelenz - wie am 26. Februar 1990. "Wir sind unendlich traurig, aber die Sicherheit aller Teilnehmer geht vor. Wir holen kurzfristig den Zug nach", hatten kurz zuvor EKG-Vorstand und das Prinzenpaar auf der Facebook-Seite der Erkelenzer Karnevalsgesellschaft informiert. Die Stadthalle werde um 14 Uhr geöffnet, teilte Sitzungspräsident Klaus Reul mit und betonte: "Wir freuen uns auf das, was kommt, und sind froh, dass nichts passiert ist."

Die traurige Nachricht gar nicht vertiefen wollte Zugleiter und Literat Helmut Jopen. "Ich glaube, die Entscheidung war richtig", sagte er nur und übergab das Wort an Bürgermeister Peter Jansen. Seit Tagen habe man die Botschaft vom nahenden Sturm gehört, erklärte Jansen. Er habe den Blick stetig auf die Wetter-App vom Katastrophenschutz gerichtet. Und die Warnstufe sei am Morgen noch einmal höher gesetzt worden. "Wenn wir Glück haben, wird es nur Windstärke 8", sagte Peter Jansen und bekräftigte: "Die Entscheidung war richtig." Zu diesem Zeitpunkt werden in der Innenstadt bereits die Straßensperren wieder abgebaut, die zuvor für den Rosenmontagszug aufgebaut worden waren.

Ein heiserer Prinz Michael rang um Worte. "Es sind Dinge eingetreten, die uns betroffen machen", brachte er schließlich heraus. Bei aller Traurigkeit über das Wetter - seiner Lieblichkeit seien schon Tränchen gekommen - rief er die Narren aber auf: "Macht das Beste daraus!" Ute I., der Prinzessin "möt Hätz", war das Herz natürlich schwer. "Die Natur hat uns mit aller Macht ausgebremst", meinte sie beim Prinzenfrühstück. "Wir wollten heute den Höhepunkt der Session erleben . . ." - da brach ihre Stimme, und sie musste sich kurz wieder fassen. "Das fällt leider ins Wasser", fuhr sie fort. "Wir hoffen, dass alles in Kürze nachgeholt wird. So viele Menschen haben sich so viel Mühe gemacht." Prinzessin Ute geht fest von einem Nachholtermin aus, auch wenn der noch nicht feststeht: "Wir haben den Prinzenwagen hoch voll mit Wurfmaterial, das sollte definitiv geworfen werden!" Man hoffe auf Unterstützung der Kirche, vielleicht könne "zu anderer Zeit und an anderem Ort" gefeiert werden.

Das Wetter in Erkelenz um 14.11 Uhr: heiter, neun Grad, trocken, Windgeschwindigkeit um die 47 km/h. Die Beine der Möhnen am Alten Rathaus baumelten sacht im Wind. Allerdings bestand immer noch Warnung vor Sturmböen bis in die Nacht. In sozialen Netzwerken im Internet wurde heftig diskutiert, ob Erkelenz zu vorsichtig war. "Und wenn was passiert wäre, würde es wieder heißen: Wieso hat das keiner abgesagt? Respekt an alle Verantwortlichen", wurde auf der Facebookseite der RP Erkelenz ebenso geschrieben wie: "Man kann auch übertreiben."

"Auf nach Merbeck!" schrieb einer. Und dahin machten sich viele Narren auf, unter anderem aus Holzweiler. Die Merbecker Karnevalsgesellschaft MKG 92 postete auf ihrer Facebookseite um 12.42 Uhr einen Hinweis an die "lieben Karnevalsfreunde aus dem Umland, dass wir keine weiteren Fahrzeuge (Karnevalswagen) für unseren Zug um 14.11 Uhr aufnehmen". Eine Stunde lang zog schließlich ein spontan verlängerter Zug durch den kleinen Wegberger Ort, und die Narren dort waren sich einig: "Solch einen Zug haben wir selten erlebt!" "Höchsten Respekt" hatte der Erkelenzer Bürgermeister Peter Jansen gestern den EKG-Verantwortlichen gezollt und kurz vor dem abgesagten Start des Rosenmontagszugs die Entscheidung nochmals bekräftigt: "Der Zug war ja nicht verboten, aber das Risiko erschien zu groß." Der EKG-Vorstand habe sich zwei Tage mit Polizei, Ordnungsamt und DRK ausgetauscht und aufgrund der Unwetterwarnung "Stufe rot" den Stopp beschlossen. Man habe auch befürchtet, dass viele Wagen aus Nachbarorten spätestens auf dem Nachhauseweg über Straßen an freiem Feld in Gefahr geraten.

Wann nachgefeiert wird, steht noch in den Sternen. "Damals im Mai waren wenig Leute da und die Stimmung nicht so schön", erinnerte sich Jansen an 1990. Aber im Frühjahr fülle sich der Terminkalender der Stadt. Großveranstaltungen wie das Bundesköniginnentreffen oder der Fahrradfrühling stehen an. Der Bürgermeister schlug gestern "das letzte Osterferienwochenende" vor.

Abgesagt wurden gestern auch die Züge in Gangelt, Oberbruch sowie etliche in Mönchengladbach. Als die Botschaft durchdrang, dass der Karnevalszug in Erkelenz nicht stattfinden wird, waren die Straßen leer. Lediglich hier und dort trotteten vereinzelte Narren durch die Gassen. Vor dem Alten Rathaus hatte sich eine Gruppe junger Männer versammelt. Sie waren aus Mönchengladbach und Jüchen angereist und tranken nun ihren Kasten Bier in ruhiger statt in lauter Atmosphäre. "Wir sind ein bisschen ratlos, wie wir nun unseren Tag verbringen. Wahrscheinlich werden wir dem Bucanero einen Besuch abstatten", sagte einer. Auf der gegenüberliegenden Seite saß ein Mann auf der Treppe eines Wohnungseingangs. Er war kostümiert, blickte betrübt auf den Boden. "Ich warte hier auf den Rest meiner Gruppe. Wir wären eigentlich mitgezogen, aber nun kommen statt unserer 80 Leute nur fünf", sagte René Joachims und schaute aufs Handy. Er stehe nicht voll hinter der Entscheidung, den Zug abzusagen, da auch bei Regen oder Glatteis immer eine Gefahr bestehe, aber er müsse es akzeptieren.

Ein Alternativprogramm fand in der Stadthalle statt. Auf dem Weg dorthin war um 14 Uhr, die Zug hätte jetzt losrollen sollen, wenig los. Doch vor der Stadthalle wurde es etwas lauter. Die "Uschis" hatten sich dort versammelt und haderten mit ihrer Entscheidung, in die Halle zu gehen. Als Gärtner verkleidet waren sie fest in den Karnevalszug eingeplant. "Ich finde es unnötig, und die Entscheidung wurde mit halb zehn zu früh gefällt", sagte eine.

In der Stadthalle ist die Stimmung etwas besser. Dort haben sich vor allem die Prinzen- und Funkengarde der EKG versammelt und natürlich das Prinzenpaar. Dieses ist enttäuscht, aber verantwortungsbewusst. "Wir haben uns dazu entschieden, weil wir kein Prinzenpaar sein möchten, in dessen Amtszeit jemand verletzt werden könnte. Deshalb haben wir den Zug schweren Herzens abgesagt", bekräftigte Prinzessin Ute das am Morgen Verkündete. Prinz Michael I. fügte hinzu, er fühle sich antriebslos, jetzt trotzdem zu feiern: "Wozu das alles? Ich hätte mich am liebsten auf die Couch gelegt und Fußball geschaut." Wunsch der Prinzessin sei es, den Zug in zwei bis drei Wochen nachzuholen. Der Anlass könnte an das belgische Fest "Mitfasten" angelehnt werden, wo die Mitte der Fastenzeit mit Umzügen gefeiert wird.

Eine Freiluft-Party stieg ab dem Nachmittag spontan auf dem Burgparkplatz. Dort, wo eigentlich der Zugausklang stattfinden sollte, versammelten sich viele Jugendliche, zeitweise auch vier Karnevalswagen mit Musik. Unter den Partygästen war Marcel Meuser. Er und seine Gruppe hatten eine Musikanlage mitgebracht. Auch sie sorgten dort für Stimmung. "Es ist schade, aber wir feiern weiter. Wir lassen uns das nicht versauen", sagte er.

Sturmschäden meldete die Kreisleitstelle von Rosenmontagnachmittag nur wenige: "Ein umgekippter Baum in Geilenkirchen, und vom Dach des Amtsgerichtneubaus in Erkelenz wurden Dämmplatten geweht, die dort zum Verbauen lagen. Die Feuerwehr räumte sie weg. Nirgendwo kam einer zu Schaden." Polizeisprecher Karl-Heinz Frenken sprach am frühen Abend von weitgehend ruhigen Umzügen und der Spontan-Party an der Burg: "Jedoch musste mit der Feuerwehrdrehleiter ein 17-Jähriger von einem Vordach der Lambertus-Kirche geholt werden, auf das der Erkelenzer gegen 17 Uhr alkoholisiert geklettert war. Er wurde den Eltern übergeben."

(RP)
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