Erkelenz: "Stühlerückwärtszooch" mit Akkordeon

Erkelenz: · Die Erkelenzer Traditionsgaststätte Corsten hat ausgezapft. Das macht die rührigen Karnevalsfreunde Brückstraße überraschend heimatlos. Mit der Gaststätte sind viele uralte Geschichte der Stadt sehr eng verbunden.

 Nach einem zünftigen Bierfassleeren mit vielen treuen Stammgästen hat das Wirt-Ehepaar Anita und Peter Mertens seine Traditionsgaststätte Corsten an der Brückstraße zum Ende des Monats für immer geschlossen.

Nach einem zünftigen Bierfassleeren mit vielen treuen Stammgästen hat das Wirt-Ehepaar Anita und Peter Mertens seine Traditionsgaststätte Corsten an der Brückstraße zum Ende des Monats für immer geschlossen.

Foto: JÖRG KNAPPE

Und wieder ist ein Kapitel aus dem Buch mit Erkelenzer Traditionsgeschichten zugeklappt worden: Nach einem zünftigen Bierfassleeren mit vielen treuen Stammgästen hat die Gaststätte Corsten, die seit 1959 auf der Brückstraße 59 in ihren Gastraum mit langer Ecktheke einlud, zum Ende des Monats für immer geschlossen. Dem Wirt-Ehepaar Anita (63, geborene Corsten) und Peter (66) Mertens ist dieser Schritt nicht leichtgefallen: "Doch irgendwann ist der Zeitpunkt gekommen, wo auch wir an uns denken müssen, auch wenn es eine sehr schöne Zeit war, die wir sehr vermissen werden. Aber wenn die Gesundheit Probleme bereitet und zudem keines der drei Kinder (zwei Söhne, eine Tochter) in unsere Fußstapfen treten will, dann muss der Schlussstrich zwangsweise gezogen werden", verschlägt es Wirtin Anita die Stimme, ist sie als Tochter des Hauses doch quasi am "Corstenschen Zapfhahn" groß geworden. Denn ein Jahr vor Anitas Geburt hatten ihre Eltern Gertrud und Wilhelm Corsten im Jahre 1952 die nebenan (Hausnummer 57) liegende Uraltgaststätte Bruns (heute Druckerei Maßen) übernommen, die dann 1959 nach Aufbau des Trümmergrundstückes als Gaststätte Corsten in die Nummer 59 zog.

Dort entwickelte sich für Wilhelm und Gertrud eine Erfolgsgeschichte und für den Hausherrn schloss sich damit ein Kreis, hatten seine Eltern in Oberwestrich nicht nur einen Bauernhof bewirtschaftet, sondern auch eine Dorfkneipe. "Coschte Will" war ein Wirt, der seine herzliche Deftigkeit aus dem nach wie vor betriebenen Viehhandel zog, am Gasttisch als Unterhalter und Kumpel glänzte, dem Ehefrau Gertrud aber auch am Zapfhahn den Rücken freihielt zu knackigen Skat- oder Tupprunden mit Freunden. Weit weg vom neuzeitlichen Rauchverbot bedurfte es damals oft eines Besenstiels, um von dicken Zigarren oder Zigaretten produzierte Rauchschwaden zu durchtrennen. Das störte damals aber niemanden.

Und es ging auch weiter als "Will" 1969 viel zu früh verstarb, 35 Jahre bis zur Übergabe 2004 an Anita war Gertrud eine beliebte Wirtin "eine richtig gute wie aus dem Effeff", ist sie noch heute in Erinnerung. Wie übrigens auch Geschichten, die die Gaststättenwände preisgeben könnten. So unter anderem den "Stühlerückwärtszooch": Da ging es auf Kneipenstühle sitzend zur Vordertüre raus auf die Brückstraße und zum seitlichen Torbogen über den Hof hinten wieder rein in die Kneipe. Angeführt wurde der "Zooch" von Nachbar Hans Görtz mit dem Akkordeon. Eigentlich verrückt, aber schön, wie auch die damalige Zeit mit ihren Erkelenzer Originalen, die eigentlich nie auf den sonntäglichen Frühschoppen verzichteten: "Büb" Lucas, Thevessen Hein, Hermann Reiners, Hubert Welters in Begleitung von Vater Johann, Vieten "Hubbel" und Kurt (vom Beerdigungsunternehmen), "Pitter" Bündgen, "Pittschack" Schoenmackers, Helmut Karbach, Manfred "Bieber" Krahe, Karl Hüben, Wilhelm "Sparkasse" Mergelsberg, "Pitter" Heitzer, "Balg" Siemons, Mäntze Hein und Leo Matzerath, der Frisör, der auch schon mal im Gastraum kurzfristig mit der Schere zur Verschönerung eines Kopfes Hand anlegte.

Bei Corsten gab es gelegentlich auch Tauben- und Kanarienvogelausstellungen und Kaninchenbewertungen, fühlte sich in den 1960/70er Jahren die Fußball-A-Jugend des SC 09 Erkelenz wohl, tagten die "Maiböck", die nicht nur am 30. April den Maibaum schräg gegenüber auf der Brückstraße an der ehemaligen Gärtnerei Bündgen mit Grillvergnügen aufstellten, sondern im Hof der Gaststätte auch einen Kindermaibaum von Kids schmücken ließ.

Für besondere Belebung sorgte schließlich seit 1983 das Karnevalstreiben, das sich zunächst "KGB" (Karnevalsgesellschaft Brückstraße) nannte und dann 1991 in die Karnevalsfreunde Brückstraße (KFB) überging mit Fürstin und Fürst oder Dreigestirn. Von Kennern wurden die Aktivitäten der KFB geadelt zum "Kneipenkarneval erster Güte". Wie es mit den KFBlern nach der Schließung der Traditionsgaststätte Corsten, die für sie völlig überraschend kam, nun weitergeht, das wollen Vorsitzender Helmut Groob und Sitzungspräsident Hans-Walter Papst mit den fast 60 Mitgliedern in einer außerordentlichen Sitzung herausfinden. Dass der sensationell gute Auftritt der KFB-Musik-Oldies Hennes Welters, H.W. Papst, Friedel Bündgen, Peter Schoenmackers und Hubert Corsten bei der großen KFB-Samstagssitzung den letzten tosenden Beifallsvorhang bekommen haben soll, das wollen sie eigentlich nicht glauben. Die Erinnerung an über 60 Jahre Gaststättentradition Corsten wird zwar bleiben, nun sind aber zukunftsträchtige Gedanken und Ideen gefordert. Maak Mött.

(h.g.)
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