Gelderland Einer steht auf gegen die Gottferne

Gelderland · Warum der Karfreitag als stiller Feiertag sinnvoll ist. Grausames geschieht in der Welt - vor 2000 Jahren und heute. Es wird zu viel gelitten, um darüber zur Tagesordnung übergehen zu können.

 Die Darstellung des Gekreuzigten in der Gelderner Pfarrkirche St. Maria Magdalena.

Die Darstellung des Gekreuzigten in der Gelderner Pfarrkirche St. Maria Magdalena.

Foto: Seybert

Karfreitag? Für viele ein schwieriger Feiertag. Zwar weiß man noch vielleicht: "Das ist der Tag, an dem Jesus gekreuzigt wurde", aber warum das so wichtig sein sollte, dass es dazu einen gesetzlich noch strenger als sonntags (!) geregelten Feiertag braucht, erschließt sich zunehmend weniger Menschen. Natürlich ist es grausam und bitter, wenn einer von den gerade Herrschenden gekreuzigt wird. Aber Jesus war damals nicht der einzige, und auf die ein oder andere Weise geschieht ähnlich Grausames immer wieder, bis heute. Nur weil es vor 2000 Jahren schon einmal einen getroffen hat, heute auf alles verzichten, was sonst gerade an freien Tagen Platz hat?

Vielleicht liegt gerade in dieser - rein menschlich betrachtet - Nichteinmaligkeit ein Ansatzpunkt, den "stillen Feiertag" als solchen zu begehen, auch wenn man nicht religiös gebunden ist. Zuviel Blut fließt auf dieser Welt, zu viel wird gelitten und auch grausam gestorben, als dass man darüber einfach zur Tageordnung übergehen könnte. Das tun wir ja, wenn wir ehrlich sind, viel zu oft und an viel zu vielen Tagen. Kann es da nicht Sinn machen, einmal im Jahr zu bedenken, was alles nicht in Ordnung ist, und zu fragen, inwieweit ich indirekt oder direkt in dieses Leiden verwickelt bin und was ich dagegen tun könnte?

Wieviel Kinderarbeit und wieviel Leid steckt in den Osterhasen, die wir gerade eingekauft haben? Und wieviel davon in meinem Smartphone? Wer bezahlt denn die wirklichen Kosten, die ich mir gespart habe, weil Geiz so geil ist? Was haben deutsche Rüstungsexporte mit weltweiten Bürgerkriegen und ihren unsäglichen Leiden zu tun? Die Liste ließe sich lange fortsetzen, aber sie liefert auch so schon genug Fragen für einen allgemeinen stillen Besinnungstag pro Jahr. Und ein Umdenken hier oder da.

Man läge bei einer solchen Betrachtung zwar nicht gar so weit weg vom früheren "Buß- und Bettag" - aber den haben wir ja auch schon abgeschafft.

Und man läge nicht einmal so weit weg vom eigentlichen religiösen Gehalt, auch wenn der für Nichtreligiöse uneinsichtig bliebe. Religiös gedeutet nämlich erleidet Jesus am Kreuz die Gottferne der Vielen, damals wie heute, auch meine eigene. Und als Ausdruck dieser Gottferne kann man die beschriebenen grausamen Alltäglichkeiten unserer Welt verstehen. Einer trägt die Last dieser Gottferne - und zwar der, der selbst Göttliches in sich trägt und Gott verkörpert: Gott als unendliche Liebe, als maßlose Barmherzigkeit ohne Obergrenze, "mächtig" im Ertragen menschlicher Sünde. Und dieser einer steht gegen die Gottferne auf, zunächst in seinem Erdenleben, dann, von Gott auferweckt, durch den Tod hindurch, bis in unsere Zeit, bis in alle Zeit. Diesen Aufstand kann man dann echt richtig feiern, mit allem, was dazu gehört - an Ostern, nicht an Karfreitag.

Erst kommt die Stille, die Einkehr, die schwierige Einsicht in die Ursachen des Leides und meine Verwicklung darin. Dann der Aufstand, die Auferstehung, die Kraft zur Hoffnung, vielleicht gar der Widerstand, auf jeden Fall: Ostern. Ich finde, ein Tag der Stille macht Sinn, auch wenn ich nicht gläubig bin. Und ich werde ihn still halten, auch wenn in diesem Jahr mein Geburtstag darauf fällt. Und ich freu' mich dann aufs Nachfeiern:

An Ostern!

Der Autor ist Pfarrer und Superintendent im Kirchenkreis Kleve.

(RP)
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