Geldern Thierse lehrt "Respekt vor den Unterschieden"

Geldern · Auf Einladung der Volkshochschule Gelderland sprach der Politiker über "Toleranz in Zeiten von Migration und Integration". Er nahm sich viel Zeit für die Schüler und ging auf etliche Fragen ein.

 Die Zuhörer in der Aula des Lise-Meitner-Gymnasiums verfolgten interesssiert die Ausführungen des ehemaligen Bundestagspräsidenten.

Die Zuhörer in der Aula des Lise-Meitner-Gymnasiums verfolgten interesssiert die Ausführungen des ehemaligen Bundestagspräsidenten.

Foto: Gerhard Seybert

Was kann eine neue Generation tun, um für mehr Gemeinsamkeit und Frieden einzustehen? Welche Möglichkeiten gibt es, die aktuellen Probleme anzugehen? Das ehemalige Bundestagsmitglied Dr. Wolfgang Thierse versuchte, bei dem Finden der Antworten zu helfen. Der aus der DDR stammende Politiker, der aktiv an der Wende beteiligt war und Germanistik sowie Kulturwissenschaften studiert hat, sprach gestern während einer Sonderveranstaltung in der Aula des Lise-Meitner-Gymnasiums viele aktuelle Themen an.

"Respekt vor den Unterschieden - Toleranz in Zeiten von Migration und Integration", so hieß der Titel von Thierses Rede, die dank der Organisation der VHS Gelderland stattfand.

Nach der Begrüßung durch Gelderns Bürgermeister Sven Kaiser begann Thierse mit den Worten: "Toleranz, und warum sie notwendig ist. Denn Deutschland ist ein schönes Land, aber auch eines mit vielen Gegensätzen und höchst unterschiedlichen Überzeugungen." So besteht Deutschland heute zu 30 Prozent aus Protestanten, aus 30 Prozent Katholiken, fünf Prozent Muslimen und vielen weiteren Gruppen. "Und 85 Prozent aller Menschen meinen, dass man gegenüber anderen Religionen offen sein soll! Toleranzfähigkeit heißt: Im eigenen Kopf ist Platz für mehr als eine Meinung."

Unser Land werde immer vielfältiger und damit auch widersprüchlicher. "Wie wir damit umgehen, entscheidet über unsere zukünftige Freiheit, die wir natürlich behalten wollen, oder?" Thierse wandte sich mehrfach in seiner Rede direkt an die zahlreichen Schüler im Saal, um diesen seine Punkte klar zu machen. "Wir leben in einem Staat ohne Staatsreligion nach gemeinsamen Grundlagen, da wird Toleranz gebraucht. Aber das heißt nicht, dass wir alles laufen lassen sollen, und das ist eine schwierige Sache. Tolerant bedeutet, den eigenen Wahrheitsanspruch auch anderen zuzugestehen. Tolerant zu sein heißt, Respekt zu haben."

Zum Aufschwung rechter Parteien hatte der Gast auch direkte Worte: "Eine Verteidigung der Freiheit durch Verbote ist unmöglich. Wir sollten uns immer vor Augen führen, dass Religion genauso wie Religionslosigkeit missbraucht werden kann."

Auch äußerte der ehemalige Bundestagspräsident zu den Problemen mit islamischen Extremisten eindeutige Ansichten: "Nachdem wir gesagt haben: Ja, der Islam gehört zu Deutschland, dürfen wir auch Fragen stellen." Für Thierse ist die Integration "eine große Aufgabe und eine doppelte Aufgabe. Denn die zu uns Gekommenen sollen heimisch werden, und den Einheimischen soll das eigene Land nicht fremd werden. Beide Gruppen muss man im Blick haben."

Nach seiner Rede ging Thierse noch auf etliche Fragen der Anwesenden ein. Was er denn von Donald Trump halte, war eine der ersten: "Es ist nicht gut, dass er die Ängsten und Sorgen der Leute nicht aufnimmt, sondern instrumentalisiert. Gnade uns Gott, wenn Donald Trump die Präsidentschaftswahl gewinnt." Die aktuellen Probleme mit sich nicht integrierenden Flüchtlingen sieht Thierse in der Vergangenheit Deutschlands verankert: "Als in den 60er und 70er Jahren die Gastarbeiter kamen, machte sich bereits damals niemand die Mühe, diese zu integrieren. Die Folgen davon spüren wir noch jetzt, und ich befürchte, dass es heute immer noch zu wenig Integrationsaktionen gibt."

Was den aktuellen Einzug von rechtem Gedankengut in die Politik angeht, so sagte Thierse klar: "Wer nach der Begrenzung von Zuwanderern ruft, der ist noch kein Nazi. Aber wer die schnelle Lösung fordert, der fordert eine gefährliche Entscheidung, soviel sollte man aus der Geschichte wissen."

Abschließend forderte er alle Schüler in der Aula des Lise-Meitner-Gymnasiums auf: "Ruhen Sie sich nicht aus, sondern werden Sie aktiv. Die Parteien brauchen Nachwuchs. Sie sollten die Politik nicht komplett so alten Säcken wie mir überlassen."

Nach seiner Rede nahm sich Thierse noch die Zeit, seine Punkte mit Vertretern der Schülerzeitungen des Straelener Gymnasiums, des Berufskollegs der Liebfrauenschule sowie des Lise-Meitner-Gymnasiums zu besprechen. Die Interviews werden bald auf deren jeweiligen Schul-Homepages zu lesen sein.

(cnk)
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