Handball "Ein bisschen bekloppt muss man sein"

Handball · Interview Trainer Harry Mohrhoff spricht über den überraschenden Höhenflug der Straelener Handballer, die in der Landesliga nach elf Spielen noch verlustpunktfrei sind. Daneben geht es um die Vorfreude aufs Topduell um Platz eins mit dem TV Korschenbroich II und das Ritual, stets ohne Socken zum Training zu kommen.

 Trainer Harry Mohrhoff (r.) hat alle Aktionen seiner Mannschaft im Blick.

Trainer Harry Mohrhoff (r.) hat alle Aktionen seiner Mannschaft im Blick.

Foto: Hans-Ulrich Kress

Herr Mohrhoff, wie oft schauen Sie sich derzeit die Tabelle an?

 Bei einem Besuch in der RP-Redaktion erklärte Mohrhoff den unerwartet guten Lauf seiner Mannschaft.

Bei einem Besuch in der RP-Redaktion erklärte Mohrhoff den unerwartet guten Lauf seiner Mannschaft.

Foto: Seybert

Harry Mohrhoff (lacht) Ich will es mal so sagen: Da wir noch kein Spiel in dieser Saison verloren haben, weiß ich natürlich, dass wir gleichauf mit dem TV Korschenbroich II ganz oben stehen. Ich müsste also nicht extra hinschauen – aber ich kann nicht verschweigen, dass mir der aktuelle Stand natürlich sehr gefällt.

Heißt, Sie haben inzwischen realisiert, was Sie und Ihre Mannschaft bislang für eine beeindruckende Saison spielen?

Mohrhoff Ehrlich gesagt, nein. Unser Ziel war vor der Saison einzig und allein der Klassenerhalt. Mehr durfte man nach der letzten Spielzeit, in der wir lange gegen den Abstieg gekämpft haben, auch nicht erwarten.

Nach elf Spielen und elf Siegen darf man aber getrost behaupten, dass dieses Ziel Klassenerhalt wohl bereits erreicht ist.

Mohrhoff So kann man es sagen. Es müsste nun schon ziemlich viel gegen uns laufen. Im Moment schweben wir auf einer Euphoriewelle, von der keiner im Vorfeld zu träumen wagte. Dass wir es schaffen würden, in jedem Spiel zu punkten, ist hervorragend. Nicht nur für mich und die Jungs, sondern auch für den Verein. Unsere Frauen machen es uns ja schon seit Jahren mit ihrer erfolgreichen Arbeit vor. Auch vor diesem Hintergrund ist toll, dass nun auch die Männer nach einer Durststrecke wieder vorne mitmischen. Es zahlt sich jetzt aus, dass wir im Verein dafür die notwendigen Hebel angesetzt haben, junge Leute zu integrieren.

Sie haben bewusst von "wir" gesprochen. In erster Linie wird der Erfolg aber immer mit dem Trainer in Verbindung gebracht.

Mohrhoff Ich war immer ein Wir-Typ, weil ich versuche, mit und im Sinne des Vereins zu denken und zu handeln. Aber dafür braucht es eben auch eine Mannschaft mit entsprechendem Charakter, die bereit ist, den Weg mit zu gehen.

Was meinen Sie damit?

Mohrhoff Ich habe ein Team, das gewillt ist, Leistung zu bringen. Dazu gehört auch, vernünftig zu trainieren. In der Vorbereitung war das bis zu fünfmal wöchentlich. Das machen sonst nur Oberligaklubs, und bei denen werden die Spieler meist bezahlt. Unsere Jungs, von denen drei aus Düsseldorf kommen, bekommen nicht mal eine Aufwandsentschädigung. Jeder ist bereit, für den Erfolg einen gewissen Aufwand zu betreiben. Daher ist das nicht allein mein Verdienst.

Aber es ist ja nicht so, dass die Mannschaft im vergangenen Jahr nicht auch trainiert hätte. Wie erklären Sie sich dennoch die enorme Leistungssteigerung?

Mohrhoff Da kommen viele Dinge zusammen. Viele kleine Bausteine, die in der Summe den Erfolg ergeben. Enorm positiv wirkt sich aus, dass wir in dieser Saison meist die komplette Truppe im Training dabei haben. Es haben zwar erfahrene Leute wie Andy und Oliver Rath sowie Sven Misera aufgehört, die waren zuletzt leider beruflich sehr engagiert und konnten deshalb nicht immer trainieren.

Hat der Erfolg vielleicht schon in der vergangenen Saison begonnen, als man sich als Team gemeinsam gegen den Abstieg gestemmt hat?

Mohrhoff Ich denke schon, dass uns der Abstiegskampf zusammengeschweißt hat. Aber es fügen sich in diesem Jahr viele gute Umstände. Wir hatten eine gute Vorbereitung, aber entscheidend ist auch, dass die Jungs das auf dem Feld umsetzen. Und da spreche ich alle an. Auch die Jungen wie Nermin Rufatovic, Thomas Jentjens oder Thorsten Arts greifen als Rädchen ins große Ganze. Aber ihren wahren Charakter zeigt die Mannschaft erst, wenn sie zum ersten Mal verloren hat. Dann bin ich gespannt, wie sie reagiert. Ich hoffe aber natürlich nicht, dass dies so schnell passiert.

Wann merkt man als Trainer, da geht was in dieser Saison?

Mohrhoff Wie weit es für uns nach vorne geht, werden wir sehen. Die Saison ist ja noch lang. Aber es stimmt schon, die Jungs erleben gerade einen wahnsinnigen Höhenflug, schweben auf einer positiven Euphoriewelle. Insbesondere die Älteren begreifen nicht, was da abgeht, weil damit wirklich nicht zu rechnen war. Versuchen Sie mal einer Mannschaft, die fast abgestiegen wäre, zu vermitteln, dass sie Sechster werden dann. Wenn ich dann noch gesagt hätte, wir spielen oben mit, hätten die gefragt: Mohrhoff, tickst du noch sauber?

Was sagen Sie nach elf Spieltagen, wenn man Sie fragt?

Mohrhoff Wir sind nun schlauer und müssen unser Ziel nun natürlich neu definieren. Wir können, glaube ich, mit gutem Gewissen sagen, dass wir dauerhaft in dieser Saison oben mitspielen wollen. Die Jungs hatten bislang einen Lauf. Da ist von Spiel zu Spiel immer mehr etwas zusammengewachsen. Und nun sind elf Partien vorbei – und wir haben noch nicht verloren. Wahrscheinlich könnte jeder Trainer gerade die gleiche Leistung rausholen. Man braucht nur an kleinen Rädchen zu drehen. Das ist der Vorteil, wenn man erfolgreich ist.

Was zeichnet Ihr Team aus?

Morhhoff In erster Linie der Zusammenhalt. Das merke ich immer wieder, gerade im Training. Es kommt selten vor, dass ein Spieler fehlt, und das zeigt mir auch, dass die Jungs mit meinem Training einverstanden sind. Der Spaß steht im Vordergrund. Bei mir braucht keiner stramm zu stehen, einzig wenn was erklärt wird, muss Disziplin herrschen. Das klappt noch nicht immer bei allen, aber daran arbeiten wir.

Es heißt, Harry kann den Jungen auch mal die Ohren lang ziehen.

Mohrhoff (lacht) Wer hat denn da geplaudert? Nein, im Ernst, ich versuche die richtige Balance zu finden. Aber eines ist doch auch klar: Die Jungen müssen eben mehr machen als die Alten, die die Knochen kaputt haben. Aber es stimmt schon: Wenn ich sehe, dass der Einsatz nicht stimmt und das Spiel dadurch in die Hose geht, kenne ich keinen Freund und Feind.

Es überrascht schon ein wenig, dass die Nachwuchskräfte, die in der Jugend nicht durch die Oberliga gegangen sind, so schnell den Anschluss gefunden haben.

Mohrhoff Auf jeden Fall, doch gerade die Erstgenannten habe ich letztes Jahr als A-Jugendliche bereits unter meine Fittiche genommen und in die erste Mannschaft integriert. Ich bin gespannt, ob sie ihre Leistung dauerhaft abrufen können. Denn gerade bei jungen Spielern ist es normal, dass nach einer derartigen Leistungssteigerung wie in dieser Spielzeit irgendwann ein Knick kommt.

Das nächste Spiel ist immer das schwerste, heißt es. In diesem Fall stimmt das vielleicht sogar. Am 14. Januar kommt es zum Topduell mit dem TV Korschenbroich II, der ebenso noch verlustpunktfrei ist.

Mohrhoff Ja und ich freue mich wahnsinnig, denn wir haben uns dieses Spiel durch unsere Leistungen verdient. Aber Korschenbroich wird nochmal eine andere Hausnummer, denn das Team ist mit ehemaligen Bundesligaspielern besetzt. Doch wir haben nichts zu verlieren. Die Jungen haben schnelle Beine, und das kann gegen die älteren Semester beim TVK vielleicht ein Vorteil sein. Um im Rhythmus zu bleiben und uns optimal vorzubereiten, fangen wir daher schon Anfang Januar wieder mit dem Training an. Ich bin gespannt, was wir dort leisten können. Der Verein hat bereits einen Bus gechartert.

Ist Verlieren ein Thema?

Mohrhoff Auf jeden Fall. Wenn wir dort verlieren, ist das aber nicht schlimm.

Und wenn sie gewinnen?

Mohrhoff ... fahren wir zum nächsten Spiel vielleicht mit zwei Fanbussen. Nein, Spaß bei Seite. Das wäre die Krönung der bisherigen Saison.

Die Euphoriewelle ist das eine, aber auch sportlich hat der SV Straelen durchaus Ausrufezeichen gesetzt. Ich denke nur an das Spiel gegen Königshof. Die haben Sie nicht mal eben so besiegt, sondern in deren Halle vorgeführt.

Mohrhoff Das war eine echte Hausnummer, mit zehn Toren Vorsprung zu gewinnen, zumal wir im vergangenen Jahr richtig abgewatscht wurden. Aber wir waren gut eingestellt, und der Gegner war dem plötzlichen Gegendruck, den er erfahren hat, nicht gewachsen. Nach 25 Minuten fiel die Königshofer Mannschaft auseinander.

Verändert sich da irgendwann auch die Wahrnehmung? Heißt: Es reicht plötzlich nicht mehr, nur zu gewinnen, es muss dann auch noch schön gespielt werden?

Mohrhoff Wir versuchen immer, schön zu spielen, aber es wird von Sieg zu Sieg schwieriger, den Erfolg zu bestätigen. Außerdem sind wir ohnehin nicht in der Lage, durch Schönspielerei eine Partie zu gewinnen. Für unseren Erfolg ist entscheidend, dass wir mit der nötigen kämpferischen Einstellung agieren, uns auf den Gegner konzentrieren. Ins Spiel gehen und sagen: Wir spielen nur schön, gibt's bei mir nicht. Dann gibt's Ärger mit dem Trainer.

Es ist doch ohnehin eher von Vorteil zu wissen, dass man von der ersten Sekunde an präsent sein muss.

Mohrhoff Das sehe ich auch so. Man darf jedoch nicht vergessen: Wir haben eine junge Truppe mit einem Durchschnittsalter von knapp 22 Jahren. Die Jungs müssen alle immer noch lernen, auch wenn sie gerade eine schöne Zeit haben. Erfolg macht sexy oder wie heißt das?

Spüren Sie, dass der Erfolg eine Außenwirkung hat? Und dass Kinder sagen: Wir kommen nach Straelen und nicht nach Aldekerk?

Mohrhoff Zunächst einmal: Wir können uns nicht mit Aldekerk vergleichen. Das ist ein bombastisch geführter Verein von der Jugend an. Nicht umsonst spielen dort so viele Nachwuchs-Mannschaften in der Oberliga unter hoch qualifizierten Trainern. Da können wir nicht mithalten. Es wäre schön, wenn wir auch eine solche Struktur hinbekämen, aber wir haben eine andere Philosophie. Der Spaß steht im Vordergrund, weniger der Leistungs-Handball. Bei den Mädchen klappt das seit einigen Jahren wirklich gut. Von insgesamt 23 haben wir 17 Jugend-Mannschaften, elf davon sind Mädchenteams, die zum Teil von ehemaligen Spielerinnen trainiert werden, die auch Dinge vormachen können. Bei den Jungs fehlt es etwas an Personal, dort müssen wir Hebel ansetzen, um auch in Zukunft Nachwuchs aufbauen zu können.

Die erste Mannschaft kann da sicherlich eine "Leuchtturmfunktion" einnehmen.

Mohrhoff Klar, man spürt das – auch bei den Zuschauern. Es kommen inzwischen mehr Besucher in die Halle. Und ich hoffe, dass dies auch noch so ist, wenn wir mal einen Dämpfer bekommen haben.

Sie gelten als sehr emotional an der Seitenlinie. Bislang aber dürften Ihre Nerven geschont worden sein.

Mohrhoff Na ja, gegen Neuss wurden sie schon ganz schön strapaziert. Ich habe inzwischen ein Gespür für mein Team. Wenn die Jungs nicht konzentriert im Training arbeiten, wirkt sich das meist auf das Spiel aus. Nach dem Sieg gegen Königshof hatte ich mächtig Arbeit, den Spielern zu sagen: Bleibt auf dem Teppich. Klar darf man sich darüber freuen und auch in zehn Jahren noch davon träumen. Aber das nächste Spiel ist das wichtigere. Deshalb war ich angefressen, weil ich gemerkt habe, dass sie in der Woche danach nicht so konzentriert waren. Und weil ich nicht wollte, dass wir das Erarbeitete leichtfertig aus der Hand geben.

Straelen hat die beste Abwehr der Liga mit den wenigsten Gegentreffern. Auch ein Erfolgspunkt?

Mohrhoff Ich denke, es zahlt sich aus, dass wir härter und auch mehr Beinarbeit trainiert haben. Schnellere Beine zu haben, heißt weniger Tore zu kassieren. Dazu kommt die Bereitschaft, zurück zu laufen und vor allem für andere zu rennen und sich gegenseitig zu helfen. Unsere Abwehr ist stabiler geworden, wir spielen weniger ängstlich und geradliniger als in der vergangenen Saison. Mit Torhüter Martin Pieper, der aus Lobberich zurückkam, haben wir auch einen Glücksgriff gemacht. Er profitiert auch von der großen Erfahrung unseres Torwarttrainers "Didi" Grotelaers, der mich in meiner Arbeit hervorragend unterstützt.

Provokant gefragt: Kommt der Aufstieg zu früh?

Mohrhoff Aufstieg ist ein großes Wort. Träumereien sind erlaubt, klar, und wir würden den Aufstieg auch mitnehmen. Kein Sportler würde das ablehnen, zumal es in diesem Fall kein Sprung in den bezahlten Sport wäre und zur Entwicklung der Jungen ganz gut passen würde. Als Lernprozess wäre das sicher gut. Ohnehin fände ich die Verbandsliga für den SVS die richtige Klasse. Wir sollten künftig dort hinkommen, dass man irgendwann dauerhaft mit dem SV Straelen die Verbandsliga verbindet. So wie Aldekerk und die Oberliga.

Welches gute Ritual pflegen Sie, dass der SVS so erfolgreich ist?

Mohrhoff Das ist eine fiese Frage. Da gibt es viele Sachen. Zum Training ziehe zum Beispiel keine Strümpfe an. Das ist verrückt, ich weiß. Und wenn ich zum Training fahre, muss auf dem Weg von Wesel nach Straelen die Ampel in Issum grün sein. Glauben Sie mir, ich fahre manchmal so langsam, bis sie umspringt. In Straelen angekommen, muss ein Fenster immer beleuchtet sein. Wenn das alles zutrifft, haben wir Erfolg.

Herr Mohrhoff, das war aber jetzt nicht ernst gemeint.

Morhoff Ach, ein bisschen bekloppt muss man doch sein.

Das Gespräch führten Stefanie Sandmeier und Reinhard Pösel.

(RP)
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