Geldern Die erste eigene Wohnung im Nierspark

Geldern · Im Neubau der Lebenshilfe sind auch fünf moderne Appartements entstanden. Stefan Hunke ist einer der Mieter. Sein Leben als Mensch mit Lernbehinderung pendelt zwischen normalem Alltag und dem Nutzen von Hilfsangeboten.

 Stefan Hunke (l.) in seiner neuen Wohnung mit seinen Freunden Doris Elser und Frank Arians.

Stefan Hunke (l.) in seiner neuen Wohnung mit seinen Freunden Doris Elser und Frank Arians.

Foto: Gerhard Seybert

Es war ein besonderer Tag für Stefan Hunke. Direkt nach der Arbeit ist er nach Hause gegangen, in sein neues Zuhause. Was für andere selbstverständlich ist, ist für den 43-Jährigen ein Riesenschritt in die Selbstständigkeit. Ob er aufgeregt sei? "Ja, ein bisschen", gibt er zu. Sein neues Domizil ist über den Dächern von Geldern. Er hat eines der fünf Appartements bezogen, die die Lebenshilfe am Nierspark gebaut hat. Hunke hat bisher bei seiner Mutter gelebt. Sein Handicap ist eine Lernbehinderung. "Ich werde nie Romane lesen können", drückt es der Gelderner aus. Er habe Probleme, die Silben aneinanderzureihen. Trotzdem nimmt er seinen alten Schreibtisch von zu Hause mit. "Weil ich da lesen lernen kann", sagt Hunke.

Einmal in der Woche hat er Nachhilfeunterricht. Ansonsten steht er fest im Leben. Im Berufsleben ist er im Bereich Landschaftspflege von Haus Freudenberg unterwegs und kümmert sich um diverse Grüngürtel im Gelderland. Auch den Alltag in seiner neuen Wohnung wird er in Zukunft alleine meistern müssen und dürfen. Ein Betreuer hilft dann bei den Dingen, die nicht so gut alleine klappen. Zum Beispiel beim Lampen anbringen und Möbel aufbauen.

Stolz zeigt Hunke seine Wohnzimmermöbel. Die hat er selbst ausgesucht, beim Schreiner. Die Waschmaschine kommt von Oma und ist schon 24 Jahre alt. "Vielleicht kommt noch ein Wäschetrockner dazu", sagt der Gelderner mit einem schelmischen Blitzen in den Augen. Er hat Wunschträume, wie jeder andere auch.

In seiner neuen "Bude" besuchen ihn Doris Elser und Frank Arians. Beide arbeiten in der Verpackungsabteilung von Haus Freudenberg. Elser lebt in in einer Zweier-WG mit Betreuung. Einkaufen, essen kochen, putzen müssen die Frauen selber. Aber für den Fahrdienst gibt es zum Beispiel jemanden.

Stefan Hunke erzählt von dem Treppenputzdienst, den er bald leisten muss. Petra Schmidt von der Lebenshilfe beschreibt es als "das ganz normale Leben". Nur wo Unterstützung nötig ist, bekommen die Menschen mit Behinderung Hilfe.

So normal wie möglich hält Petra Schmidt es auch immer mit den Urlauben. Vor 19 Jahren hat sie die erste Ferienmaßnahme begleitet, damals eine Kinder- und Jugendfreizeit. Lange bevor das Wort Inklusion die Runde machte, gab es eine Freizeit mit den Pfadfindern. "Ich würde so etwas gerne noch einmal anbieten, wenn Vereine auf uns zukommen würden", äußert sie ihren Wunsch nach Urlauben mit Menschen mit und ohne Behinderung. Seit 18 Jahren fährt Schmidt mit Erwachsenen mit Behinderung in "normale Hotels". Einmal ist sie auf einen skeptischen Hotelbesitzer getroffen. "Aber am zweiten Abend hat der Chef mich zur Seite genommen und gesagt, wir wären der Bringer im Hotel", erinnert sich Schmidt und schmunzelt. Die Gruppe punktet mit Freundlichkeit. "Wir bedanken uns und freuen uns, wenn die Bedienung freundlich ist. Bei Animationen machen wir mit und sind so präsent", sagt Schmidt. Hunke erinnert sich noch an eine andere Begebenheit. Von weitem hörte er bei einer anderen Gelegenheit die Worte: "Die Behinderten müssen ja auch mal raus." Ob ihn das gestört hat? Hunke zuckt die Schultern. "So schnell kann man nicht reagieren."

Das sind Situationen, in denen sich zeigt, an wirklichem Miteinander hakt es noch. "Es fängt an", lautet die Einschätzung von Schmidt. Um dem Ganzen einen Schub zu geben, hat der Integrative Freizeittreff "Blue Point" in Geldern viele Angebote: 450 Veranstaltungen im Jahr. So gibt es ab dem 27. April für "Genießer und Topfausschlecker" eine Kochstaffel mit Frühlingsgemüse oder am 30. April einen Ausflug zum Filmmuseum nach Düsseldorf für "wissbegierige Film- und Kinoliebhaber". Ob mit oder ohne Behinderung teilgenommen wird, das soll keine Rolle spielen. Zweimal im Monat, immer sonntags von 10 bis 12 Uhr, findet auch ein Frühstück für jedermann statt.

Zweimal gab es einen inklusiven Fotoworkshop. Hunke war einer der Teilnehmer. Einige seiner Fotos hängen zur Erinnerung im "Blue Point" in der Bahnhofstraße. Und wer weiß, vielleicht hängt er das eine oder andere auch in seiner Wohnung auf. In seiner ersten eigenen Wohnung.

(RP)
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