Kampfsport Aus dem Untergrund an die Spitze

Geldern · Die Muay-Thai-Kämpfer aus Geldern sind derzeit in blendender Verfassung. Viele Meistertitel gingen jüngst auf ihr Konto.

 Zimperlich darf man nicht sein: Piotr Rapacz (l.) und Lara Barkanowitz (r.) demonstrieren, was sie in den vergangenen Monaten gelernt haben.

Zimperlich darf man nicht sein: Piotr Rapacz (l.) und Lara Barkanowitz (r.) demonstrieren, was sie in den vergangenen Monaten gelernt haben.

Foto: Arnulf Stoffel

Beinahe unscheinbar, an einer Umgehungsstraße in Geldern, liegt das "Chang Lom Gym" der "Akademie für Asiatische Kampfkunst und Kultur am Niederrhein". Lediglich das asiatisch anmutende Vordach vor der Eingangstür lässt erahnen, was in den Mauern der ehemaligen Industriehalle Tag für Tag, Woche für Woche, abgeht.

 Der Erfolg hat einen Namen: Sebastian von Hoensbroech hat schon mehrere Titel in seiner Sammlung.

Der Erfolg hat einen Namen: Sebastian von Hoensbroech hat schon mehrere Titel in seiner Sammlung.

Foto: Arnulf Stoffel

Öffnet man die Tür, steht man schon direkt dort, wo der Schweiß fließt. Die rund 100 Mitglieder des Vereins betreiben seit vielen Jahren Muay Thai, eine Kampfsportart, die aus Thailand kommt und sich dort großer Beliebtheit erfreut. "Muay Thai hat seinen Ursprung im thailändischen Militär, zu jener Zeit, als es noch keine Schusswaffen gab. Damals musste eine wirksame Methode gefunden werden, falls man seine Waffen, wie Stöcke, während eines Kampfes verloren hatte", erklärt Achim Wagener, der die Sportart seit 30 Jahren ausübt und die Clubmitglieder als erfahrener und professionell ausgebildeter Trainer betreut. Waffen werden also nicht beim Muay Thai gebraucht, vielmehr kommt es auf bestimmte Tritt- und Fausttechniken an. Umgangssprachlich ist auch oft von Thaiboxen die Rede.

Bis ins Jahr 2007 waren die Kampfsportler noch innerhalb des GSV Geldern organisiert, doch irgendwann waren die Kapazitäten in der herkömmlichen Turnhalle erreicht. Da bestimmte Matten, Aufbewahrungsmöglichkeiten und vor allem viel mehr Zeit fürs Training nötig waren, entschloss die damalige Abteilung, sich zu einem Verein zusammenzuschließen. Die passende Räumlichkeit fand sich im Gewerbegebiet "Am Pannofen". Und seitdem geht es steil bergauf. Mittlerweile ist aus dem Verein, der auf Bundes-Niveau trainiert und kämpft, eine richtige Erfolgsschmiede geworden.

Vor allem einer hat in den vergangenen Monaten auf sich aufmerksam gemacht. Sebastian von Hoensbroech ist zwar erst 19 Jahre alt, darf sich aber schon Deutscher Meister nennen. Den Titel sahnte der Schüler im vergangenen Jahr in der Gewichtsklasse bis 63,5 Kilogramm (B-Pool) ab. Die Goldmedaille sorgte zudem dafür, dass er kurze Zeit später auch den Titel "Gelderns Sportler des Jahres" entgegennehmen durfte. In diesem Jahr sprang Silber im A-Pool, in dem professionelle Kämpfer an den Start gehen, heraus. Doch von Hoensbroech hat noch höhere Ziele: "Mein großer Traum sind die Olympischen Spiele 2024", sagt er. "Denn dann ist Muay Thai eine olympische Sportart." Seit sechs Jahren betreibt er den Sport und hat sich mittlerweile ihn ihn "verliebt", wie er sagt. "Insgesamt trainiere ich fünf bis sechs Mal in der Woche." Neben Einheiten im "Chang Lom Gym" gehören auch einige Stunden im nahegelegenen Fitnesstudio dazu, um Muskeln aufzubauen.

Der 19-Jährige ist Mitglied des sogenannten "Fight Teams", in dem für Wettkämpfe trainiert wird. Auch Moritz Holtermann gehört dazu. Er sorgte bei den jüngsten Titelkämpfen in Rommerskirchen für den zweiten Deutschen Meistertitel in der Gewichtsklasse bis 75 Kilogramm. "Als amtierender Landesmeister habe ich den DM-Titel allerdings kampflos gewonnen, da niemand gegen mich angetreten ist", erklärt Holtermann. Obwohl er schon Golf und Tennis ausprobiert habe, sei Muay Thai die Sportart, für die er brenne. Außerdem konnte sich Jan Kolmans, der die Sportart ebenso liebt wie seine Kollegen, die Silbermedaille in seiner Wertungsklasse sichern.

Ähnlich groß ist die Faszination bei Lara Barkanowitz, die in der "normalen" Gruppe trainiert und somit nicht an Wettkämpfen teilnimmt. "Das habe ich aber irgendwann vor. Ich bin allerdings erst seit November 2016 dabei", erklärt sie. Obwohl sie damals eher aus der Not heraus zum Verein stieß, weil sie sich aufgrund eines bestimmten Ereignisses nicht mehr sicher fühlte und etwas Selbstverteidigung lernen wollte, ist die Liebe zum thailändischen Volkssport nun riesengroß. Auch Ljuba Husser, Mitglied in der Frauengruppe, schwärmt: "Seit fünf Jahren bin ich jetzt dabei. Zwei Mal in der Woche trainiere ich. In der Frauengruppe schlagen wir uns zwar nicht richtig, sondern täuschen die Kicks nur an, allerdings kommt man dabei auch ordentlich ins Schwitzen", sagt sie. Wer es einmal probiert hat, wird gleich mit dem "Virus" infiziert. Doch die Liebe zum Muay Thai hat auch Grenzen. "Nicht jeder kann die Sportart machen", sagt Wagener.

Denn um Muay Thai im Gelderner Verein betreiben zu können, müsse man sowohl physisch als auch psychisch in der richtigen Verfassung sein. Schlägertypen oder Menschen, die einfach mal auf Sachen schlagen wollen, sind daher fehl am Platz. Wagener führt bei Interessierten vorher ein intensives Gespräch durch, um die Motive desjenigen zu erkennen. Da er den Sport seit 30 Jahren betreibt und auch beruflich einen sozialen Hintergrund besitzt, sei er in der Lage, einen Einsteiger-Kandidaten gut einschätzen zu können. "Ein Kämpfer muss drei wichtige Dinge besitzen: Konzentration, Durchhaltevermögen und vor allem Respekt vor dem Gegner." Das, gepaart mit dem Training, ergäbe dann auch einen Mehrwert für den Alltag. Das wird besonders bei den jüngsten Mitgliedern deutlich. In der Kinder- und Jugendgruppe wird zwar noch nicht gekämpft, allerdings wird der Nachwuchs an die Tugenden langsam herangeführt. Sie betreiben das sogenannte "Wai Khru", was eine traditionelle Gruß-Zeremonie vor den eigentlichen Wettkämpfen ist. Auch diese Gruppe hat in den vorigen Wochen Eindrucksvolles erreicht. Felix Kolmans holte sich bei der DM Gold ab, sein Teamkollege Ferenc Bode wurde Dritter. In der Altersklasse bis 14 Jahren ging Jan Kolmans an den Start, was mit der Bronzemedaille belohnt wurde.

Dass Muay Thai auch einen Beitrag zur Integration liefern kann, beweisen die beiden afghanischen Brüder Mojib und Latif Ahmad Ali. Beide haben in ihrer Heimat schon Kampfsport betrieben und sich nach ihrer Ankunft in Deutschland darum bemüht, dies auch weiterführen zu können. Positiver Nebeneffekt: Die beiden konnten ihr Deutsch verbessern. "Seitdem ich hier bin, sind meine Sprachkenntnisse besser geworden", sagt Mojib Ahmad Ali.

Wagener weiß: Wer einmal mit Muay Thai angefangen hat, kommt kaum noch davon los. Niko Borschik kann ein Lied davon singen. Nach mehrjähriger Pause während des Studiums ist er in den Verein zurückgekehrt. "Sechs Jahre lang habe ich pausiert. Aber irgendwie habe ich den Sport und das Team vermisst", sagt er. Der Wiedereinstieg gelang auch ganz gut, nur konditionell sei noch etwas Luft nach oben gewesen, gibt Borschik zu.

Kondition war auch bei André Maes gefragt, als er mit Muay Thai angefangen hat. "Ich habe in einer Zeitschrift über die Sportart gelesen und war gleich interessiert. Ich hab' vorher zwar einiges ausprobiert, wie Eishockey, aber irgendwie war das nichts für mich", erklärt der Familienvater. "Interessant ist, dass man beim Muay Thai jeden einzelnen Muskel spürt. Doch obwohl es sehr anstrengend ist, kann man während des Trainings super abschalten. Und ganz toll finde ich, dass jeder den anderen motiviert und hochzieht", sagt Maes. Muay Thai ist eben nicht nur herkömmlicher Kampfsport, sondern eine besondere Art, etwas für den Körper, den Geist und die Gestaltung des eigenen Alttags zu tun.

Info Weitere Informationen zum Verein und den einzelnen Gruppen gibt es im Internet auf www.chang-lom-gym.de.

(RP)
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