Lokalsport Statt Rollstuhl: Freiheit unter Wasser

Gelderland · Der Kerkener Freddy Gaubitz gibt im Parkbad Geldern Tauchkurse für Menschen mit Behinderung. Inklusion ist dabei schon lange Realität. Zwei Taucher berichten von ihren glücklichen Erlebnissen in der dritten Dimension.

Felix Vos sitzt am Beckenrand. Während er sich für seinen Tauchgang fertig macht, schiebt Freddy Gaubitz dessen Rolli zur Seite. Für die beiden als eingespieltes Team ist das nichts besonderes. Die Schwimmer im Parkbad Geldern werfen ab und zu interessierte Blicke zu den Tauchern.

Das Anlegen des Jackets mit der Pressluftflasche im Wasser - für Felix Vos ist das Routine. Seit 18 Jahren taucht der 31-Jährige. Sein erstes Mal unter Wasser, als 13-Jähriger im Urlaub mit seinen Eltern, hat ihn nicht mehr losgelassen. "Genial", nennt er "dieses Gefühl, sich endlich dreidimensional bewegen zu können." Von Geburt an kennt er dieses Gefühl nicht. Auf die Welt gekommen ist er mit der Diagnose Spina bifida (offener Rücken). Der Rollstuhl ist sein ständiger Begleiter, außer unter Wasser. Dort kann er sich "grenzenlos fortbewegen". "Das macht die Sucht aus, gibt mir den Kick", sagt der begeisterte Taucher. Kein Einzelfall, wie Freddy Gaubitz weiß. Er ist Tauchlehrer und leitet den Verband IAHD (International Association of Handicapped Divers) in Deutschland. Als es das Wort Inklusion noch gar nicht gab, da haben Tauchlehrer das schon längst mit Menschen mit Behinderung praktiziert.

Beim Schnuppertauchen werden die Menschen mit Behinderung erst einmal an das Element Wasser herangeführt. Vertrauen bekommen steht an erster Stelle. Getaucht wird in Dreier-Gruppen, dem so genannten "Buddy-Team". "Das besteht aus dem Aspiranten, der tauchen möchte, einem Begleittaucher, der führt und einem weiteren Begleittaucher, der beobachtet", erklärt Gaubitz. Derjenige, der beobachtet, achtet auf die Reaktionen des Tauchneulings und kann sofort sehen, ob und wie der Aspirant in der Unterwasserwelt zurechtkommt. Die nächste Stufe ist, den Tauchschein zu erwerben. Den hat Felix Vos schon in der Tasche. Mittlerweile denkt er darüber nach, noch Zusatzqualifikationen anzustreben, zum Beispiel "Nitroxtauchen". Dahinter verbirgt sich Tauchen mit Luft, die zusätzlich mit Sauerstoff angereichert ist.

Eigentlich sei er der typische Urlaubstaucher, schöne Dinge unter Wasser sehen und warmes Wasser. Dass er sich dennoch in die Fluten des Gelderner Parkbads stürzt, hat einen einfachen Grund: Übung. "Früher habe ich ein Jahr nichts gemacht, als ich nur im Urlaub getaucht bin, und musste immer wieder bei Null anfangen", sagt Vos. Dagegen hilft nur regelmäßiges Training. Sein Tauchlehrer Freddy Gaubitz denkt sich immer neue Übungen aus. Das bringt Sicherheit im Wasser. "Darum macht auch das Tauchen im Schwimmbad Spaß, auch wenn ich alle Kacheln schon kenne", sagt Vos.

Am Ende seines Tauchgangs setzt er sich an den Beckenrand. Seinen Rollstuhl fährt ihm diesmal Peter Fischer an den Beckenrand. Er sitzt selber im Rolli, seit 1986, als er zwischen Wand und Lkw eingeklemmt wurde, ein Arbeitsunfall. "Mein großes Glück ist eine intakte Familie und ein intakter Freundeskreis", sagt Fischer. Seine Freiheit: Das Tauchen. "Unter Wasser sind wir alle gleich gestellt", sagt der Duisburger, der nach Geldern zum Tauchen kommt. Ob Fußgänger oder Rollifahrer, das sei egal. Obwohl einen Unterschied gebe es doch, verrät der 48-Jährige. "Die Rollifahrer sind die einzigen ohne Flossen", denn das mache ja keinen Sinn.

Auf die Frage, wen er denn lieber trainiere, ob Fußgänger oder Rollifahrer, muss Tauchlehrer Freddy Gaubitz kurz überlegen. "Die Menschen mit Behinderung sind glücklicher", sagt er. Er erzählt die Geschichte vom 65-Jährigen mit Multipler Sklerose, der nach seinem ersten Tauchgang jauchzend aus dem Wasser kam. Tauchen mache viel mit dem Menschen. Die Durchblutung in den Armen und Beinen wird durch den Umgebungsdruck verbessert. Atmung und Koordination werden verbessert und das Muskelgewebe gestärkt. Das andere ist die Psyche. Zu dem Gefühl "ein normaler Fußgänger" zu sein, gesellt sich die Gewissheit, etwas zu können, was nur zehn Prozent der Fußgänger können oder sich überhaupt zutrauen.

Die positiven Auswirkungen sind überall auf der Welt gleich. Das hat Freddy Gaubitz bei seinen vielen Reisen festgestellt. Der 38-Jährige Uruk Kacak aus der Türkei, der bei einem Erdbeben beide Beine verlor, findet die gleichen Worte für sein Hobby, wie seine deutschen Tauchfreunde: "Ich habe unter Wasser das Gefühl, ein kompletter Mensch und gleichberechtigt zu sein." Und Freddy Gaubitz? Der Tauchlehrer kennt auch das Gefühl der Unfreiheit seiner Tauchschüler. Vor fünf Jahren hatte er einen Bandscheibenvorfall. "Zwei Stunden lang war ich gelähmt. Danach habe ich gedacht: Ich will den Menschen was zurückgeben und wollte was Soziales tun." Seitdem schleppt er die Pressluftflaschen, Bleigürtel und Co. bis an den Beckenrand, schiebt Rollis zur Seite und taucht mit seinen Schülern in die Freiheit.

(bimo)
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