Geldern Der anti-rheinische Schutzwall

Geldern · Der Hochwasserschutz hat sich seit den 1990er Jahren verändert. Seitdem werden viele Bereiche umfangreich saniert. Deichbau ist teuer. Ein Kilometer kostet bis zu fünf Millionen Euro.

 Holger Friedrich, Geschäftsführer des Deichverbandes Bislich.

Holger Friedrich, Geschäftsführer des Deichverbandes Bislich.

Foto: van Offern

Im Jahr 1995 gab es einen richtigen Schuss vor den Bug. Der Pegel des Rheins stieg und stieg. Die Gesichter der Helfer am Niederrhein wurden immer besorgter. Sie standen oben auf den Deichen, die sich wie ein Schwamm vollgesogen hatten. An immer mehr Stellen kam das Wasser durch. Sandsäcke wurden geschleppt, Stunden gegen die Flut angekämpft, bis die Katastrophe abgewendet werden konnte.

Das Ereignis prägte und sorgte dafür, dass von allen Seiten vehement die Sanierung der Deiche gefordert wurde. Auch beim Deichverband Bislich Landesgrenze, dem größten des Landes, ist seitdem eine Menge passiert. Von 45 Kilometern Deich zwischen den Orten Wesel-Bislich und Emmerich-Elten an der niederländischen Grenze sind inzwischen 25 Kilometer saniert. Es gibt nicht wenige Stimmen, die klagen, dass das zu wenig ist. Auch der Deichverband selbst hätte gerne schon mehr Trassen erneuert. Doch die fertigen Pläne lagen teilweise lange bei der Bezirksregierung und wurden nicht bearbeitet. In einem Fall musste der Deichverband sogar eine komplett neue Planung anleiern, weil sich inzwischen die Anforderungen geändert hatten. Mittlerweile steht aber ein Zeitplan, den die Bezirksregierung abgesegnet und versichert hat, dass dann auch das nötige Geld zum Bau zur Verfügung steht.

Denn Deichbau ist teuer. Ein Kilometer Deich kostet vier bis fünf Millionen Euro, erläutert Holger Friedrich, Geschäftsführer des Deichverbandes. Hinzu kommen die Grunderwerbskosten. Bislang übernimmt das Land 80 Prozent, festgeschrieben ist das nicht. Ein Sprecher der Bezirksregierung erklärte dazu, aktuell sei keine Änderung der 80-Prozent-Förderung geplant.

Dass der Deich so teuer ist, hat eben auch damit zu tun, dass die Trassen heute viel aufwendiger sind. Denn das Hochwasser 1995 hat gezeigt, dass es mit reiner Höhe nicht getan ist. Wichtig ist vor allem, dass die Trasse standsicher ist. Dass sie eben nicht wie ein Schwamm aufweicht und dann nachgibt. Bis zum Beginn der Deichsanierung in den 90er Jahren waren die Trassen reine Lehmdeiche. Denn das Material war überall verfügbar. Inzwischen setzten die Experten auf einen so genannten Drei-Zonen-Deich. Dessen Stützkern besteht heute aus Sand. Zur Wasserseite gibt es eine Abdichtung aus Lehm, zur Landseite wird Filterkies eingesetzt. Die neuen Deiche sind etwa 70 bis 80 Zentimer höher und mit 60 Metern doppelt so breit wie die Deiche früher. Durch den Aufbau wird erreicht, dass die Deiche dem Hochwasser länger standhalten können. Sie weichen nicht so auf wie die alten Lehmdeiche.

Weiterer wichtiger Bestandteil der neuen Trassen ist der so genannte Deichverteidigungsweg. Das ist eine befestigte Straße an der Landseite, die auch bei Hochwasser befahrbar bleibt. So können auch LKW immer nahe an den Deich fahren, um dort etwa Sandsäcke abzuladen.

Diese Deichverteidigungswege haben zudem den charmanten Nebeneffekt, dass sie auch gerne als Radwege genutzt werden. In einem solchen Fall beteiligen sich die Kommunen an den Kosten, denn Grundsatz ist, dass der Deichverband nur die Kosten trägt, die auch wirklich dem Hochwasserschutz dienen.

Da Wasser keine Grenzen kennt, gewinnt die Zusammenarbeit den Niederlanden immer größere Bedeutung. Auch der Deichverband Bislich-Landesgrenze steht in ständigem Austausch mit den Nachbarn, gemeinsam gibt es Übungen und enge Absprachen. Interessant ist, dass Deiche in Deutschland und den Niederlanden in etwa gleich hoch sind. Während auf unserer Seite allerdings der Deichbau von Grund auf favorisiert wird, werden die Trassen im Nachbarland nur bedarfsweise erhöht und verbreitert. Auch gibt es in den Niederlanden keinen Deichverteidigungsweg.

Weiterer Baustein beim Hochwasserschutz ist die Retentionsfläche, die bei Hochwasser überspült werden. Um solche Areale zu schaffen, werden Deiche zurückverlegt. Ein Thema, das immer wieder zu Diskussionen führt, weil dafür eben auch Flächen geopfert werden müssen. Daher gibt es im Deichverband Bislich-Landesgrenze ein besonderes Projekt. Hier werden Baggerlöcher aus einer abgeschlossenen Kiesabgrabung genutzt. "Damit konnte der Verbrauch von landwirtschaftlichen Flächen weitestgehend reduziert werden", sagt Friedrich. Im Hochwasserfall wird dann hier "Wasser auf Wasser" geparkt.

Die Konzepte können so falsch nicht sein. Denn sogar eine Delegation aus China hat sich am Niederrhein bereits angesehen, was hier zu Lande beim Hochwasserschutz getan wird.

(RP)
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