Geldern Nach der Flucht wieder zusammen

Geldern · Die Familie Ahmad hat sich wieder. Die Brüder Shoaib (28) und Omid (15) kommen aus Afghanistan. Auf ihrer Flucht vor fünf Jahren verloren sie die Mutter und ihre drei Geschwister. Jetzt sind alle wieder zusammen - in Geldern.

 Die Familie Ahmad vereint auf der Couch in Geldern: Shoaib (links) mit seiner Mutter Aghlima und zweien seiner Brüder, Shabir (18) und Morteza (12 Jahre, ganz rechts).

Die Familie Ahmad vereint auf der Couch in Geldern: Shoaib (links) mit seiner Mutter Aghlima und zweien seiner Brüder, Shabir (18) und Morteza (12 Jahre, ganz rechts).

Foto: seybert

Was passiert ist, ist schlimm. Und trotzdem ist für Shoaib Ahmad (28) jetzt erst mal alles gut. "Jetzt bin ich ruhig", sagt er. "Mein Kopf ist ruhig. Ich habe meine Familie bei mir. Omid ist glücklich." Vor allem für Omid, seinen heute 15-jährigen, jüngeren Bruder, war die Trennung von Mutter und Geschwistern unheimlich schwer.

"Zwei Jahre wusste ich nicht, ob meine Familie lebt oder nicht", sagt Shoaib. "Es war eine schlimme Zeit." Aber jetzt - jetzt sei alles in Ordnung: "Wie ein normales Leben." Und Bruder Shabir (18), Schwester Atefa (17), der jüngste Bruder Morteza (12) und die Mutter Aghlima (52*) lächeln - obwohl es gar nicht "normal" ist, was sie hinter sich haben.

Die RP hat bereits mehrfach über Shoaib und Omid berichtet. 2012 sind die beiden aus Afghanistan geflohen, wo die Taliban ihren Vater getötet hatten. Sie wurden als politische Flüchtlinge anerkannt. Doch sie hatten den Rest ihrer Familie aus den Augen verloren. Das geschah an der iranisch-türkischen Grenze, die sie gemeinsam mit anderen Flüchtenden erreichten: Es war dunkel, Schüsse fielen, die Menschen wurden versprengt. Shoaib und sein jüngerer Bruder Omid schafften es damals in die Türkei, die Mutter und die übrigen Geschwister nicht - und waren seitdem verschollen. "Fast zwei Jahre habe ich gesucht und sie nicht gefunden", sagt Shoaib. Er zapfte in Deutschland sofort alle möglichen Kanäle an: Caritas, Rotes Kreuz, die Fotos seiner Lieben wurden an das Bundesamt für Migration weitergeleitet. Ehrenamtler ließen Kontakte spielen, auch Freunde und Angehörige in Afghanistan taten alles, was sie konnten.

"Alle haben gesucht", blickt Shoaib zurück. Und dann, im Herbst 2014, meldete ein Cousin, er habe die Familie ausfindig gemacht. Im Iran. Kaserniert in einem geschlossenen Flüchtlingscamp.

Shoaib veranlasste, dass Geld floss, damit Mutter und Geschwister raus durften. Dann fing er an, bei den deutschen Behörden die Formalitäten für den Familiennachzug in Gang zu bringen. "Sie haben gesagt, das dauert ein oder zwei Jahre", erzählt Shoaib. Derweil musste die Familie in Iran in der afghanischen Botschaft neue Pässe besorgen. Mutter Aghlima erkrankte an Krebs und musste operiert werden. Und schließlich kam die erlösende Nachricht der deutschen Ämter: "Die Visa sind gültig. Sie können Flugtickets kaufen." Immer legten Freunde und Familie zusammen, um die Kosten zu stemmen, die all das mit sich brachte.

Am 19. Januar 2017 durfte Shoaib seine Mutter, seine Brüder und seine Schwester endlich abholen. Um Mitternacht nahm er sie am Frankfurter Flughafen in Empfang und in die Arme. Seitdem gab es zunächst einige medizinische Probleme zu lösen. Mutter Aghlima geht es körperlich nicht gut. Aber immerhin ist sie die Ängste der vergangenen Jahre los. "Wenn ich neben meinem Sohn sitze, bin ich beruhigt", sagt sie. Und ihre Kinder denken jetzt alle nur an die Zukunft. Sie wirken zuversichtlich, sprechen von dem, was sie lernen und erreichen wollen. Alle betonen, dass sie jetzt endlich zur Schule gehen können. Das war der 17-jährigen Atefa nur drei Jahre ihres Lebens erlaubt, dann machten die Taliban dem ein Ende, später kam die Flucht. Aber sie ist eine hervorragende Köchin - und das will sie zum Beruf machen, sie will Köchin werden, sagt sie. "In Afghanistan ist immer Krieg", lässt der 18-jährige Shabir seinen älteren Bruder seine Erleichterung übersetzen. Eine Ausbildung möchte er machen. Der zwölfjährige Morteza soll bald aufs Gymnasium gehen. "Er will jetzt lernen", sagt Shoaib.

*In einer früheren Version hatten wir versehentlich für Mutter Aghlima ein falsches Alter angegeben.

(RP)
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