Geldern Archiv braucht den mutigen Neuanfang

Geldern · Schimmel, Berge ungesichteten Materials, ganz neue Öffentlichkeitsarbeit: Gelderns neuer Archivar braucht Mut, um überhaupt loszulegen. In die großen Forscher-Fußstapfen von Vorgänger Stefan Frankewitz wird niemand mehr treten.

 Das Gelderner Archiv, über das Dr. Peter Weber vom Landschaftsverband Rheinland sagt: "Wir haben einen großen Bewertungsrückstau". Mindestens 495 laufende Meter Akten sind nicht gesichtet. Außerdem ist ein Fünftel des Bestands von Schimmel betroffen.

Das Gelderner Archiv, über das Dr. Peter Weber vom Landschaftsverband Rheinland sagt: "Wir haben einen großen Bewertungsrückstau". Mindestens 495 laufende Meter Akten sind nicht gesichtet. Außerdem ist ein Fünftel des Bestands von Schimmel betroffen.

Foto: Stadt Geldern

Das Gelderner Stadtarchiv in Ordnung zu bringen wird eine Mammutaufgabe. Und das, was der ehemalige Archivar Stefan Frankewitz an wissenschaftlicher Arbeit geleistet hat, ist für niemanden mehr zu schaffen. Das ist das Fazit der Bestandsaufnahme, das der Experte Dr. Peter Weber vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) am Donnerstagabend im Kulturausschuss erörterte.

"Wir haben einen großen Bewertungsrückstau", stellte er fest. Mindestens 495 laufende Meter Akten, zurückreichend ins Jahr 1969, sind nicht gesichtet. Um allein das aufzuholen, wäre eine Fachkraft drei Jahre lang vollzeitbeschäftigt.

Überhaupt wird im Gelderner Archiv zu viel eingelagert: Geschätzt etwa 20 Prozent aller Verwaltungsunterlagen. Der Erhalt kostet viel Geld und macht die Lage nicht übersichtlicher. "Es muss sich im Bereich von fünf bis zehn, vielleicht auch zwölf bis 15 Prozent einpendeln", so Weber. Andererseits sind größere Mengen Unterlagen, die es noch geben müsste, nicht auffindbar. Wo etwa 10 000 Akten sein sollten, liegen nur 1000.

Das nächste Problem: "Wir haben einen ungemein hohen Schimmelbefall", so Weber. Ein Fünftel des Bestandes ist betroffen. Der Durchschnitt in anderen Archiven liegt bei drei Prozent. Webers Schlussfolgerung: "Wir haben vermutlich ein Klimaproblem im Archiv." Und der Schimmel schade nicht nur den Dokumenten, "da haben Sie auch ein Arbeitsschutzproblem".

Eiligst müsse man - unabhängig vom Schimmel - Mittel gegen den Zerfall des Papiers ergreifen. Andernfalls stehen irgendwann umso teurere Restaurierungsarbeiten an.

Eine Kritik des Experten dürfte viele Gelderner schmerzen. Archivar Stefan Frankewitz war, was seine Publikationen angeht, unfassbar produktiv, und das "wissenschaftlich-forscherisch auf einem unglaublich hohen Niveau". Das sei im Vergleich zu anderen Städten herausragend, "erste Sahne". Aber, so Weber: "Eine pro-aktive Öffentlichkeitsarbeit mit Marketingelementen, die auch ein nicht-vorgebildetes Publikum im Blick hat, ist nicht erfolgt." Der neue Archivar müsse die Jugend mehr ansprechen, Schulen einbeziehen, generell "mehr nach außen gehen".

Ein quasi neu aufzurollendes Arbeitsfeld ist die "Digitale Welt". Es geht es um die Digitalisierung von Archivmaterial, aber auch um die Langzeit-Speicherung von ohnehin digitalen Quellen - also von Daten, die es gar nicht auf Papier, sondern nur noch im Computer gibt. Auch die müssen gegen das Vergessen gesichert werden. Und nicht zuletzt geht es um die Präsentation: Im Internet sei die Bestandsübersicht des Archivs auf dem Stand von 1994.

Ziel des "neuen" Archivs sollte es auch sein, mehr Alltagskultur und "nichtamtliche Überlieferungen" festzuhalten: Material von Bürgern, aus Nachlässen, aus Privat-, Vereins- oder Firmenbeständen.

Die Aufarbeitung der Aktenberge seit 1969, schlägt Weber vor, sollte rasch als Projekt mit mehreren dafür angeheuerten Kräften erfolgen.

Die große Gefahr für den neuen Archivar sei die Überforderung, stellte Weber fest. Klar ist: Pensum und Niveau von Frankewitz' Publikationen sind nicht zu halten.

Bei den Politikern im Kulturausschuss machte sich nach Webers Ausführungen ein gewisser Fatalismus breit: Die Aufgabe sei "im Prinzip nicht zu leisten", man brauche "die eierlegende Wollmilchsau".

Gesucht wird nun: Ein Archivar mit mit Historiker-Qualitäten, Managementfähigkeiten, digitaler Kompetenz, ausgeprägtem Kommunikationstalent - und Mut.

(RP)
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