Stadtwerke Geldern Präsentieren Verschwundene Orte (10) Güterbahnhof als Stück Industriekultur

Geldern · Vom "Schandfleck" zum Vorzeigeprojekt mausert sich der heutige Nierspark. Dafür mussten allerdings einige Gebäude abgerissen, Schornsteine gesprengt, Panzerrampe und Gleise weggeräumt werden. Millionen wurden investiert.

 Vom Bahnsteig aus gesehen die im Jahr 2002 zum Teil bereits zugewachsenen Gleise des Güterbahnhofs.

Vom Bahnsteig aus gesehen die im Jahr 2002 zum Teil bereits zugewachsenen Gleise des Güterbahnhofs.

Foto: Heinz Bosch

Geldern Wer zehn Jahre die Herzogstadt nicht besucht hat, wird sich verwundert die Augen reiben, wenn er den Nierspark betritt. Fast nichts ist mehr so, wie es war.

Ursprünglich war das Gebiet ein riesiger Güterbahnhof, rund um gespickt mit Fabriken und Lagerhallen. "Der Bahnhof, das war schon ein sehr großer Bahnhof", erinnert sich der Gelderner Hubertus Janssen an seine Kindheit. Bis 1967 hatte Geldern die Bedeutung eines "Eisenbahnknotenpunktes" heißt es in der "Illustrierten Geschichte der Stadt Geldern" von Heinz Bosch. Der Bahnhof hatte einen Lokschuppen mit einer Drehscheibe.

 Ein Blick über den alten Güterbahnhof in Richtung des Stadtgebietes. Die Aufnahme entstand 1958.

Ein Blick über den alten Güterbahnhof in Richtung des Stadtgebietes. Die Aufnahme entstand 1958.

Foto: Hamburger Aero-Lloyd

"Vor dem Zweiten Weltkrieg konnte man bis zu 26 Gleise nebeneinander (!) zählen", heißt es im Buch "Von oben - Historische Luftaufnahmen erzählen Gelderner Geschichte" von Dr. Stefan Frankewitz.

Das ist nicht weiter verwunderlich. Der Warenverkehr floss vor allem über die Schiene. In die Waggons wurde auch Ware mit Fell und Füßen verschickt. 1897/98 wurden auf dem Gelderner Güterbahnhof unter anderem 2298 Stück Großvieh und 5644 Stück Kleinvieh be- oder entladen. Das ist ebenfalls im Buch von Heinz Bosch festgehalten.

Auch der Zirkus mit seinen Tieren kam über die Schienen angerollt, erinnert sich Janssen an Kindheitstage. Er schlug regelmäßig den Weg zum Güterbahnhof ein, um sperrige Ware für das Lederwarengeschäft seiner Eltern auf der Hartstraße abzuholen. "Ich hatte eine Technik entwickelt, wie ich mehrere Pakete auf dem Fahrrad transportieren konnte", sagt der 78-jährige Gelderner. Lukrativ sei es gewesen, weil er damit sein Taschengeld aufbessern konnte. Für ihn und seine Gefährten war das Gelände rund um den Güterbahnhof auch Abenteuerspielplatz. "Die Schienen lagen haushoch übereinandergestapelt. Wir kletterten da drauf. Wenn man ein paar Äpfel geklaut hatte, ging man dorthin", schildert er seine Erlebnisse als Achtjähriger in der Nachkriegszeit. Er hat die Entwicklung des Güterbahnhofs verfolgt und ein Foto gemacht, als es die Panzerverladerampe noch gab. Mit Laarbruch gab es einen Militärstützpunkt in der Nähe und auch das Bundeswehrdepot Straelen-Herongen lag nicht allzu weit entfernt.

Die Panzerverladerampe, die stellte bei Abriss und Neugestaltung des alten Bahnhofgeländes allerdings eine echte Herausforderung dar. Sie ließ sich nur in Kleinstarbeit beseitigen, schrieb die RP am 9. August 2008. Das bedeutete mehrere Wochen Baulärm von 7 bis 20 Uhr, sogar samstags. Beton, Stahldrähte und Stahlseile mussten voneinander getrennt werden.

Der große Umbruch begann in der jüngsten Vergangenheit. "Baubeginn auf den Bahnflächen" titelte die RP am 8. Juli 2008. "Einen Monat später als geplant rollen die Bagger am Gelderner Güterbahnhof. In den kommenden Wochen beseitigen sie Altlasten und schaffen die Basis für die ersten Gebäude", heißt es im RP-Artikel weiter. Viele Geldernern werden aufgeatmet haben. "Endlich verschwindet der Schandfleck Güterbahnhof samt seiner Altlasten", schreibt die RP am besagten 8. Juli 2008. Bei der Vorstellung der Pläne für die Neugestaltung hatte ein Bürger noch ein "Da will doch eh keiner hin" in den Raum geworfen (RP vom 18. Juni 2007). Das gibt ein bisschen die Stimmung wieder, die der recht trostlose Anblick verlassener Lagerhallen auslöste.

Dabei war das Gebiet viele Jahre ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Stadt. Allein die Möbelfabrik Bergmann hatte 160 Beschäftigte im Jahr 1951. Am 14. Juli 2010 fiel der 36 Meter hohe Schornstein der Fabrik als letztes Wahrzeichen des Industriegebiets mit Hilfe von Sprengstoff in sich zusammen. Das Stanzwerk Pilz verschwand 2013 und machte Platz für den dreiarmigen Kreisverkehr an der Burgstraße, Höhe Sportgeschäft Dorenkamp. Wo früher die RWZ war, steht heute ein Seniorenheim. Polizeigebäude und Finanzamt waren die ersten markanten Gebäude. Es folgte das Berufskolleg des Kreises Kleve in Geldern als 36-Millionen-Projekt.

Interessant ist, dass nichts mehr an die alte Industriekultur erinnert, nicht einmal mehr der Name. Annegret und Wolfgang Falkowski schlugen 2008 "Am alten Güterbahnhof" als Titel für den neuen Stadtteil vor. Es ist "Am Nierspark" geworden. Wie drückt es Peter Fox in einem Lied aus: "Hey, alles glänzt, so schön neu". Das beschreibt diese Entwicklung treffend, schmucker Wasserplatz, eine Unterführung mit buntem Lichtspiel statt Schmuddelecken. Hubertus Janssen findet es übrigens gut, dass die Stadt sich hinter dem Bahnhof erweitert hat, sagt Hubertus Janssen. "Da ist Leben", sagt er, wo früher nur raue Industriekultur herrschte.

(RP)
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