Geldern Auf Wallfahrt in der Sonsbecker Schweiz

Geldern · Jahrhunderte lang pilgerten Gläubige zur Kapelle des Märtyrers Gerebernus. Jetzt soll der fromme Brauch wieder aufleben.

 Pfarrer Günter Hoebertz im Kriechaltar. Die Höhlung ist 98 Zentimeter hoch und 78 Zentimeter breit. Links Pastoralreferentin Gertrud Sivalingam. Die aus Emmerich-Vrasselt stammende Xantenerin war zuvor lange Zeit in Wesel tätig.

Pfarrer Günter Hoebertz im Kriechaltar. Die Höhlung ist 98 Zentimeter hoch und 78 Zentimeter breit. Links Pastoralreferentin Gertrud Sivalingam. Die aus Emmerich-Vrasselt stammende Xantenerin war zuvor lange Zeit in Wesel tätig.

Foto: Christoph Reichwein

Der Weg führt von Venlo über Geldern nach Xanten - eine uralte Römerstraße, an deren letzter Steigung vor der Norbertstadt am Hang der Sonsbecker Schweiz sich der schlanke Turm einer Kapelle erhebt. Sie gilt als Keimzelle der heute am Fuß des 87 Meter hohen Hügels gelegenen Gemeinde Sonsbeck und zog Jahrhunderte lang auch und gerade zu Ostern Scharen von Pilgern an. Hier finden sich die Reliquien des Gerebernus. Der Heilige irischen Ursprungs gilt als Schutzpatron bei Gicht, Lähmung und Epilepsie. Wie in so vielen Kirchen versiegte der Strom der Pilger nach dem Zweiten Weltkrieg. Jetzt wird die Wallfahrt in Sonsbeck wiederbelebt.

 Die St.-Gerebernus-Wallfahrtskirche am Rande der Sonsbecker Schweiz. Die acht Meter hohe gotische Turmspitze stammt aus dem 15. Jahrhundert.

Die St.-Gerebernus-Wallfahrtskirche am Rande der Sonsbecker Schweiz. Die acht Meter hohe gotische Turmspitze stammt aus dem 15. Jahrhundert.

Foto: Christoph Reichwein)

Was in den vergangenen Jahren zum Beispiel in Xanten-Marienbaum und Wesel-Ginderich in zunehmendem Maße gelingt, hat sicherlich auch in Sonsbeck eine Chance - nach und nach Menschen auf der Suche nach sich selbst, nach der Sinnhaftigkeit des Lebens zu unterstützen, wie es der Sonsbecker Pfarrer Günter Hoebertz nennt. Mit Marienwallfahrten wie in Ginderich und Marienbaum und erst recht Kevelaer sei das nicht vergleichbar, sagt der 48-jährige Theologe, der selbst als Kaplan in Kevelaer und lange Jahre als Pfarrer in Goch nach der Heiligsprechung des Gründers des Steyler Missionsordens, Arnold Janssen im Jahr 2005, als Rektor der Wallfahrt tätig war. Aber als - auch längerfristiges - Etappenziel sei eine Gerebernus-Wallfahrt sicherlich denkbar.

Besinnlichkeit soll Menschen hier umfangen, sagt der Geistliche. Und diese Ruhe findet ein (Fuß-)Pilger tatsächlich bereits auf dem Weg durch den Wald oder die Tiefebene zur Kirche, die auf dem Boden eines ehemaligen römischen Wachturms steht. Die Bergrandlage war in der Stauferzeit von den Kölner Erzbischöfen zu einem befestigten Hof ausgebaut worden, auf dem etwa um das Jahr 900 (laut anderen Quellen um 1200) eine erste Kapelle errichtet wurde. Sie war der Heiligen Katharina geweiht, für die die Grafen und Herzöge von Kleve eine gewisse Vorliebe hatten. Für die Bevölkerung des in der Ebene entstandenen, mit einer Stadtmauer umgebenen Sonsbeck und für viele Menschen selbst in der weiten Umgebung war und blieb sie aber die Gerebernus-Kapelle, da hier die Gebeine des Märtyrers aus Irland aufbewahrt werden.

Der mündlichen Überlieferung zufolge, so erzählt Gertrud Sivalingam, Pastoralreferentin in der Sonsbecker St.-Maria-Magdalena-Pfarrgemeinde, war der Priester Gerebernus um das Jahr 600 Erzieher von Dymphna, der Tochter eines irischen Stammesfürsten. Als dieser Dymphna nach dem Tod seiner zum christlichen Glauben bekehrten Frau heiraten wollte (was früher nicht unüblich war), floh sie mit Gerebernus ins belgische Geel. Dort wurden sie von ihrem Vater und dessen Soldaten entdeckt. Diese hatten einen Händler mit irischen Münzen bezahlt und waren von dem arglosen Mann mit der Auskunft bedacht worden, dass in der Nachbarschaft ein Paar lebe, das mit diesem Geld bezahle. Als sich die Geflüchteten weiter weigerten, dem Verlangen des Vaters nachzugeben, wurden sie geköpft - Dymphna gar von ihrem eigenen Vater. Ihre Gebeine blieben in Geel. Die des Gerebernus wurden von Xantenern geraubt (was zulässig war, wenn die Gebeine es zuließen) und gelangten an den Fuß der Sonsbecker Schweiz, wo die Zugtiere streikten. Dort wurde für die Reliquien halt die Kapelle gebaut, in der immer wieder Wunder geschehen sein sollen, die auch mehrfach von Päpsten schriftlich anerkannt wurden. "Eine fromme Legende", sagt Gertrud Sivalingam. "Diese Nähe aber kann heute noch jeder verspüren, der in dieser Kirche einfach seinen Gedanken nachgeht - über menschliche Beziehungen und Standfestigkeit, wie sie Dymphna und Gerebernus zeigten."

Und den Pilgern ist Gerebernus in der Sonsbecker Kapelle sogar ganz besonders nah. Durch den alten, im Jahr 1678 errichteten und immer noch ursprünglichen Gerebernus-Altar führt eine Art Tunnel - ein sogenannter Kriechaltar, wie es ihn in Europa nur ganz selten gibt. Durch den Unterbau des Altars im linken Seitenschiff krochen die Gläubigen auf allen vieren, um die Kraft der darin verborgenen Reliquien auf ihren ganzen Körper wirken zu lassen. Heilwirkungen versprachen sie sich bei Rückenleiden und Gicht. Die Spuren der kriechenden Pilger jedenfalls sind bis heute sichtbar. Mit ihren Holzschuhen haben sie eine tiefe Rille in den Steinboden gezogen.

Im wörtlichen Sinne "ganz nah" den Gebeinen sind Pilger hier aber nur noch einmal im Jahr - wenn die Reliquien im Juli in einem kostbaren Kreuz in einer feierlichen Prozession von ihrem Aufbewahrungsort in der Pfarrkirche im Ort in die Kapelle getragen werden. Besondere Prozessionen mit Predigten gab es früher mehrfach im Jahresverlauf - zur Vesper am Ostersonntag, zum Hagelfest im Mai mit Gebet und Almosenspende, auf dass Gott die Früchte der Erde segne und erhalte, zum Kirchweihfest am 17. September und zum Festtag von Dymphna und Gerebernus am 15. Mai. Und ein wenig von diesem regeren Wallfahrtsleben soll wiedererwachen.

Denn geblieben ist eben nur der Sonntag Mitte Juli, zu dem in diesem Jahr der frühere päpstliche Nuntius, Kardinal Karl-Josef Rauber, anreisen wird. Der ehemalige Diplomat des Vatikan, der heute bei den Schönstattschwestern in Ergenzingen am Neckar lebt, wird nach dem Pontifikalamt ein weiteres Mosaiksteinchen zur Wiederbelebung der Wallfahrt einweihen - ein Labyrinth (kein Irrgarten!) nach dem Vorbild der Kathedrale von Chartres, ein einziger verschlungener Weg, der auf möglichst langer Strecke vom Startpunkt zum Ziel führt.

Und das ist beileibe nicht die einzige Idee eines eigens ins Leben gerufenen Wallfahrt-Ausschusses für Sonsbeck. Es gibt bereits ein eigenes Heft mit Gebeten zur Wallfahrt und Wallfahrtskerzen, eigens gestaltete Leuchter. Auch die Infrastruktur stecke noch in den Anfängen, wissen Hoebertz und Sivalingam. Die ersten Gruppenbetreuer wurden gerade erst ausgebildet, und Gruppen könnten wohl auch in der Cafeteria des benachbarten Gerebernushauses, einer Senioreneinrichtung, verköstigt werden - nach Anmeldung. Noch aber fehlten zum Beispiel spezielle Flyer und erweiterte Literatur, für die allerdings der Verein für Denkmalpflege sorgen wolle. Dafür gibt es aber eine Menge ruhige Wanderwege zur Besinnung in der Umgebung. Und demnächst auch einen Dymphna-Taler aus Schokolade . . .

Die Wallfahrtskapelle St. Gerebernus liegt am Dassendaler Weg in 47665 Sonsbeck. Auskünfte unter Telefon 02838 91043510, Pfarrgemeinde Maria Magdalena stmariamagdalena-sonsbeck.de

(RP)
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