Handball Ein Hammer für das Familienalbum

Kerken · Partystimmung in Kerken: Die Familie des deutschen Handball-Nationalspielers Julius Kühn fieberte am Donnerstag vor dem Fernseher mit. In der Schlussphase schoss der Sohn, Enkel, Bruder, Neffe und Cousin den Weg ins EM-Halbfinale frei.

 Mächtig stolz auf den Enkel, Sohn und Bruder: Ulrike Kühn, Hermann Wefers und die Geschwister Niklas und Pia drückten gestern Abend erfolgreich die Daumen. Als Julius Kühn in der 53. Minute mit dem Treffer zum 22:23 die Wende einleitete, gab's endgültig kein Halten mehr.

Mächtig stolz auf den Enkel, Sohn und Bruder: Ulrike Kühn, Hermann Wefers und die Geschwister Niklas und Pia drückten gestern Abend erfolgreich die Daumen. Als Julius Kühn in der 53. Minute mit dem Treffer zum 22:23 die Wende einleitete, gab's endgültig kein Halten mehr.

Foto: Gerhard Seybert

Noch rund sieben Minuten waren zu spielen, als es auf der großen Handball-Party in Kerken-Rahm gestern Abend schon merklich ruhig wurde. Die deutsche Nationalmannschaft lag zu diesem Zeitpunkt gegen Dänemark mit 21:23 zurück — das Halbfinale um die Europameisterschaft schien in weite Ferne gerückt. Doch dann sprach Bundestrainer Dagur Sigurdsson in der Auszeit folgende Worte, die zunächst Hoffnung und wenig später einen Freudentaumel bei den Familien Kühn, Bleckmann und Wefers auslösen sollten: "Julius, Du kommst rein."

Und Julius Kühn kam, guckte sich die Ecke aus und siegte. Der 22-jährige Rückraumspieler des VfL Gummersbach, der in Stenden aufgewachsen ist und beim TV Aldekerk das Handballspielen gelernt hat, avancierte in der Schlussphase zum Kommissar, der den kniffligen Krimi löste. Zunächst packte er den Hammer aus und verkürzte zum 22:23 — ein Treffer, der sich als Initialzündung für die erfolgreiche Aufholjagd der deutschen Mannschaft erweisen sollte. Gänsehaut pur, was sich in diesem Moment daheim im Wohnzimmer abspielte.

Doch das sollte es noch nicht gewesen sein. In den folgenden Minuten leistete Julius Kühn in der Abwehr Schwerstarbeit, hinderte die attackierenden Dänen erfolgreich am Torwurf. Plötzlich Blitzlichtgewitter. Deutschland gewinnt 25:23, steht im EM-Halbfinale. Ganz gleich ob Mutter, Onkel, Tante, Bruder, Schwester, Cousin oder Cousine: Alle zücken ihr Smartphone, um ein Foto von ihrem Julius zu erhaschen, der ausgelassen jubelnd auf dem Bildschirm zu sehen ist. Nur Opa Hermann Wefers verfolgt nebenan in aller Ruhe das Geschehen.

"Das ist unglaublich. Ich hatte mich ja schon gefreut, dass der Junge sein Tor gemacht hat. Und dann passiert so etwas", sagte Ulrike Kühn. Die Mutter des Handball-Helden hatte zwischenzeitlich kaum noch hinsehen können und sich mit den ersten Facebook-Einträgen abgelenkt, die in der Halbzeitpause eingetroffen waren. Zu sehen unter anderen Kinder aus der Nachbarschaft, die vor dem Fernseher ihr Idol Julius feiern.

Vor der Live-Übertragung hatten Carsten und Ina Bleckmann (Onkel und Tante) das Wohnzimmer festlich geschmückt, schon an der Eingangstür begrüßte eine Deutschlandfahne die Besucher. Es folgen die ersten begeisterten Rufe: "Da ist Julius!" Der 22-Jährige, der erst am Sonntagabend vom isländischen Bundestrainer nachnominiert worden war, weil sich die Rückraumspieler Steffen Weinhold und Christian Dissinger verletzt hatten, singt soeben die Nationalhymne.

Zu diesem Zeitpunkt — Cola, Bier, Sekt, Frikadellen und Schnittchen machen schon die Runde — macht sich Mutter Ulrike etwas Sorgen: "Ich weiß, wie es gerade in Julius aussieht. Der ist schon nervös." Es beginnt das Spiel, Deutschland gerät zunächst in Rückstand. Erste Jubelstürme auf dem Sofa löst ARD-Kommentator Florian Naß nach wenigen Minuten mit folgendem Satz aus: "Ich bin mir sicher, dass die nachnominierten Spieler Julius Kühn und Steffen Häfner kommen werden."

Der Mann hat Recht: Nach zwölf Minuten betritt der Spieler aus der Aldekerker Handball-Schule das Parkett, mit der Nummer 35. Von Unsicherheit keine Spur. Mit abgeklärten Aktionen in der Abwehr verschafft sich Julius Kühn sofort den nötigen Respekt. In der Folgezeit setzt Dagur Sigurdsson den Blondschopf regelmäßig ein. Meistens dann, wenn der treffsichere Halblinke Steffen Fäth eine Verschnaufpause erhält.

Dann der eingangs erwähnte Satz, der dem EM-Helden aus Stenden und der ganzen Familie wohl ewig in Erinnerung bleiben wird: "Julius, Du kommst rein." Wenig später steht fest: Die Handball-Party geht weiter. Als die ersten Glückwünsche als Kurznachrichten eintrudeln, wird deutlich: Für das Halbfinale am Freitag — Gegner ist dann Norwegen — ist selbst das große Wohnzimmer in Rahm zu klein.

Die "Julius-Feier" fällt am Freitag noch etwas größer aus. Sie findet dort statt, wo der Hüne als Knirps seine ersten Tore geworfen hat: in der Vogteihalle. "Wir werden einen Beamer aufstellen und uns das Spiel mit der Familie, Freunden und Fans anschauen. Und die Theke öffnen wir auch", kündigte Onkel Carsten unmittelbar nach dem großen Auftritt seines Neffen an.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort