Erkelenz Tagebau-Anrainer sehen in einer neuen Stadt im Revier keine Vision

Erkelenz · Das Dienstag veröffentlichte Thesenpapier "NRW 2030" der SPD-Landtagsfraktion wird als Auftakt zu einer Diskussion begrüßt. Erkelenz und seine Nachbarn wollen aber einen anderen Weg verfolgen.

 Skizze zur Zukunft des Tagebaus Garzweiler aus einer Planungswerkstatt im September mit vier renommierten Planungsbüros.

Skizze zur Zukunft des Tagebaus Garzweiler aus einer Planungswerkstatt im September mit vier renommierten Planungsbüros.

Foto: Plan B (Archiv)

Skepsis herrschte gestern in den Kommunen rund um den Tagebau Garzweiler das Thesenpapier "NRW 2030" betreffend, welches die SPD-Landtagsfraktion tags zuvor in Düsseldorf vorgestellt hatte. Darin wird angeregt, als einen Beitrag zum Strukturwandel im Rheinischen Revier die "modernste Stadt Europas" zu bauen: "Mit dem Erfahrungsschatz der Stadtplaner schaffen wir sozialen Zusammenhalt, ökologische Nachhaltigkeit und wirtschaftlichen Erfolg an einem Ort."

Es sei wichtig, mehr über das "gedachte Gesamtszenario" zu erfahren, um die Idee "endgültig beurteilen" zu können, betonte Peter Jansen, Bürgermeister von Erkelenz. So aber "entsteht ein wenig der Eindruck, dass man nur einfach zu steuernde große Einheiten mag und nicht ländliche Strukturen". Grundsätzlich jedoch wurde rund um den Tagebau Garzweiler positiv aufgenommen, dass die Landesregierung sich mit dieser Region intensiv beschäftigen will.

Experten von vier angesehenen Stadtplanungsbüros hatten im September auf Einladung von Mönchengladbach, Erkelenz, Titz und Jüchen gemeinsam erste Ideen entwickelt, wie die Tagebaufolgelandschaft einmal aussehen könnte. Sie schlugen zum Beispiel vor, frühzeitig rund um das Gebiet einen 70 Kilometer langen, von einem Fahrradweg durchzogenen Grüngürtel anzulegen, der touristisch zu nutzen ist, der vor allem aber die Dörfer am Tagebaurand vor den vorbeiziehenden Schaufelradbaggern schützt. Für das Innere des Gürtels schwebte den Planern Anderes vor. Beispielsweise ein Gebiet zur Förderung von Start-up-Unternehmen, wo sich heute auf vor allem Jüchener Gemeindegebiet das Tagebauloch befindet. "Wir glauben, dass es wichtig ist, mehr zu gestalten als eine platte Landschaft", hatte Verena Brehm von KuiperCompagnons aus Rotterdam betont. "Dieser entstehende Raum kann die Anforderungen und Bedarfe des stark besiedelten Umlands decken, von Aachen, über Köln und die Rhein-Schiene hinauf." Flächen für Freizeit, für innovative, verschiedenartige neue Siedlungsformen und für Aufforstung seien denkbar. Sie riet als Stadtplanerin dazu, "nach innen etwas Neues" zu entwickeln. Gesprochen wurde von einer Art Innovation-Valley.

Derzeit überlegen die vier Kommunen, einen Zweckverband zu gründen, um gemeinsam aus dem Planungsworkshop heraus Ideen weiterzuentwickeln. Der Umweltausschuss in Mönchengladbach hat dies am Dienstag bereits dem Stadtrat zur Umsetzung empfohlen.

Im Grunde positiv bewertete deshalb Hans Wilhelm Reiners, Oberbürgermeister von Mönchengladbach, das SPD-Thesenpapier: "Das Signal der Tagebaurandgemeinden ist ganz offensichtlich in Düsseldorf angekommen. Ich sehe dies als Wertschätzung unserer gemeinsamen Arbeit im Planungsverband." Ähnlich formulierte es Jürgen Frantzen, Bürgermeister von Titz: "Bei mir verstärkt sich dadurch der Eindruck, dass die besonderen Sorgen und Herausforderungen im Rheinischen Revier in Düsseldorf angekommen sind." Jüchens Bürgermeister Harald Zillikens stellte positiv fest, "dass das Papier unseren langjährigen Kerngedanken aufgreift, dass diese große freie Fläche wieder besiedelt werden soll".

Frantzen hielt die Idee einer neuen Stadt jedoch nur "für die zweitbeste": "Wir spüren heute schon großen Siedlungsdruck und dass die Ballungsräume zulaufen. Deshalb sollte nicht auf eine neue Stadt auf der grünen Wiese gewartet werden, sondern die vorhandene Infrastruktur - vom Kanal bis zu den Schulen - der Kommunen am Tagebaurand genutzt und erweitert werden können." Darauf sei von der Landesregierung bei ihrer Regionalplanung hinzuwirken. Für die Kommunen an allen drei Tagebauen seien zusätzliche Planungsreserven zu schaffen oder zumindest keine vorhandenen wegzunehmen. Ein Punkt, auf den auch der Erkelenzer Bürgermeister einging: "Auch wir wollen Zukunftskonzepte erarbeiten, damit das Leben in der ländlichen Region verbessert werden kann, Stichworte: Infrastruktur, Verkehr, nachhaltiges Bauen. Dabei wollen wir die Strukturen aber optimiert erhalten. Durch Landesregeln wird die Siedlungsentwicklung aber eingeschränkt. Diesen Widerspruch - große neue Stadt im ländlichen Raum anstatt Entwicklung vorhandener Strukturen - muss das Land dann noch aufklären."

Deutlicher in seiner Bewertung wurde Mönchengladbachs Oberbürgermeister Reiners, der aber auch dazu aufforderte, den Impuls des SPD-Papiers für die Region zu nutzen: "Ob die Errichtung einer neuen, sicherlich auch künstlichen Stadt im Tagebaubereich die richtige Antwort auf die drängenden Zukunftsfragen dieser Region ist, wage ich zu bezweifeln. Wir haben den Fokus klar darauf gelenkt, die betroffenen Menschen dieser Region mitzunehmen und mit ihnen gemeinsam in einer Art Drehbuch die zukünftige Entwicklung zu planen. Hier sind wir bereits auf einem sehr guten Weg."

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hatte Dienstag schon erwartet, dass der Vorstoß für eine "Zukunftsstadt" kontroverse Debatten auslöst. Dies sei aber eine Idee, über die es zu diskutieren lohne: "Ich glaube, dass wir Visionen brauchen."

(spe)
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