Goch/Kleve Der Region gehen die Ärzte aus

Goch/Kleve · Kinderärzte nehmen keine neuen Patienten mehr auf, bei Fachärzten muss man monatelang auf einen Termin warten.

Goch/Kleve: Der Region gehen die Ärzte aus
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Der Ärztemangel im ländlichen Kreis Kleve spitzt sich dramatisch zu. Die Auswirkungen für die Patienten sind schon jetzt eigentlich nicht mehr hinnehmbar: Arzttermine sind teilweise gar nicht mehr oder wenn, dann nur mit ganz erheblichen Wartezeiten zu bekommen. Und die Prognosen für die weitere Entwicklung lassen noch Schlimmeres Befürchten: Der Altersdurchschnitt der Allgemeinärzte erhöht sich immer weiter, für viele Praxen ist weit und breit kein Nachfolger in Sicht. Die Situation ist mehr als problematisch, darin waren sich die Vertreter von Ärzteschaft, Krankenkasse und Patienten bei der Zukunftswerkstatt einig.

Die "Elterninitiative Kleve - Mehr Kinderärzte für den Kreis Kleve" hatte bereits vor zwei Jahren eine Evaluationsstudie zum Mangel an Kinderärzten im Kreis Kleve durchgeführt. Das Ergebnis: Die meisten Kinderärzte (70 Prozent) sind so überlastet, dass sie keine neuen Patienten mehr aufnehmen - Aufnahmestopp. Kinder, die bereits in der Patienten-Kartei sind, müssen auf einen Arzttermin eine bis drei Wochen warten.

In den vergangen zwei Jahren habe sich die Situation eher noch verschlimmert, sagte Kinderarzt Wolfgang Brüninghaus aus Kleve. "Die ärztliche Versorgung wird spürbar schlechter", betont Brüninghaus, der sich auch stark für die Elterninitiative engagiert. "Es gibt hier Kinder, die kein Arzt mehr behandelt, wenn es sich nicht um einen Notfall handelt", so Brüninghaus. Er selbst habe noch nicht einmal mehr Kapazitäten für Kontrolltermine. "Hinzu kommt, dass sich die Altersstruktur der Ärzte dramatisch verschlechtert. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) bemüht sich, das zu verschleiern, obwohl sie gemeinsam mit der Politik hauptverantwortlich ist", sagt der Kinderarzt.

Die absurde Situation: Aus Sicht der KV ist der Kreis Kleve überversorgt, hat also weit mehr Ärzte (126 Prozent), als notwendig für eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung seien. Brüninghaus kann da nur den Kopf schütteln. "Tatsächlich haben wir eine massive Unterversorgung. Im Mittelwert beträgt der Versorgungsgrad gerade einmal 50 Prozent, bei den Hausärzten 75 Prozent", hat Brüninghaus gemeinsam mit der Elterninitiative festgestellt. Und weiter sagte Brüninghaus, dass die zitierten Versorgungsgrade die in den Bedarfsplanungsrichtlinien festgelegten Grenzen zur Feststellung einer Unterversorgung seien. Brüninghaus: "Der aktuelle Versorgungsgrad bei Kinderärzten für den Kreis Kleve liegt ungeachtet der schlechten Versorgung bei über 120 Prozent, solange er nach den Vorgaben der Bedarfsplanung des Gemeinsamen Bundesasschusses berechnet wird. Insofern ist die KV-Nordrhein auch über jede Menge Schatten gesprungen, als sie für Kleve nun die Sonderbedarfszulassung für einen Kinderarzt beantragt hat."

Wolfram Althoff, Orthopäde und Vorsitzender der Ärztekammer Kreis Kleve, sieht ein weiteres Problem. "Selbst, wenn freie Sitze ausgegeben werden - wir kriegen unsere Hausarztsitze nicht mehr verkauft", sagt er. Pascal Wieners von der AOK Rheinland bestätigt das: "Es gibt 29,5 offene Sitze für Allgemeinmediziner im Kreis Kleve." Althoff fordert: "Wir müssen die Strukturen ändern." Dabei denkt er an die Errichtung von so genannten Medizinischen Versorgungszentren (MVZ). Hier arbeiten mehrere Ärzte in einem Haus und teilen sich eine Verwaltung. "Das können entweder Ärzte, die sich zusammenschließen, Investoren oder Krankenhäuser machen", so Althoff. Jürgen Franken, Vorsitzender der SPD-Kreistagsfraktion, könnte sich auch vorstellen, dass Gemeinden oder der Kreis Kleve diese Aufgabe angehen. Pascal Wieners sieht in den MVZ "die einzige Lösung für den Ärztemangel. Der Trend geht dazu, diese an Krankenhäuser anzudocken."

Anne Deckers befürchtet, "dass eine Klagewelle von Versicherten auf die Krankenkassen zurollt, falls sich nicht etwas am Ärzte- und Terminmangel in unserer Region ändert". Patienten hätten schließlich einen Anspruch, vernünftig medizinisch versorgt zu werden.

Jürgen Franken schlägt vor, falls der Kreis nicht tätig wird, die Hochschule Rhein-Waal ins Boot zu holen. "Vielleicht kann man eine medizinische Fakultät einrichten, um angehende Ärzte hierhin zu holen", schlägt Franken vor. Brüninghaus denkt eher an eine großpolitische Lösung: "Wer als Landarzt arbeitet, darf keine Fallobergrenze haben. Auch die Budgetgrenze muss dann wegfallen."

Fest steht: Wenn sich nichts ändert, werden auf Patienten lange Fahrtwege zukommen.

(RP)
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