Goch/Kevelaer Neues Gesetz entlastet Angehörige kaum
Goch/Kevelaer · Im Januar ist der Erlass, der Angehörige von Pflegebedürftigen besser unterstützen soll, in Kraft getreten. Doch er wird nur zögerlich umgesetzt. Um der Realität gerecht zu werden, müsse noch viel getan werden, so Experten.
Angelika Fedke bricht die Debatte um das neue Pflegestärkungsgesetz auf einen einzigen Satz herunter. "Was ist uns der alte Mensch wert?", fragt die Leiterin des Katharinenhauses in Winnekendonk. Ihre Antwort bleibt sie schuldig, aber aus ihrer Stimme klingt heraus: bislang offensichtlich nicht viel. Rund 40 Bewohner betreuen sie und ihre Mitarbeiter in dem kleinen Altenheim am Pastoratsweg. Das im Januar in Kraft getretene Pflegestärkungsgesetz verspricht eine Aufstockung um bundesweit 20 000 Pflegekräfte. 45 000 wären es dann. "Man will den pflegebedürftigen Menschen mehr Begleitung zugestehen", sagt Fedke - und wenn es nur Hilfe beim Essen sei. Eine dieser zusätzlichen Kräfte beschäftigt sie seit Anfang Januar. Das reiche nicht aus, weder in Winnekendonk noch woanders. "Es müssten viel mehr Pflegekräfte und damit mehr Zeit da sein", findet sie.
Davon sollen durch den Erlass vor allem Angehörige von Pflegebedürftigen mehr bekommen. Umgesetzt wird das in finanziellen Leistungen. Menschen, die eine eingeschränkte Alltagskompetenz wie etwa bei Demenz aufweisen, erhalten nun monatlich 208 Euro von der Pflegeversicherung für soziale und hauswirtschaftliche Leistungen von Pflegediensten. Aufgestockt wurde dieser Betrag um 104 Euro, was nun auch niederschwelligen Pflegebedürftigen, die vorher nichts bekommen haben, monatlich zusteht.
Viel sei das nicht, gibt Anna Steufkens zu, die einen ambulanten häuslichen Pflegedienst in Kevelaer leitet. "Aber das ist hier mal ne halbe Stunde und da mal ne halbe Stunde", sagt sie. Und genau das sei Ziel des Gesetzes: Dass sich die Angehörigen von pflegebedürftigen Menschen Freizeit beziehungsweise Betreuungsstunden "kaufen", formuliert es Regina Schüren vom Caritasverband Geldern-Kevelaer. Bislang sei es so gewesen, dass das Geld, welches Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz erhalten haben, kaum reichte, erklärt die Leiterin des Fachbereichs Pflege und Hilfe zu Hause. Die Pflegedienste hätten etwa beim Duschen geholfen, beim Wäschewaschen und seien einkaufen gegangen. "Aber damit war das Budget häufig schon ausgeschöpft", sagt Schüren. Mit der Erhöhung der finanziellen Unterstützung sollen Angehörige nun unter anderem Aufgaben wie etwa das Abholen und Einlösen von Rezepten an Pflegedienste oder Privatpersonen abgeben können.
Während Steufkens überzeugt davon ist, dass dieses neue Angebot gut angenommen und vor allem auch von den Angehörigen ihrer pflegebedürftigen Kunden in Anspruch genommen wird, hagelt es von Schüren Kritik. "Viele wissen einfach nicht, welche Leistungen sie in Anspruch nehmen dürfen", sagt die Caritas-Mitarbeiterin. Wer seine Angehörigen alleine zu Hause versorge und keinen pfiffigen Pflegedienst an seiner Seite habe, erfahre von den neuen Möglichkeiten häufig nicht. Außerdem: "Die Bürokratie-Hürden sind zu hoch", meint Schüren. Bislang seien drei Anträge notwendig, um alle Leistungen, die einem Pflegebedürftigen und seinen Angehörigen zustehen, zu bekommen: für die Pflegestufe, für Unterstützungsleistungen und für die nun ausgebaute sogenannte Verhinderungspflege. "Das sollte man in wenigen Schritten einfach abrufbar machen", fordert Schüren. Noch in dieser Legislaturperiode ist ein zweites Pflegestärkungsgesetz geplant. Darin sollen der Begriff der Pflegebedürftigkeit und das Begutachtungsverfahren überarbeitet werden.
Richtig gut sei die Pflegesituation durch die Reform nicht geworden, sagt auch Sylvia Albert, Leiterin des Sozialen Dienstes im Altenheim St.-Elisabeth-Stift, aber "besser". Für ihre Bewohner habe sie die nötigen Anträge bereits gestellt und ab März zu den vier bestehenden zwei zusätzliche Pflegekräfte für die 81 Senioren eingestellt. Als "minimal" bezeichnet Katharinenhaus-Leiterin Fedke dagegen den finanziellen Mehrbetrag für Angehörige. "Menschen mit Demenz kann man praktisch nicht alleine lassen. Was bringen den Angehörigen da zwei Stunden pro Woche?", fragt sie.
Ihr Blick in die Zukunft ist alles andere als optimistisch. "Der demografische Wandel passiert, und auch die Demenzkranken werden immer mehr", sagt sie. "Wenn die Politik das nicht endlich erkennt, kommt eine große Katastrophe auf uns zu."