Goch Mangelerscheinung Kinderärzte

Goch · Seit Jahren gibt es im Kleverland zu wenig Fachärzte für Kinder und Jugendliche. Die Probleme werden sich verschärfen. Zwei Mediziner in Kleve werden in absehbarer Zeit in den Ruhestand gehen. Nachfolger sind nicht in Sicht.

 Dr. Wolfgang Brüninghaus hört den Brustkorb von Elias ab. Mutter Christin Welke und Schwester Sofie schauen zu.

Dr. Wolfgang Brüninghaus hört den Brustkorb von Elias ab. Mutter Christin Welke und Schwester Sofie schauen zu.

Foto: eve

Beate Kohl wohnt in Mehr. Sie hat zwei Kinder im Alter von fünf und anderthalb Jahren, die wegen schwerer Erkrankungen einmal in der Woche zum Arzt müssen. In Kleve fand sie keine Praxis, die ihre Kinder aufnehmen konnte. Es gibt einen Aufnahmestopp. Auf Nachfrage bei der Krankenkasse wollte diese wissen, wie weit sie denn bereit wäre zu fahren: Bis Bocholt, Geldern oder darüber hinaus? Sie ging in die Notambulanz des Krankenhauses, wechselte ständig den Arzt. Das bittere Ergebnis: Bei ihrem Sohn verschlimmerte sich der Gesundheitszustand. Ein Beckenschiefstand und eine Nackenblockade wurde aufgrund des ständigen Arztwechsels nicht erkannt.

Dr. Wolfgang Brüninghaus (61) kennt diese Fälle. Er ist seit 29 Jahren Kinder- und Jugendarzt in Kleve. Und er ist es gerne. Bislang jedenfalls. Doch trübt sich die Freude seit Jahren immer mehr ein. Was die Situation der kinderärztlichen Versorgung in Kleve betrifft, so ist der Zustand nicht mehr zu verantworten. "Hier rufen pausenlos Mütter an, die tränenüberströmt nach einem Termin für ihr Kind fragen. Ich kann sie nicht annehmen, da ich sie nicht versorgen kann. Das macht keine Freude", sagt Brüninghaus.

Sein Urteil über die Verteilung von Fachärzten fällt eindeutig aus. "Seit Jahren läuft bei den Planungen einiges schief", sagt der 61-Jährige.

Die Situation in Kleve wird sich zudem weiter verschärfen. So gibt es in der Kreisstadt mit Dr. Peter A. Soemantri, Dr. Wolfgang Aschenbrenner und eben Brüninghaus noch drei Facharztpraxen, die Kassenpatienten behandeln. Doch sind Soemantri und Brüninghaus mittlerweile auf der Zielgeraden ihrer beruflichen Laufbahn. Ihre Praxen werden bald schließen. Nachfolger? Nicht in Sicht. Das Problem der Versorgung ist nicht gestern aufgetreten. Seit 25 Jahren gibt es auf dem Gebiet zu wenig Fachärzte.

Die Auswirkungen der katastrophalen Situation sammelt Katja Beermann. Sie engagiert sich bei der Initiative "Ärztemangel - nicht mit uns!" Seit Februar gibt es die Gruppe. Die bittere Ausbeute seitdem: Ordnerweise Fälle, die auf die unerträgliche Situation hinweisen.

Eine Mutter schildert ihr Schicksal nach ihrem Umzug nach Kleve. Ihr erster Sohn, der nach der Geburt wochenlang auf der Intensivstation lag, muss regelmäßig untersucht werden. In Kleve wurde sie von allen Praxen abgelehnt. Ihre Krankenkasse suchte im Umkreis von 50 Kilometern nach einem Mediziner. Ohne Erfolg. Jetzt fährt sie mit ihren beiden Kindern seit knapp vier Jahren 100 Kilometer zum Kinderarzt.

Ländlichen Regionen, so erklärt Brüninghaus, würden gemessen an der Einwohnerzahl wesentlich weniger Ärzte zugeteilt als Großstädten. So habe etwa Düsseldorf 40 Prozent mehr Mediziner in allen Facharztbereichen als Kleve. Begründet wird die gute Ausstattung der größeren Städte damit, dass diese die umliegenden Kommunen mitversorgen. Brüninghaus sagt dazu: "Keine Frage. Die Klever setzen sich bestimmt gerne in den Zug und lassen ihre Kinder in Düsseldorf behandeln." Die Situation in Kleve führt dazu, dass die Schlagzahl der Behandlungen ständig am oberen Limit liegt. "In Düsseldorf ist eine Schließung einer Praxis zu verkraften, da andere die Patienten auffangen. Hier stehen sie auf der Straße", sagt Brüninghaus. Wenn die Mutter mit ihrem Kind den Weg ins Behandlungszimmer geschafft hat, halten sie sich in der Regel dort fünf Minuten auf. Genau das ist die Taktung in der Notfallsprechstunde. Brüninghaus versorgt in der Grippezeit 80 bis 100 Patienten täglich. "Ich habe mal probiert, die Zeit auf vier Minuten zu reduzieren. Das klappt nicht. Was ich hier mache, das ist Akkordarbeit vom Feinsten", sagt der Mediziner.

Nach Ansicht der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein, die die medizinische Versorgung organisiert, gibt es im Kreis Kleve kein Problem. Dass die Situation in Kleve als problematischer eingestuft wird, zeigt, dass es ein Gespräch zu diesem Thema bei der KV geben wird. Landrat Wolfgang Spreen will teilnehmen, um über die Versorgungsprobleme zu sprechen. Dass sich Spreen gerade jetzt um eine Verbesserung bemüht, könnte an der bevorstehenden Landratswahl liegen.

Für Wolfgang Brüninghaus ist klar, wo man ansetzen muss, um die fatale Situation zu verbessern. "Die Politik ist gefragt und die Bürger dürfen sich das nicht gefallen lassen", sagt der 61-Jährige. In Kleve würden die Versicherten 100 Prozent Beitrag zahlen und dafür nur 60 Prozent Leistung erhalten. "Die gute Versorgung - etwa in Düsseldorf - bezahlen die Klever. Mit welcher Begründung?", fragt Brüninghaus. Eine Antwort kennt auch er nicht.

(RP)
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