Moers/Straelen Der Zahnarzt im eigenen Wohnzimmer

Moers/Straelen · Hans-Peter Willenborg besucht Patienten in deren vier Wänden - nach dem Dienst in seiner Moerser Praxis. Er hilft Senioren, Behinderten, Dementen. Spezialisten wie ihn gibt es in Deutschland noch sehr selten.

 Willenborg verlädt seine Ausrüstung auf einen Rollwagen.

Willenborg verlädt seine Ausrüstung auf einen Rollwagen.

Foto: Seybert Gerhard

Gerhard Brüx ist ein netter, älterer Herr. Beim Gespräch mit dem 78-Jährigen im rustikalen Wohnzimmer, nach der Kontroll-Behandlung, ist dem Straelener Gärtner im Ruhestand die Erleichterung anzumerken. Denn es ging dem Senior, der seit 22 Jahren Witwer ist und dessen Sohn seinen Betrieb weiterführt, schon mal besser. Davon zeugt die Pillendose für die ganze Woche in der Küche. Oder der Stock auf dem Sofa. Oder auch das Blutdruck-Messgerät auf dem Wohnzimmertisch. Auch seine zweite Lebensgefährtin hat er im vergangenen Jahr verloren. "Ich komme trotzdem gut klar, habe Hilfe von der Familie und einer Polin, die bei uns in der Gärtnerei arbeitet und für mich kocht", sagt Brüx mit hellwachen Augen. Sogar etwas Autofahren ist noch drin. "Doch wie soll ich denn zu ihm in die Praxis kommen? Da komme ich doch nicht mehr hoch?"

Dr. Hans-Peter Willenborg nickt. Der Zahnarzt, der gemeinsam mit seiner Kollegin Dr. Cornelia Roth eine Praxis in Moers-Kapellen betreibt, ist oft nach Dienstschluss für seine nicht mehr mobilen Patienten unterwegs. Dann macht er sich mit seinem Rollwagen, wo bis auf ein Röntgengerät so ziemlich alles drin ist, was er auch in seiner Praxis braucht, auf den Weg. Heime in Xanten, Moers, Duisburg, Krefeld oder eben im Gelderland sind dann sein Ziel. Oder Einzelpersonen. "Natürlich könnte ich in der Praxis, wo alles exakt getaktet ist, mehr Geld verdienen. Implantate sind derzeit der große Renner. Doch jemand muss doch diejenigen Menschen zahnmedizinisch versorgen, die sich nur noch eingeschränkt oder gar nicht bewegen können", sagt der Spezialist für Senioren-Zahnmedizin, der vor kurzem eine entsprechende Zusatzausbildung abgeschlossen hat und damit nach eigenen Angaben einer von nur 25 bis 30 Zahnärzten bundesweit ist, die sich auch als "Spezialist für Senioren-Zahnmedizin" bezeichnen dürfen. Seinen zweiten Doktor-Titel "baut" er derzeit auch noch.

 Gerhard Brüx freut sich immer, wenn der Zahnarzt, den er schon viele Jahre kennt, zur Behandlung vorbeikommt. Er ist nicht mehr in der Lage, dessen Praxis zu besuchen.

Gerhard Brüx freut sich immer, wenn der Zahnarzt, den er schon viele Jahre kennt, zur Behandlung vorbeikommt. Er ist nicht mehr in der Lage, dessen Praxis zu besuchen.

Foto: Seybert Gerhard

Man nimmt es dem "Stroelse Jong" ab, dass er die Fahrerei durch Stadt und Land am Abend aus Überzeugung macht. Ein bisschen Helfersyndrom schwingt da wohl mit. Widerrede gibt es jedenfalls keine. Denn auch wenn alle Leistungen von der Krankenkasse abgerechnet werden, so lange eine Pflegestufe beim Patienten vorliegt: Die Fahrerei und das Ein- und Auspacken seiner Geräte "frisst" Zeit. Außerdem ist es für den dreifachen Vater selbstverständlich, dass auch noch Zeit für ein "Pläuschken" mit den Patienten bleibt. Man muss Menschen wohl schon mögen . . .

"Die Pflegeeinrichtungen sind oft froh, wenn ich, manchmal auch mit einer Hilfe, zu ihnen ins Haus komme", so der "Doc" weiter. Denn die dortigen Pflegekräfte könnten so gut wie alles. Aber ein Behinderter, dessen Prothese sich verkeilt hat, da seien die Pflegekräfte oft mit ihrem Latein am Ende. Willenborg: "Weil es sich meist um komplexen Zahnersatz handelt, mit dem sich nur Fachleute wirklich auskennen."

 Gerhard Brüx ist nach seinem Schlaganfall nicht mehr gut zu Fuß. Zu ihm kommt Hans-Peter Willenborg ins Wohnzimmer.

Gerhard Brüx ist nach seinem Schlaganfall nicht mehr gut zu Fuß. Zu ihm kommt Hans-Peter Willenborg ins Wohnzimmer.

Foto: Gerhard Seybert

Deshalb seien auch die Krankenkassen dankbar, dass nicht für vermeintliche Kleinigkeiten, die vor Ort therapiert werden könnten, immer ein teurer Krankentransport angefordert werden muss. Weil der Zahnarzt ja aufsuchend tätig ist, gerne auch nach Hause kommt. Und bei Demenzkranken müsste man auch schon mal drei bis vier Mal anfahren, ehe sie ihren Mund öffnen. "Diese Behandlungen sind oft sehr schwierig", erklärt Willenborg, der vor der Tätigkeit in der Gemeinschaftspraxis unter anderem als Schiffarzt bei der Bundesmarine zur See fuhr. Das Studium an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf war vorangegangen.

Er verabschiedet sich von Gerhard Brüx. "Und wenn was ist - anrufen!" Willenborg trägt den Rollwagen die Treppen hinunter und schiebt ihn zum Auto. Brüx winkt.

(RP)
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