Goch-Nierswalde Aus Dankbarkeit für die neue Heimat

Goch-Nierswalde · Luzia Rehaag wurde 1953 mit vielen Kindern zur Siedlerin in Nierswalde. Zum Dank errichtete die Familie ein Wegekreuz.

 Adolf Rehaag und seine Tochter Marianne am Wegekreuz ihrer Familie. Drei Aktive des Nierswalder Heimatvereins - Gerd Engler, Richard Dittrich und Gustav Kade (v.l.) -setzten sich für die Restaurierung ein.

Adolf Rehaag und seine Tochter Marianne am Wegekreuz ihrer Familie. Drei Aktive des Nierswalder Heimatvereins - Gerd Engler, Richard Dittrich und Gustav Kade (v.l.) -setzten sich für die Restaurierung ein.

Foto: stade

Die eigentliche Heldin dieser Geschichte kommt nur indirekt vor, weil sie schon lange nicht mehr lebt. Schließlich sind ihre Kinder alle in den 80ern. Luzia Rehaag, in Nierswalde auch in der Erinnerung noch eine Institution, wurde 1947 als junge Witwe mit ihren Kindern aus dem Ermland in Ostpreußen vertrieben. Denn die Heimat gehörte inzwischen zu Polen, die Deutschen mussten raus. Einige ältere Kinder hatten sich zu dieser Zeit schon auf eigene Füße gestellt, sechs der zwölf, die sie geboren hatte, stiegen in den Güterzug, der die Familie in mehrtägiger Fahrt nach Magdeburg brachte.

Wie die Rehaags nach Louisendorf kamen und warum ein Wegekreuz an der Waldstraße ihren Namen trägt - darum soll's hier gehen.

Dass die Ostpreußen, die im Lager Wipperfürth auf ihre Zuweisung warteten, am Niederrhein landeten, ist weitgehend ein Zufall. Eigentlich sollten sie in Monschau angesiedelt werden, aber die Weiterreise verzögerte sich immer wieder. Wichtig war den Ostpreußen, in eine katholische Gegend zu kommen. "Ein Bruder war schon in Pfalzdorf, da hat meine Mutter entschieden, dass wir uns auf den Weg dorthin machen sollten", erinnert sich Adolf Rehaag. Vor Ort angekommen, gelang es dem Bürgermeister nicht, die heimatlose Familie in dem Haus unterzubringen, das er für sie vorgesehen hatte. "Die wollten uns da nicht. Aber da hat meine Mutter gesagt: ,Ihr wartet hier, und ich werde mich mal selbst um die Sache kümmern.'" Mit der Folge, dass die Wohnung im Haus des Bauern dann doch bezogen werden konnte.

Ein eigenes Heim ist etwas anderes, als "untergebracht sein", und deshalb warteten Luzia Rehaag und ihre Kinder darauf, dass sie als Siedler anerkannt wurden und eine Parzelle zugewiesen bekamen. 1950 war es so weit; das "Rheinische Heim" wies der Familie dreieinhalb Hektar Land samt Häuschen in Nierswalde zu. Die Idee, dass einer der Söhne Gärtner werden würde, zerschlug sich allerdings - man betrieb lieber eine kleine Landwirtschaft mit Pferd, zwei Kühen, ein paar Schweinen und Hühnern. "Die Siedler mussten sich selbst versorgen", weiß der Vorsitzende des Heimatvereins, Gerd Engler. Die Schuppen und Ställe, die damals angebaut wurden, stehen noch heute auf der Parzelle, die von zwei unverheiraten Söhnen der Familie bewohnt wird. Die Rehaags sind am Niederrhein heimisch geworden. Weil das gelungen ist, hat die Mutter ein Versprechen, dass die gute Katholikin ihrem himmlischen Herrn gab, 1953 umgesetzt: "Wenn es klappt, dass wir hier siedeln dürfen, dann werden wir eine Kapelle oder ein Kreuz errichten." Für 15 Morgen (andere bekamen 30 oder 60 Morgen zinsgünstig zur Verfügung gestellt) war ein schönes Wegekreuz angemessen: Sohn Adolf, der Tischler wurde, zimmerte es, der Sockel wurde aus Beton gegossen. Im Laufe der Jahrzehnte verblasste die Inschrift auf der Marmortafel, so dass jetzt eine Komplettrestaurierung des Kreuzes anstand. "Weil das Kreuz ein Stück Dorfgeschichte ist, hat sich der Heimatverein an die Voba-Stiftung Brauchtum gewandt, die das Projekt gerne unterstützte", berichtet Engler. Immerhin sind im Rodungsgebiet durch das "Rheinische Heim" 128 Häuser gebaut worden, berichtet Gustav Kade vom Heimatverein.

Während die meisten Siedler Protestanten waren, gab es auch einige katholische Familien, die in den Randbereichen des Dorfes angesiedelt wurden. Weil die Katholiken in der ersten Zeit nicht gut gelitten waren, musste sogar das Kreuz der Familie noch einmal umgesetzt werden. "Die Sache ist sogar vor Gericht gekommen. Wir mussten das Kreuz weiter weg von der Straße aufstellen, damit es auf eigenem Boden und nicht auf Gemeindegrund stand", weiß der heute 82-jährige Adolf.

Dass die Siedler untereinander im Laufe der Jahre dann doch eine gute Gemeinschaft wurden, ist wohl damit zu erklären, dass alle aus vergleichbarem kulturellem Umfeld stammten und eine gemeinsame Sprache hatten. Mit Blick auf die heute deutlich schwierigere Integration von Flüchtlingen erklärt Rehaag: "Damals hatten alle nichts. Alles war kaputt, es ging um den gemeinsamen Wiederaufbau. Arbeit war genug, und alle hatten ein Ziel. So sind wir heimisch geworden."

(RP)
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