Geldern Über Schuld und Verzeihen

Geldern · In der JVA Pont drehte sich alles um Neuanfänge, Täter und Opfer. Vier Experten stellten ihre Sicht auf das komplexe Thema der Schuldvergebung vor. Hart am Leben waren die Beiträge der Gefangenen.

Vorne steht ein kräftiger Kerl, dunkle, zurückgekämmte Haare. "Meine Mutter nennt mich Oualid", stellt er sich vor. Er habe einen Ehrenkodex, den habe er eingehalten und niemanden verraten. Es geht um schweren Raub, an dem er beteiligt war. "Meine Mutter, sie leidet heute noch darunter." Er räuspert sich. "Sie nennt mich immer noch Oualid, aber ihre Stimme klingt anders." Er wendet sich an das Publikum. Damals sei ein Urteil gefällt worden,wegen seiner Tat, im Namen des Volkes. "Das sind doch Sie", sagt er an die Zuhörerschaft gewandt. Es ist das Publikum einer öffentlichen Veranstaltung in einem sonst so gar nicht öffentlichen Raum. Der Förderverein der JVA Pont hatte zum Knastgespräch eingeladen. Die Zuhörer mussten zahlreiche Türen, die sonst verschlossen sind, passieren und sitzen nun in der Kapelle der JVA. Hören zu.

Oualid kann sich sicher sein, er wird gehört. Seine Gedanken sind so nah am Leben, so eindringlich, streifen das Thema des Abends. Es geht um Schuld und Verzeihen. "Wen muss ich um Verzeihung bitten?", fragt der Verurteilte in die Runde. Nachdenklich stellt er fest, dass er doch seinen Ehrenkodex gebrochen hat. Der Verrat treffe seine Ehefrau, Vater, Mutter. "Die mich Oualid nennt und Sohn."

Nüchterner wird die Betrachtung des Themas mit Jörg Werner. Der Direktor des Amtsgerichts Geldern erklärt aus juristischer Sicht, was es mit der Schuld auf sich hat. Allerdings stellt er auch klar: "Den Begriff des Verzeihens kennt das Strafrecht nicht." Dafür gibt es etwas anderes, den Täter-Opfer-Ausgleich. "Das Opfer gerät damit in eine aktive Rolle des Verfahrens. Das Bedrohungsgefühl kann dadurch verringert werden", erklärt der Jurist.

Wie Opfer sich fühlen, was sie brauchen, das beschreibt Cornelia Zander sehr eindrücklich. Sie ist eigentlich Bewährungshelferin, seit zwölf Jahren ist sie auch für Zeugen und Opfer da. Der wesentliche Faktor, der in ihren Ausführungen auftaucht, wenn es ums Verzeihen geht, ist Zeit. "Wenn der Partner, das Kind getötet wurde, dann bringt den Betroffenen Reue nichts. Die sind fertig. Verzeihen können die zu diesem Zeitpunkt nicht. Das ist so."

Ein Zuhörer will wissen, welche inneren Prozesse bei den Verurteilten ablaufen. "Entweder es macht Klick, oder es macht nicht Klick", fasst es Oualid zusammen. Viele seien sich der Schuld nicht bewusst. "Je mehr man sich mit dem Thema befasst, desto mehr wird einem aber die eigene Schuld bewusst", sagt Oualid. Einer der Inhaftierten, der im Publikum sitzt, erzählt: "Draußen war ich blind. Früher dachte ich: Ich bin das Opfer." Im Knast kam der Blickwechsel, der Blick auf die eigene Schuld. "Zur Schuld gehört das Erkennen. Schuld hat etwas mit Ehrlichkeit gegenüber mir und den anderen zu tun", erklärt die Wuppertaler Pfarrerin Sibylle Karrer. Leider versäumt die Pfarrerin das "Wie" aufzuzeigen, wofür das Christentum eigentlich steht. Es steht für einen Neuanfang, weil Jesus Christus am Kreuz für alle Schuld gestorben ist.

Karl Schwers, Leiter der JVA Pont, bringt das Thema auf die menschliche Ebene. "Wir sind alle schuldig geworden im Lauf unseres Lebens, mal mehr, mal weniger." Entscheidend sei, wie wir anderen Menschen begegnen, etwa denen, die an uns schuldig geworden sind. "Können wir verzeihen?" Es bleibt eine Suche nach Antworten, die jeder für sich persönlich beantworten muss.

(RP)
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