"Voll ist out!" Experten zur Suchtprävention in Gocher Schulen

Alljährlich klärt die Fachstelle für schulbezogene Jugendsozialarbeit unter anderem über die Gefahren des Alkoholkonsums auf. Wichtig dabei: nicht verteufeln, sondern aufklären!

 Die Sache mit der Körperkontrolle ist gar nicht mehr so einfach, wenn der Rausch - hier simuliert mithilfe einer Spezialbrille - erst einmal einsetzt.

Die Sache mit der Körperkontrolle ist gar nicht mehr so einfach, wenn der Rausch - hier simuliert mithilfe einer Spezialbrille - erst einmal einsetzt.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Vom Partysäufer zum Pampersträger sind es oft nur wenige Schlücke. Denn auf den Vollrausch folgt so manches Mal der vollständige Kontrollverlust über sämtliche Körperfunktionen. So hilft vielen Opfern einer Alkoholvergiftung unmittelbar danach nur noch die Windel in Größe XXL. Für einen Jugendlichen nicht unbedingt ein Kleidungsstück, mit dem sich in der Schulhofhierarchie punkten lässt.

 Zum Abschluss geht es für die Schüler ins Astra. Hier erklärt Thomas Witte (rechts) unter anderem die Rauschbrillen.

Zum Abschluss geht es für die Schüler ins Astra. Hier erklärt Thomas Witte (rechts) unter anderem die Rauschbrillen.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Natürlich führt nicht jede Flasche Bier oder jedes Glas Wein zwangsläufig zum Komasaufen, doch dass es generelle Gefahren beim Umgang mit der Volksdroge Nummer eins zu berücksichtigen gibt, kann jungen Menschen nicht anschaulich genug vermittelt werden.

Nicht mahnen, sondern aufklären

Und genau darum geht es den Mitarbeitern der Fachstelle für schulbezogene Jugendsozialarbeit in Goch. Veranschaulichen wollen sie, zeigen, demonstrieren, einbinden. Nicht etwa mit dem pädagogisch erhobenen Zeigefinger wedeln, sondern Suchtgefahren (be)greifbar machen. "Unser Ziel ist es, vereinfacht gesagt, dass die Schüler sich Gedanken über das Thema machen", fassen die Mitarbeiter der Fachstelle das Konzept zusammen.

Gemeinsam geht das Team bestehend aus Daniela Kösters, Regina Reuter-Treeck, Joana Borgmann, Markus Scholz und Thomas Witte Jahr für Jahr in die 8. (oder 9.) Klassen der St. Martin Hauptschule in Pfalzdorf, der Gustav-Adolf-Hauptschule und der Pestalozzi-Förderschule und führt das Projekt "Voll ist out" durch. Entstanden im Jahr 2007 geht es hierbei darum, den Schülern — nicht zufällig immer rund um die Karnevalszeit — "nicht etwa Abstinenz zu predigen, sondern sie vielmehr für das eigene Trinkverhalten zu sensibilisieren", so Daniela Kösters.

Ein Konzept, das, so zeigen es die Erfahrungen der letzten Jahre, aufgeht. "Das Feedback ist durchweg positiv", bestätigt Regina Reuter-Treeck. Viele Redensarten rund um das Thema Alkohol klingen zwar verharmlosend, wie zum Beispiel "einen über den Durst trinken" oder "zu tief ins Glas schauen", doch wenn sich die Jugendlichen unter professioneller Anleitung eingehender damit beschäftigten, seien sie schnell beeindruckt. So komme es, dass während des Projekts oft Geschichten zu Tage treten, die fernab von der üblichen pubertären Prahlerei beeindruckende Erkenntnisse fördern. Auf beiden Seiten übrigens, im Austausch.

Start mit dem "Suchtsack"

"Voll ist out" gliedert sich in mehrere Einheiten. Den Einstieg bei den im Durchschnitt 14 bis 15-Jährigen macht der sogenannte "Suchtsack". In ihm finden sich Gegenstände, die sich mit verschiedenen Gebieten der Sucht auseinander setzen. Ein Katalog steht für Kaufsucht, ein Joint für Rauschgifte, außerdem sind noch Zigaretten, eine Bierflasche und andere Dinge im "Suchtsack" zu finden. Ein ganz allgemeiner Start in das Thema Suchtprävention also, der oft schon zu ersten aussagekräftigen Reaktionen bei den Beteiligten führt und die jeweiligen Mitarbeiter der Fachstelle mit den Schülern unverfänglich ins Gespräch bringt.

Ist diese erste Hürde genommen, folgen weitere Einheiten, die die Kommunikation miteinander zum Ziel haben. Dazu gehören beispielsweise eine Art Fernseh-Quiz zum Mitmachen, ein Besuch des Kommissariats Vorbeugung (wo den Heranwachsenden auch die rechtlichen Folgen erläutert werden) oder die Erstellung eines anonymen Konsumprofils.

Ebenfalls ein wichtiger Bestandteil des Projekts ist der Besuch in der Cannabis-Ambulanz und die Kombinations-Einheit aus Rollenspiel und dem Bericht des ehemals alkoholabhängigen Norbert Bergmann ("Freundeskreis Goch"). Insbesondere seine Geschichte zeige jedes Mal besondere Wirkung auf die Schüler. Wie kein Zweiter verstehe es der Mann, der erst durch eine Therapie seine Sucht in den Griff bekam, die Gefahr, die vom Alkoholkonsum ausgeht, zu erklären. "Seine Berichte sind immer wieder sehr ergreifend für die Schüler, weil sie so authentisch sind", berichtet Witte. Häufige Reaktionen seien dann Fragen wie "War das wirklich so? Waren die Freunde dann tatsächlich auf einmal alle weg". Und Bergmann bestätigt dann die bittere Wahrheit: Ja, so war es.

Und trotzdem ist es den Verantwortlichen wichtig, dass der Alkoholkonsum nicht per se verteufelt wird, sondern sogar Bergmann selbst sagt "Ich gönne es jedem!" Aber eben in Maßen und mit geschärftem Bewusstsein.

Wenn dieses Prinzip dann greift, erleben die Jugendsozialarbeiter immer wieder, dass spätestens hier eine Veränderung bei den Schülern eintritt. Selbst die notorischen Angeber sinken dann regelmäßig eine Etage tiefer auf ihren Stühlen und zeigen Wirkung. Schlagartig ernüchtert.

Abschluss im Astra

Den Abschluss des "Voll ist out"-Programms bildet stets das allseits beliebte "Highlight" im Astra: Hier sind verschiedene Stationen aufgebaut, an denen die Schüler sich ausprobieren und spielerisch den Ernst des Themas erfassen können. Zum Beispiel gibt's alkoholfreie Cocktails, einen Internetraum mit vielen, vielen Informationen und einen Parcours mit Rauschbrillen. Letzteres klingt zunächst lustig, ist aber vor allem eines: lehrreich. Denn Pampers und ein berauschter Blick sind ebenso out wie das Vollsein.

(RP)
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