Straelen Eine Porzellanfee mit heilenden Händen

Straelen · Claudia Kurfürst auf Stippvisite in Straelen: Die Restauratorin aus Sonsbeck bewertet Kaffeeservice und Figuren. Von Hutschenreuther bis Delft. Wer will, kann defekte Teile in die Porzellanklinik bringen. Dort wird dann geklebt.

 Claudia Kurfürst hat ein Händchen dafür, in Mitleidenschaft geratene Figuren wieder im alten Glanz erstrahlen zu lassen.

Claudia Kurfürst hat ein Händchen dafür, in Mitleidenschaft geratene Figuren wieder im alten Glanz erstrahlen zu lassen.

Foto: Markus Van Offern

Dem "Sonnenkind" von Hutschenreuther fehlt ein Fuß. Ein Fall für Claudia Kurfürst aus Sonsbeck. Sie ist Restauratorin und kümmert sich wie ihre Namensvetterin, die Straelener Stadtarchivarin, um historische Gegenstände.

An ihren Tisch, den sie bei Porzellan Hermans in Straelen aufgebaut hat, tritt ein Mann. Zeitungspapier knistert, gespannte Erwartung zeichnet sich auf dem Gesicht des Mannes ab, der eine Vase auspackt. Die Vase ist aber nicht irgendeine Vase. "Bei den Eltern stand sie 50 Jahre auf der Anrichte, niemand durfte da dran", lautet die Erklärung. Den Rest soll Claudia Kurfürst klären. Die Expertin tippt ins Blaue: "Delft". Der Mann wickelt aus dem Wust an Zeitungspapier das typisch blau-weiße Motiv des Delfter Porzellan aus. Nun geht es um Zahlen. "Es ist relativ alt", sagt Kurfürst und dreht die Vase vorsichtig in ihren Händen. "Sehr alt", korrigiert sie sich. "18. Jahrhundert", lautet ihr Urteil. Geschichte zum Delfter Porzellan gibt es noch gratis dazu.

"Statt teuer chinesisches Porzellan einzukaufen, haben die Holländer Steingut hergestellt und kräftig mit viel Kobalt überzogen." Denn Kobalt, das stand für Reichtum. Im ausgehenden Mittelalter fing das an. "Und die handgeschriebenen Zeichen?", will der Mann aus Wachtendonk wissen. Die Restauratorin schaut sich das kunstvolle Kürzel unter der Vase an. "Die Schriftzeichen wollten vorgaukeln, dass die Vase mit China zu tun hat", lautet ihre Antwort. Den Mann aus Wachtendonk lädt sie ein, sie in ihrer Sonsbecker Porzellanklinik zu besuchen, um dort Literstur über das Delfter Porzellan zu wälzen.

Während sie noch redet, steht schon der nächste Mann in der Tür. Auch er hatte vom Besuch der Restauratorin gehört. Von 9 bis 18 Uhr steht sie an diesem Tag Rede und Antwort. Während die Expertin den Mann mit der Delft-Vase mahnt, sie gut einzupacken, wickelt der Mann aus dem Handtuch eine Figur aus. "Ich habe Maria mitgebracht", sagt der Straelener Dietmar Grimberg kurz und knapp. "Die habe ich von meiner Mutter geerbt und die hat sie schon von ihrer Mutter." Eine Frage treibt ihn um. "Ist das viel Aufwand, die zu restaurieren?" Kurfürst betrachtet die Figur. "Lohnen tut sich das immer, wo nicht nur der materielle Wert zählt, sondern das Herz dran hängt", lautet ihre Antwort. Einen musealen Wert habe die Figur aber nicht, stellt die Expertin fest. Dann zählt sie auf, was zu restaurieren wäre. "Der fehlen drei Zacken in der Krone, die Spitze vom Zehchen ist weg und Finger fehlen auch." 150 Euro würde die Reparatur kosten. Auch diese Figur hat Zeichen. Weil sie noch mit Handschwamm geputzt worden ist und durch die Art und Weise des Stempels schätzt Kurfürst die Entstehung auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. In der Porzellanmanufaktur Sitzendorf aus Thüringen wurde diese Maria gefertigt. Zufrieden schlingt Grimberg das Handtuch um das Familienerbstück. "Damit nicht noch mehr drankommt", sagt er. Ein anderer Mann schaut interessiert herüber. "Wenn Sie nicht mehr alle Tassen im Schrank haben oder einen Sprung in der Schüssel, sind Sie bei mir richtig", sagt Kurfürst einladend. "Sind Sie die Porzellanfee?" will der Mann wissen. Kurfürst überlegt kurz. "Ja."

Als nächste steht eine Frau mit einer geblümten Kaffeekanne am Untersuchungstisch der Restauratorin. "Die hat aber mal einen bösen Sturz erlebt", sagt Kurfürst nach einem kurzen Blick auf das gute Stück. "Ich habe das selber geklebt und seitdem nur noch als Dekoration genutzt", erklärt die Frau. Sie weiß bereits, dass die Kanne Teil eines Service ist von 1890 und aus dem Kronacher Werk von Rosenthal kommt. "Sieben Teile plus ein Loch, 205 Euro", rechnet ihr Kurfürst vor, was die professionelle Reparatur kosten würde. Enttäuschung macht sich auf dem Gesicht der Frau breit. "Das ist das ganze Service ja nicht mehr wert", sagt sie. Kurfürst kennt diese Reaktion. "Es ist nicht das Material. Es ist eben alles Handarbeit, es kostet einfach Zeit, alles nachzubilden und alles zusammen zu brennen." Bei einem Zahntechniker sei es selbstverständlich, dass er ein paar hundert Euros nehme. Auch da stecke viel Zeit drin.

Kurfürst spricht vom "schönsten Beruf der Welt". Das hat einen Grund. "Die Menschen wollen Geschichten erzählen, nicht die Expertise", sagt sie. An den Porzellanstücken hängen oft Familiengeschichten. Sie erzählt die Geschichte einer sehr alten Dame, die vor den Russen im Krieg eine Meißen-Porzellan-Platte gerettet hatte. Die Scherben nahm sie in einem kleinen Persil-Karton mit auf die Flucht. Erst viele Jahrzehnte später ließ sie sie Teile zusammensetzen. Kurz vor Weihnachten brachte ihr Kurfürst die schmucke Platte. Und manchmal kittet Kurfürst nicht nur die Risse im Porzellan, sondern auch im Herzen.

Bewusst hat Doris Bonnes-Valkysers von Porzellan Hermans an diesem Tag nach Straelen eingeladen, weil zur gleichen Zeit der Schnäppchenmarkt stattfindet. "Ich bin sicher, auf dem Trödel findet sich das ein oder andere wertvolle Stück", ist Doris Bonnes-Valkyser überzeugt. Lohne sich denn Porzellan als Wertanlage? Kurfürst gibt ein langgezogenes "Ja" von sich. "Im Moment bekommt man viel hochwertiges Porzellan", sagt die Expertin. Dass die Zeiten gut seien, um antikes Porzellan zu kaufen, habe verschiedene Gründe. Zum einen die Öffnung des Ostblocks. Viele wüssten auch nicht um den wahren Wert ihrer Schätze. Durch Ebay und andere Auktionsplattformen sei der Markt zudem globaler geworden, es gebe mehr Auswahl. "Ich denke aber, je weiter das voranschreitet, Formate wie ,Bares für Rares' aufblühen und Leute sich im Internet schlau machen, desto geringer wird die Chance auf Überraschungsfunde." So wie das Delfter Porzellan aus Wachtendonk. "Das wirklich alte, aus den Anfängen der Porzellanmachererei in Europa, ist das wirklich wertvolle", sagt die Expertin. Und da gelte häufig: "Es gibt Sachen, da liegt die Schönheit nur im Auge des Betrachtes."

(RP)
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