Geldern Zwei Schiedsmänner pflegen die Streitkultur

Geldern · Fred Hörster und Martin Buchert versuchen bei Konflikten zu vermitteln. Die Menschen haben das Streiten verlernt, sagen sie.

 Martin Buchert und Fred Hörster versuchen zu vermitteln, wenn es in der Nachbarschaft zu Konflikten kommt.

Martin Buchert und Fred Hörster versuchen zu vermitteln, wenn es in der Nachbarschaft zu Konflikten kommt.

Foto: Seybert

Das ist im Grunde natürlich ein schöner Irrsinn, wenn zwei Schlichter sich beklagen, dass da draußen nicht mehr richtig gestritten wird. "Die Menschen haben das verlernt", sagt Martin Buchert. "Heute erträgt man viel mehr als unbedingt notwendig ist." Buchert, 69, Brille, Streifen-Pulli, bedacht in der Wortwahl, wirkt nun gerade nicht wie der Typ, der über den Gartenzaun hinweg kräftig austeilt. Und eigentlich möchte er auch genau das verhindern.

Martin Buchert ist Gelderns Schiedsperson für die Innenstadt, Kollege Fred Hörster kümmert sich um die Ortschaften. Sie sind im Einsatz, wenn ein Konflikt, vornehmlich unter Nachbarn, von den streitenden Parteien nicht gelöst werden kann, wenn sich Dinge hochgeschaukelt haben oder seit langem schwelen. Statt den Ärger zur Sprache zu bringen und einen Streit frühzeitig beizulegen, werden dann etwa in einer "Nacht- und Nebelaktion" Nachbars Hecke und der störende Baum kleingemacht, so hat es Fred Hörster erlebt.

"Viele Konflikte werden um des Friedens willen verlagert oder verdrängt", sagt Martin Buchert. Bevor allerdings ein Streit eskaliert - erlebt hat das Issum auf schreckliche Weise im April, als eine 49-Jährige ihre Nachbarin mit dem Wagen überfuhr - sollen die Schlichter zur Stelle sein. Üblicherweise wird bei nachbarschaftlichen Konflikten dann ein Schiedsverfahren eingeleitet, die Parteien werden an einen Tisch gesetzt. Im besten Fall reden sie miteinander, und ein Vertrag wird geschlossen. Im schlechteren Fall schreien sie sich an. "Dann haue ich kräftig auf den Tisch", sagt Fred Hörster. Im schlechtesten Fall landet ein Fall schlussendlich vor Gericht.

Bevor es soweit kommt, wird sich jedoch um Kompromisse bemüht: Die Hecke darf 1,20 Meter hoch sein, auch wenn streng genommen nur ein Meter zulässig ist. Gutachter werden bestellt, und ihre Expertise gilt: Die neue Wärmepumpe des Nachbarn ist tatsächlich zu laut und muss versetzt werden. "Wir agieren nicht im rechtsfreien Raum", sagt Buchert. "Aber die Verhandlungen finden auf einem anderen Level statt, als wenn Sie vor dem Richter stehen", sagt Hörster. Den Konflikt um die Wärmepumpe konnte Hörsters befrieden. "Nach der Einigung sind die Nachbarn in die Kneipe gegangen - einen trinken."

Nicht immer wird gleich ein offizielles Schiedsverfahren eingeleitet, das übrigens 50 Euro Gebühr kostet, häufig machen die Schiedsmänner kurzen Prozess. "Tür-und-Angel-Fälle" nennen sie Konflikte, die sich schon an der Haustür gütlich regeln lassen. Wenn ein Fall die Kompetenzen der Ehrenamtler zu übersteigen droht, wie bei der Dame, die von einem Schlüsseldienst übers Ohr gehauen wurde, rufen sie die Polizei.

Seit 14 Jahren macht Buchert den Job, seit zehn Jahren ist Hörster dabei. Freiwillig setzten sie sich den Konflikten anderer aus. Warum tut sich das einer an? Die beiden überlegen. "Aus Überzeugung", sagt Buchert. Auch weil er nach der Pensionierung eine Aufgabe suchte, sagt der 73-Jährige Fred Hörster. Und manchmal hat dieser Job auch für die Schlichter einen richtigen Zugewinn, erzählt Martin Buchert und lacht. Eine Familie, der er einmal half, bringt ihm seitdem stets vor Weihnachten einen Stollen vorbei.

(RP)
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