Interview Hanna Masuhr Wir brauchen in Schulen Verbraucherbildung

Erkelenz · Hanna Masuhr, Leiterin der für das Erkelenzer Land zuständigen Verbraucherzentrale in Rheydt, geht nach 42-jähriger Tätigkeit in den Ruhestand. Sie erzählt, was ihr kniffligster Fall war und wie sie die unsichere finanzielle Situation der Einrichtung belastete.

Interview Hanna Masuhr: Wir brauchen in Schulen Verbraucherbildung
Foto: Ilgner Detlef (ilg)

Frau Masuhr, Sie haben in den 1970er Jahren Ökotrophologie studiert. Was hat Sie dazu bewogen, diese Studienrichtung zu wählen?

Masuhr Für dieses Studium bin ich nach Mönchengladbach gekommen. Angefangen habe ich noch an der Maria-Lenssen-Schule, dann wechselte ich an die damalige Fachhochschule. Eigentlich wollte ich Lehrerin werden, aber als ich fertig wurde, war das mit dem Abschluss nicht mehr möglich. Eine meiner Lehrerinnen, die auch Ratsherrin in Rheydt war, machte mich damals auf die Verbraucherzentrale NRW aufmerksam. Es sollte auch in Rheydt eine Beratungsstelle eingerichtet werden. Ich habe dort im September 1973 angefangen und bin seitdem dabeigeblieben. Es gab nur kurze Unterbrechungen durch die Geburt der Kinder.

Können Sie sich noch an Ihr erstes Beratungsgespräch erinnern?

Masuhr Ja, eine Verbraucherin kam wegen einer Reinigungsreklamation. Es ging um ein Polster. Ich war aber nicht erfolgreich damit.

Wie sah Ihre Arbeit in den Anfangsjahren aus? Warum kamen die Menschen zur Verbraucherberatung?

Masuhr In den 70er Jahren war die Arbeit eine ganz andere. Wir haben in erster Linie Vor-Kaufsberatung gemacht. Die Beratungsstelle sah aus wie ein gut sortierter Elektrohandel. Wir haben die Elektrogeräte erklärt und gezeigt, worauf die Kunden achten mussten. Ich kannte jedes Haushaltsgerät in- und auswendig. Es ging um Wirtschaftlichkeit, um Verbrauch, um effiziente Haushaltsführung. Viele glaubten ursprünglich, wir würden in erster Linie Hausfrauen beraten. Das war aber nie so. Preisvergleiche gehörten ebenfalls zu unseren Aufgaben. Wir konnten sagen, wo es ein Gerät am günstigsten gab. Wir haben aber auch Beratungen in Bereichen gemacht, wo es heute eigentlich unvorstellbar ist, zum Beispiel haben wir Kohleberatung gemacht und sogar eine Schweinezerlegungs-Aktion gemeinsam mit der Innung, um Konsumenten über den richtigen Einkauf und die Verwendung von Fleisch aufzuklären.

Hat sich denn damals Ihre Tätigkeit auf Ihr Privatleben ausgewirkt? Zum Beispiel, wenn Sie Geräte gekauft haben?

Masuhr Ja, Spontankäufe gab es eigentlich nicht. Bevor wir etwas gekauft haben, und sei es ein Mixer, haben wir uns informiert. Das konnte dann schon eine Woche dauern.

Wann und vor allem wie hat sich Ihre Tätigkeit geändert?

Masuhr Es war ein entscheidender Einschnitt, als den Verbraucherzentralen die Rechtsberatung und die außergerichtliche Rechtsvertretung erlaubt wurde. In diesem Bereich liegt heute der größte Teil unserer Tätigkeiten. Die Anwälte waren ursprünglich sehr skeptisch, aber inzwischen ist das Verhältnis sehr entspannt ebenso wie zu den Gewerken und zum Einzelhandel. Alles in allem ist die Arbeit aber intensiver und schwieriger geworden, wir haben weniger Zeit, stehen aber vor sehr komplexen Fragestellungen und Problemen.

Die Existenz der Verbraucherzentrale in Rheydt stand mehrfach auf der Kippe, weil es unklar war, ob die Stadt ihren Eigenanteil an der Finanzierung würde leisten können. War die Ungewissheit zermürbend?

Masuhr Die Finanzfrage hat sich wie ein roter Faden durch meine Berufsjahre gezogen. Ich liebe diese Arbeit, es ist meine Leidenschaft. Aber es gab immer den Kampf ums Geld. Das Problem ist, dass die wichtige Aufgabe des Verbraucherschutzes sich zwar rechnet, aber nicht wirklich in Zahlen ausdrücken lässt. Nur bei einigen Projekten - wie jetzt das zur Energiearmut - kann man zeigen, dass die Kommune letztendlich auch Mittel spart, wenn rechtzeitig ein Abrutschen der Haushalte verhindert wird. Der Kampf ums Geld ging auch an die Substanz. Man fühlt sich auch persönlich angegriffen. Ich finde es sehr bedauerlich, dass die Verbraucherzentralen es noch nicht geschafft haben, den Verbraucherschutz als Pflichtaufgabe des Staates zu etablieren.

Verbraucherschutz ist auch Lobby- und politische Arbeit. Wie politisch ist Hanna Masuhr?

Masuhr Ich bin parteipolitisch nicht gebunden, obwohl Verbraucherschutz politisch immer bei bestimmten Parteien angedockt wird. Ich habe nie verstanden, warum es immer schwieriger war, alle politischen Parteien von der Bedeutung der Verbraucherzentrale zu überzeugen. 1989 war ein einschneidendes Jahr. Damals stand die Arbeit wirklich auf der Kippe. Wir standen auf der Straße und haben Unterschriften gesammelt. Spätestens da war mir klar, wie wichtig die Vernetzung für unsere Arbeit ist.

Was war Ihr kniffligster Fall?

Masuhr Wir haben in den 80er Jahren immer häufiger Schuldnerberatung gemacht. Das hat mir sehr am Herzen gelegen, aber das waren schwierige Fälle. Man musste zum Teil mit sehr vielen verschiedenen Gläubigern sprechen. Es war aber ein gutes Gefühl, wenn wir es nach ein bis zwei Jahren geschafft haben, einen Haushalt wieder auf sichere Beine zu stellen. Wir hatten uns vorher eher mit der Mittelschicht auseinanderzusetzen, jetzt kamen auch die Menschen mit sozialen und finanziellen Problemen in die Beratung. Das war nicht immer einfach.

Gab es Situationen, bei denen Sie wussten, dass Verbraucher hinters Licht geführt werden, aber Sie und Ihre Kollegen nicht helfen konnten?

Masuhr Ja, es gibt diese Fälle, wo Leute über den Tisch gezogen werden, wir aber wissen, dass man nichts machen kann. Das tut weh. Wir leben in einem Rechtsstaat, aber nicht immer gelingt es, sein Recht auch durchsetzen. Ich habe es aber auch immer als unsere Aufgabe gesehen, den Menschen den Rücken zu stärken und ihnen zu helfen, mit einer Situation zu leben, die man nicht ändern kann.

Haben Sie etwas nicht erreicht, was Ihnen am Herzen gelegen hat?

Masuhr Ich bedauere, dass wir die Verbraucherbildung nicht stärker in den Schulen verankern konnten. Wir haben zwar viel gemacht, aber es fehlt immer an Geld in diesem Bereich. Dabei wäre es sehr wichtig, Kindern und Jugendlichen wirtschaftliche Kompetenzen zu vermitteln. Schließlich werden sie sehr früh als Zielgruppe angesprochen. Der Verbraucher-Alltag wird immer komplexer, die Eigenverantwortlichkeit des Verbrauchers ist enorm gewachsen. Es kostet viel Kraft, sich mit allen Möglichkeiten und Fallstricken auseinanderzusetzen. Deshalb müsste man früh anfangen und die Schüler spielerisch an die Marktmechanismen heranführen.

A. RIETDORF UND D. WEBER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH; FOTO: I. RAUPOLD.

(RP)
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