Grevenbroich Eine Kämpferin für das Familienwohl

Grevenbroich · Als Richterin am Amtsgericht kümmert sich Ursula Havertz-Derichs vornehmlich um Scheidungen, Unterhalts- und Sorgerechtssachen.

 Freitags hat Ursula Havertz-Derichs Sitzungstag. In Saal 110 werden jedes Jahr hunderte Ehen geschieden - aber manchmal auch wieder gekittet.

Freitags hat Ursula Havertz-Derichs Sitzungstag. In Saal 110 werden jedes Jahr hunderte Ehen geschieden - aber manchmal auch wieder gekittet.

Foto: L. Berns

Mehrere hundert Ehen hat Ursula Havertz-Derichs in den vergangenen sechs Jahren, seit sie als Familienrichterin am Amtsgericht Grevenbroich tätig ist, geschieden. Das heißt: hunderte Male Streit um die Kinder, Knatsch ums Geld, ums Haus, um die gemeinsam gekaufte Couch, die 70er-Jahre-Schallplatten-Sammlung und die sündhaft teure Espresso-Maschine mit automatischem Milchaufschäumer.

Mehrere hundert Mal hat die 55-Jährige den Traum von der ewigen Liebe direkt vor ihren Augen zerplatzen sehen. "Manche lernen während so eines Scheidungsverfahrens aber tatsächlich auch, sich zusammenzuraufen", sagt die 55-Jährige. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte die Familienrichterin einen solchen Fall. "Der Scheidungstermin war anberaumt, die beiden Noch-Eheleute saßen im Saal, doch einer der Anwälte kam nicht, weil er den Termin vergessen hatte", erzählt Havertz-Derichs. "Ich hatte den Raum kurz zum Telefonieren verlassen - als ich zurückkam, unterhielt sich das zukünftige Ex-Paar und schaute Fotos. Beim nächsten Termin, sechs Wochen später, erschien dann der Anwalt alleine, und noch einmal drei Wochen später hatte ich die Rücknahme des Scheidungsantrags auf dem Tisch: Die beiden wollten es noch einmal miteinander versuchen."

Solche Erlebnisse gehörten zu den erfreulichen im Berufsalltag der Familienrichterin. Ansonsten ist es eher das Gegenteil von Glück, das den Arbeitstag der 55-Jährigen prägt. "Die Menschen, mit denen ich zu tun habe, sind immer psychisch belastet, selbst bei einer einvernehmlichen Scheidung", sagt Havertz-Derichs. "Und ja, selbstverständlich nimmt man das mit nach Hause, wenn viele Tränen fließen. Man hantiert schließlich mit dem Leben anderer Leute herum."

1066 Familiensachen sind im vergangenen Jahr beim Amtsgericht Grevenbroich in allen vier Familienabteilungen eingegangen, davon 269 Scheidungsverfahren. Abgesehen davon geht es um Unterhaltsangelegenheiten, die Regelung des Versorgungs- oder Zugewinnausgleichs, also die Klärung der Rentenanwartschaften und die Verteilung des während der Ehe hinzugewonnenen Vermögens, Wohnungsverweisungen zum Schutz vor häuslicher Gewalt, die Unterbringung von psychisch auffälligen Kindern in geschlossenen Einrichtungen und Adoptionen, unter anderem.

Kindschaftssachen, vor allem Sorgerechtsverfahren, gab es im Gerichtsbezirk Grevenbroich, Jüchen und Rommerskirchen 2015 insgesamt 264. Fälle, in denen Kinder massiv unter der Trennung der Eltern leiden, verfolgen die erfahrene Richterin, die selbst zweifache Mutter ist, manchmal bis in ihre Träume. "Der Kampf von Mutter und Vater wird ganz oft über die Kinder ausgetragen, weil sie der letzte gemeinsame Bezugspunkt sind", sagt Ursula Havertz-Derichs. "Dabei wissen viele nicht, dass Kinder ab drei Jahren vom Gericht persönlich angehört werden müssen."

Die Familienrichterin führt so ein Gespräch dann meist ohne Mutter, Vater oder Jugendamt, dafür aber mit einem pädagogisch geschulten Verfahrensbeistand. "Eltern machen sich gar nicht bewusst, wie viel auch sehr kleine Kinder schon mitbekommen und was für eine klare Meinung sie haben", sagt die 55-Jährige. "Das gibt in einem Verfahren dann oft auch den Ausschlag. Mein Ziel ist auf jeden Fall immer eine Einigung."

(NGZ)
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