Geldern Immer deichwärts

Geldern · Eine große Empfehlung: Zwischen Haffen und Bislich ist ein neues Stück Deich entstanden. Seitdem kann man bis Wesel nahezu durchgängig in erhöhter Lage radeln - der gute Rhein ist fast immer in Sichtweite.

 Blickfang: die Kirche St. Johannes in Bislich.

Blickfang: die Kirche St. Johannes in Bislich.

Foto: Sebastian Peters

So viel Deich ist kaum irgendwo sonst am Niederrhein. Rund 20 Kilometer lang kann man von Haffen bis Wesel in exponierter Lage fahren. Der Rhein macht es möglich. Weil der Fluss im Falle eines Hochwassers am Niederrhein mehr Rückzugsraum benötigt, hat der Deichverband zwischen Bislich und Haffen im Bereich Polder Lohrwardt einen neuen Deich weiter landeinwärts gebaut. Für Radfahrer und Fußgänger ist das ein großes Glück. Sie können jetzt diesen famosen Landstrich aus neuer Perspektive entdecken. Dem Rhein so nahe, dem Deich sei Dank.

 Ein Ort mit hoher Verweilqualität: das Fährhaus Bislich. Immer deichwärts: Sommerdeich in Bislich. Ein Ort mit hoher Verweilqualität: das Fährhaus Bislich. Immer deichwärts: Sommerdeich in Bislich.

Ein Ort mit hoher Verweilqualität: das Fährhaus Bislich. Immer deichwärts: Sommerdeich in Bislich. Ein Ort mit hoher Verweilqualität: das Fährhaus Bislich. Immer deichwärts: Sommerdeich in Bislich.

Foto: Sebastian Peters

Wir starten unsere Tour am Auesee in Wesel - und sehen Wasser von beiden Seiten. Links liegt der Rhein und rechts liegt der Auesee, ein ehemaliger Baggersee, von dem Gäste aus der Ferne manchmal denken, es sei ein eiszeitliches Gewässer. Tatsächlich ist dies das Ergebnis von Kiesabbau. Wenn die heimische Kiesindustrie dafür werben will, wie verträglich Kiesabbau am Niederrhein geschehen kann, dann erzählt sie gerne vom Auesee, der heute auch ein Freizeitparadies ist. Das ist die eine Geschichte, die man von der Kiesindustrie erzählen kann.

 Schafe auf dem neuen Deich zwischen Haffen und Bislich. Andernorts müssen die Schafe den Deich verlassen, weil Bauern das Gras für die Biogasanlagen benötigen. Hier dürfen sie bleiben.

Schafe auf dem neuen Deich zwischen Haffen und Bislich. Andernorts müssen die Schafe den Deich verlassen, weil Bauern das Gras für die Biogasanlagen benötigen. Hier dürfen sie bleiben.

Foto: Sebastian Peters

Wir radeln weiter, im Rücken die Skyline von Wesel mit dem Turm Langer Heinrich, mit der Spitze des Willibrordi-Doms und natürlich mit der neuen Rheinbrücke, die längst eine Landmarke am Niederrhein geworden ist. Wie schnell die Großstadtluft doch verschwindet. Schon nach wenigen hundert Metern sieht man die ersten Schafe, man kann sie bei geschlossenen Augen auch am Geruch erkennen, und spätestens da weiß man, dass man nun am echten Niederrhein angekommen ist. Määääh. Von jetzt an folgen wir dem Lauf des Rheins, der uns treuer Begleiter sein wird, nicht immer Seit' an Seit', und doch gefühlt immer in der Nähe.

Der Niederrhein hat hier viele Facetten, und schnell begreift man, warum er für Touristen jeder Couleur so attraktiv ist. Nach einigen Minuten auf dem Auedamm erreichen wir den Campingplatz Grav-Insel. Aus der Ferne schlummert dieser sonderbare Flecken Erde im Herbstnebel zwar friedlich vor sich hin (das haben Campingplätze im Herbst so an sich). Im Sommer aber tobt hier das Leben. Grav-Insel ist die Grillstation des Kohlenpotts, tausende Camper haben hier ihr Zuhause auf Zeit, manche sogar dauerhaft. Wem nicht nach Grillduft ist, der fährt nun weiter nach Bislich. Kurz müssen wir uns hinter Flüren vom Rhein entfernen, geraten in ein bewaldetes Straßenstück, doch noch immer bleiben wir auf einer deichartigen Anhöhe. Zur Linken sieht man die tieferliegenden Wiesen. Wir kommen an einer Straße mit dem schönen Namen "Auf dem Mars" an, radeln weiter geradeaus und sehen dann in einer langgezogenen Kurve den Deich nach Bislich in Höhe des Café Landluft. Hier befinden wir uns am Scheideweg: Man kann nun Haffen auf schnellem Wege erreichen, wie es die Autofahrer machen, dazu fährt man landeinwärts, durch die Felder. Man kann aber auch die längere Route nehmen. Und macht dann als Radler nichts falsch. Wir sind nämlich nun endlich angekommen, wo der Deich so richtig Deich und der Niederrhein so richtig Niederrhein ist.

Wenn man Gästen aus der Ferne die Faszination dieses unteren Niederrheins erklären will, dann sollte man sie exakt an diesem Ort absetzen und das Kommando geben: Verlassen Sie die Sichtweite des Rheins nicht mehr. Fahren Sie immer deichwärts.

Hoch geht's. Auf den ersten Metern heißt der Deich hier Bislicher Straße, später Marwick, wenige Kilometer später kann man sich entscheiden, ob man auf direktem Wege rechts ab fährt oder den sogenannten Sommerdeich geradeaus radelt. Die längere Strecke ist zu empfehlen, denn noch ein kleines Wegstück später wartet das Fährhaus der Familie Antje und Thomas Bdaric. Thomas Bdaric war ehemals ein berühmter Fußballer, 204 Bundesligaspiele, acht Länderspiele für Deutschland. Mit ihrer guten Idee bereichern die Bdarics den Niederrhein. Wer in Höhe des Bislicher Fähranlegers mal am Sommertag ein Glas Bier oder einen Kaffee getrunken hat, der lernt, dass Fußballer manchmal ihr Geld auch vernünftig investieren können, nicht nur in Lottoannahmestellen, sondern in so etwas Bodenständiges wie ein Café. Das ist ein schöner Ort zum Verweilen und Entscheidungen treffen. Man könnte jetzt nämlich mit der Fähre Keer tröch ("Kehr zurück") nach Xanten übersetzen, auf die falsche Rheinseite oder "gönne Kant", wie man am Niederrhein gerne sagt (die Xantener sagen das übrigens auch über den Rechtsrheiner). Seitdem der Deich in Haffen fertig ist, gibt es aber eine reizvolle Alternative im Norden.

Unser Weg führt also über den Deich, zuerst nach Bislich. Von Weitem sieht man die schöne Kulisse beider Kirchen, der fein an den Deich gesetzte Turm von St. Johannes und das hübsche evangelische Kirchlein. Unten am Deich grasen Schafe, und als wir vorbeifahren, stelzen zwischen den Schafen wie in einem Werbevideo für diesen Landstrich zwei Storche.

Hinter Bislich staunen wir zunächst über die mächtige Kiesverladestation und den Lärm, den sie macht. Das ist die Kehrseite dieses Industriezweigs. Das Werk wirkt fremd in dieser Naturidylle, doch auch am Niederrhein muss Geld verdient werden, und das wird hier gerne mit dem Bodenschatz Kies erledigt. Die Kiesindustrie hat die Landschaft verändert, es gibt viele Baggerseen, die nach und nach renaturiert werden. Mancher Bürger begrüßt den mitunter entstehenden höheren Freizeitwert, doch es gibt auch Kritiker. Seinen Charakter verändert der immer schon von Wasser geprägte Niederrhein auf den ersten Blick nicht. Wer allerdings mit dem Segelflugzeug über das platte Land fliegt oder Google Earth bemüht, der versteht, warum manche im Niederrhein inzwischen ein Duplikat der Mecklenburgischen Seenplatte erkennen wollen.

Wir treten lärmbedingt etwas schneller und fahren weiter am Rhein entlang. Näher als an der ehemaligen Gaststätte "Am stummen Deich" - jetzt plattes Land - kommt man dem mächtigen Fluss nicht. Zu Füßen eines gewaltigen Windrades erreichen wir nun die Stelle, an der sich der Radfahrer ehemals vom Deich verabschieden musste. Hier endete nämlich bis vor wenigen Monaten noch der Deich. Die übliche Tour führte dann ebenerdig in Höhe des Modellflugplatzes zurück zur Bislicher Straße, über die Alte Bislicher Straße, Mehr und Haffen nach Rees. Dank der Deichrückverlegung kann der Radler nun aber endlich geradeaus fahren - immer deichwärts auf neuem Terrain. Kräftig gebaggert wird hier immer noch. Der Rückhalteraum Lohrwardt besteht aus den Seen Lohrwardtsee, Roosenhofsee und der Abgrabung Reckerfeld. 270 Hektar Retentionsraumvolumen wurden geschaffen, 15 Millionen Kubikmeter Wasser werden hier zusätzlich aufgenommen. Im Extremfall kann also dem Rhein Platz gegeben werden. Zwischen Haffen und Wesel sinkt der Pegel damit um 20 Zentimeter. Auch die Holländer können uns danken. Bei denen sinkt der Pegel um zehn Zentimeter. Es können die entscheidenden Zentimeter sein.

Der Deich hat hier großen Reiz, denn man fährt auf einem Weg, der neue Perspektiven bietet. Wir befahren quasi Terra incognita. Zwischen Höfen radelt man hier entlang. Wer am Wochenende kommt, der merkt, wie viele Radler dieses Stück Deich schon für sich entdecken. So beliebt ist der Weg, dass der Deich hier wie eine Teststrecke für die deutsche E-Bike-Industrie anmutet. Es radelt sich aber wirklich wunderbar auf diesem frischen Asphalt, der Rhein liegt hinter den Seen und den Bäumen, man kann die Schiffe tuckern hören. So kommen wir unserem Etappenziel Haffen näher, wo es für den Radfahrer die nächste Hoffnung gibt. In einigen Jahren soll der Deich auch zwischen Haffen und Rees erneuert werden.

Dort fahren oben bisher noch Autos. Man sollte aus diesem Deich einen Radweg machen - immer deichwärts. Bald bis Rees!

(RP)
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