Goch/Kleve Schützenbrüder auf dem Rückzug

Goch/Kleve · Eine sich verändernde Gesellschaft trifft die Schützen mit voller Wucht. Die Vereine klagen über fehlenden Nachwuchs. Bruderschaften melden sich ab, Tradition geht verloren. Das Leben in Ortsteilen wird ärmer.

 Der große Schützen-Umzug anlässlich der Gocher Kirmes durch die Innenstadt gilt als ein Höhepunkt des Volksfestes. Das Foto zeigt den Umzug aus dem Jahr 2014.

Der große Schützen-Umzug anlässlich der Gocher Kirmes durch die Innenstadt gilt als ein Höhepunkt des Volksfestes. Das Foto zeigt den Umzug aus dem Jahr 2014.

Foto: Gottfried Evers

Er ist reich an Tradition und Mitgliedern. Seit 106 Jahren gibt es den Schützenverein Kleve-Kellen. "Wir hatten in unserer Historie immer einen König", sagt Präsident Thomas Rehm (53) und ergänzt: "Nur im Krieg nicht." Seit einigen Monaten muss Rehm jetzt korrekt formulieren: "Nur im Krieg und 2014 nicht." In Kellen wollte im vergangenen Jahr keiner den Vogel runterholen. Und das bei 500 Mitgliedern. Die Kette für den König liegt jetzt im Tresor - zusammen mit der Hoffnung, dass sie in diesem Jahr wieder von einem treffsicheren Kellener getragen wird.

"Das Schützenwesen verliert an Bedeutung", stellt der Präsident ernüchternd fest. Wenn sich Nachwuchs dem Verein anschließt, dann sind es in erster Linie Kinder oder Jugendliche der noch aktiven Vereinsmitglieder. Etwa die Hälfte der 500 Kellener Schützen ist älter als 65 Jahre. Als Thomas Rehm in den Schießklub eintrat, war er zwölf Jahre. Für ihn zählen Schützenfest mit Kirmes sowie Karneval immer zu den Höhepunkten des Jahres. "Es wird immer schwerer, Leute für diese Tradition zu begeistern. Wenn die Entwicklung so anhält, werden wir bald auf einige Veranstaltungen komplett verzichten müssen", sagt Rehm. Als sein Vorgänger als Präsident mit einem Zapfenstreich verabschiedet wurde, kamen nur 80 Mitglieder. Während Kellen auf 106 Jahre zurückblickt, sind es bei den St.-Antonius-Schützen Hönnepel in diesem Jahr 625. Ein stolzes Jubiläum. Harry Hermann (68) ist Mitglied der Bruderschaft und Bezirksbundesmeister im Bezirksvorstand der Historischen Schützen. Für ihn ist die Schwierigkeit, Könige zu finden, nur ein Zeichen, wie es um das hiesige Schützenwesen bestellt ist. "Ob Qualburg, Kellen, Kalkar - die Vereine mit einem Mangel an Majestäten werden mehr. Aber auch die Fusionen nehmen zu", sagt Hermann. Das sind existenzverlängernde Maßnahmen. Man weiß nicht für wie lange.

Die nächste Stufe in dem an Bedeutung verlierendem Schützenwesen ist bereits erreicht: Jetzt lösen sich Vereine mangels Masse auf. "Die Schießabteilung beim BSV Pfalzdorf gibt es nicht mehr. Die haben sich dem Schützenverein angeschlossen", sagt Hermann. Grund dafür sind die klassischen Probleme: immer weniger Schießbrüder, wenig Interesse an der Vorstandsarbeit, kein Nachwuchs. Horst Appenzeller (65) ist Vorsitzender des Pfalzdorfer Vereins, der die übriggebliebenen BSV-Mitglieder aufgenommen hat. "Gekommen sind vier Mann. Zwei knapp 70-Jährige und zwei Männer Mitte 30. Mehr waren es nicht", sagt der 65-Jährige. Auch in Pfalzdorf besitzt das Schützenwesen mittlerweile keine großen Popularitätswerte mehr, weiß Appenzeller, der erklärt: "Wenn Jugendliche etwas von Schützen hören, zucken die zusammen." Den Höhepunkt des Jahres beschreibt der Pfalzdorfer Schützenchef sehr nüchtern: "Da stehen knapp 40 Vereinsmitglieder auf einer Wiese und zielen auf den Vogel. Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist auch nicht mehr groß. Da heißt es in der Regel, wenn einer König wird, 'da haben sie wieder einen Dummen gefunden'."

Das Thema Fusion hat sich in Kranenburg bereits erledigt. Der Schützenverein Kranenburg-Scheffenthum 1923/1928 ist 2005 aus einer Verschmelzung des Schützenvereins Kranenburg und dem Bürgerschützenverein Scheffenthum-Kranenburg hervorgegangen. Einer, der die Entwicklung des traditionsreichen Wesens in Kranenburg hautnah erlebt hat, ist Manfred Janssen (60). Der Kranenburger führte 17 Jahre einen Verein und ist jetzt Ehrenvorsitzender. Für ihn ist das Problem der Schützenklubs ein gesellschaftliches. "Das Vereinsleben allgemein wird ruhiger. Man findet keine Leute mehr, die einen Job übernehmen. Schon für die eigenen Veranstaltungen ist es schwer, die Mitglieder zu aktivieren", sagt Janssen. Derzeit gehören Kranenburg-Scheffenthum 250 Schützen an. Tendenz leicht fallend. "Mit Werten wie Tradition oder Heimat können die wenigsten noch etwas anfangen", erklärt der 60-Jährige. Das Problem "Kein König in Kranenburg" gab's an der Grenze bislang noch nicht. Dafür werden jedoch mit ein paar Jahren Abstand alte Könige noch einmal frisch gekürt.

Der Weg der Schießbrüder scheint vorgezeichnet. Sie befinden sich auf dem Rückzug. Bestandteile ihres Leitgedankens "Glaube, Sitte, Heimat" sind ebenso wenig populär wie das Vorhaben, den Vogel herunterzuholen. So gilt zumindest für einige Vereine der Region bereits jetzt: Der König ist tot.

(RP)
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