Goch Behindert – und trotzdem selbstständig

Goch · Mit einem Pilotprojekt in Pfalzdorf fördert das LVR-HPH-Netz Niederrhein das ambulant-betreute Wohnen von geistig Behinderten.

 Markus will nicht nur das Bett selbst machen, sondern auch sein Leben selbst in die Hand nehmen – noch helfen ihm Menschen wie Karin Hessel.

Markus will nicht nur das Bett selbst machen, sondern auch sein Leben selbst in die Hand nehmen – noch helfen ihm Menschen wie Karin Hessel.

Foto: Evers

Ein Gast ist da. Markus S. übernimmt die Bewirtung. Erst Tassen, dann Zucker und Milch, am Schluss der Kaffee. Markus konzentriert sich. Das Ganze fordert seine volle Aufmerksamkeit. Aber er denkt weiter: "Möchte jemand Tee?" Dann würde er welchen machen. Obwohl ihn das sicher anstrengt. Aber: Markus S. kriegt das hin, jetzt kriegt er es wieder hin.

Im Leben von Markus S. lief nicht immer alles rund. Jetzt lebt er in einem Wohnhaus des LVR-HPH-Netz Niederrhein. Markus fühlt sich da wohl, irgendwie. Aber das Ziel ist doch klar: Raus aus der "Rund-um-Begleitung", lieber rein in betreute Wohnen. In eine WG mit anderen Behinderten oder vielleicht sogar in die eigeneWohnung, mit ambulanter Unterstützung durch Fachleute.

Ob das geht? Markus kann es ausprobieren. Aber nur deshalb, weil das LVR-HPH-Netz Niederrhein das Haus Hevelingstraße 220 als Pilotprojekt führt. Dessen Projektleiterin Karin Hessel sagt: "Schwerpunkt ist hier die Vorbereitung auf das Ambulant Betreute Wohnen für Menschen mit hohem Hilfebedarf, die teilweise schon in der eigenen Wohnung gescheitert sind, aber mit passgenauer Unterstützung und gezieltem Training gute Perspektiven auf einen zweiten Anlauf haben." Raus also aus der "Vollzeitbetreuung" und hin zu mehr Selbstständigkeit, Selbstbestimmung?

Das bedeute vor allem, die Menschen, die hier wohnen, stabilisieren. "Denn sie haben fast alle einen hohen sozialen Integrationsbedarf. Das Haus also gleichsam ein Sprungbrett? Ja, so könne man es bezeichnen, sagt Karin Hessel. Wie den Absprung schaffen? Und, auf der anderen Seite, es nicht als Scheitern erleben, wenn es doch nicht klappt mit der Selbstständigkeit, der ambulanten Betreuung.

Eines ist kurz nach Projektstart jetzt schon klar: Bedarf für dieses Sprungbrett gibt es. Viel früher als erwartet, war das besondere Trainingshaus für das Ambulant Betreute Wohnen "ausgebucht", die volle Bewohnerzahl von acht erreicht. Die Ziele für jeden Bewohner sind individuell gesteckt. Maximale Förderung ja — "Zwang" zur weitergehenden Selbstständigkeit nein. Damit keiner das Gefühl des Versagens bekommt.

Markus S. jedenfalls macht klar: Er fühlt sich pudelwohl hier. Und er macht deutlich: Ja, er könne sich gut vorstellen, nochmal von der Hevelingstraße ins betreute Wohnen umzuziehen. Trotz aller gesundheitlichen Probleme hat er Mut. Er möchte sich selbst etwas dazu verdienen. Zeitungen austragen. Geübt hat er die Wegstrecken schon.

(RP/rl)
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