Grevenbroich Ende-Gelände-Aktion - erster Freispruch

Grevenbroich · 2015 waren Aktivisten in den Tagebau Garzweiler eingedrungen. Das Amtsgericht Erkelenz hat gestern einen ersten Fall abgeschlossen. Dabei ging es auch um die Frage, ob ein auf dem Rücken getragener Strohsack als Waffe anzusehen sei.

Mit einem Freispruch für eine junge Frau aus Mainz endete am zweiten Verhandlungstag das Strafverfahren vor dem Amtsgericht Erkelenz, bei dem sie sich wegen Landfriedensbruchs und Verstoßes gegen das Vermummungsgebot verantworten musste. Die Frau hatte bei der Ende-Gelände-Protestaktion im August 2015 in einer Gruppe den Braunkohlentagebau Garzweiler II gestürmt und war deswegen vom Tagebaubetreiber RWE Power mit einer Strafanzeige bedacht worden. Doch nicht nur die Verteidigung, auch die Staatsanwaltschaft erkannte in der Protestaktion der Frau keine strafbare Handlung.

Er ist der erste Prozess, der mit einem Freispruch für eine Klimaaktivistin endete. Die bisherigen Verfahren wurden entweder eingestellt oder vertagt. Insofern gab es viel Beifall für das Urteil von den zahlreichen Sympathisanten, die die Angeklagte nach Erkelenz begleitet hatten.

Bereits am ersten Verhandlungstag war der Vorwurf des Landfriedensbruchs vom Gericht als nicht zutreffend bewertet worden. Es blieb eine Anklage wegen eines Verstoßes gegen das Vermummungsverbot und das Versammlungsgesetz, weil nach Auffassung der Staatsanwaltschaft ein auf dem Rücken getragener Strohsack als unzulässige Schutzwaffe anzusehen sei, durch die aktiv Widerstand gegen die Polizei durchgeführt werden könnten.

Doch ließ sich dieser Vorwurf am nunmehr zweiten Verhandlungstag nicht mehr halten, nachdem das Amtsgericht feststellte, der Angeklagten sei nicht nachzuweisen, sie habe diesen Strohsack mit Vorsatz als Waffe nutzen wollen. Zunächst hatte die Anklagevertretung eine Einstellung des Verfahrens angeboten, auf die sich die Verteidigung aber nicht einließ.

Die Klimaschützer und Tagebaugegner gehen inzwischen davon aus, dass bei RWE Power ein Strategiewechsel ansteht, um den Widerstand und die Protestaktionen, die es auch im kommenden August wieder bei "Ende Gelände" geben soll, zu unterbinden oder erschweren: Nachdem die anhängigen Strafverfahren bislang nicht zu Verurteilungen geführt hätten, setze das Unternehmen jetzt vermehrt auf zivilrechtliche Unterlassungserklärungen. Nachdem zahlreiche Betroffene Unterlassungserklärungen nicht oder abgeändert unterschrieben hätten, klage RWE Power nun die Unterschrift vor den Landgerichten ein, hieß es nach der Verhandlung in Erkelenz.

Bereits im vergangenen Jahr habe der Energiekonzern durch eine Anwaltskanzlei mehr als 100 Unterlassungsverpflichtungserklärungen an Aktivisten verschicken lassen. Darin sollten diese rechtlich bindend versprechen, jedes Betreten aller RWE-eigenen Anlagen inklusive Tagebaue und Rodungsflächen zu unterlassen.

RWE bezeichnete das Verschicken als "Deeskalation". Die Unterzeichnung sei "freiwillig", so zitierten die Aktivisten Stellungnahmen des Essener Energiekonzerns. Das Unternehmen wolle den Aktiven Geldstrafen ersparen und Strafbefehle zurückziehen. "Wenn ich mich weigere, die Unterlassungserklärung zu unterzeichnen, riskiere ich ein Zivilrechtsverfahren von mehreren Tausend Euro", erklärte dazu Dorothee Häußermann von der Aktion "Ende Gelände". "Es ist ein Witz, hier von einer 'freiwilligen' Unterschrift zu sprechen. Deeskalation geht anders." Auch ihr Strafverfahren vor dem Amtsgericht Erkelenz ist vertagt worden.

Derzeit seien insgesamt elf Personen von einer Klage betroffen. Im Falle einer Niederlage bei der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht könnten sich die Kosten pro Person bereits auf bis zu 8000 Euro belaufen. Diese entspringe dem von RWE festgelegten Streitwert der Verfahren. "RWE versucht alles, um unseren Protest mundtot zu machen", sagte Ende-Gelände-Aktivist Joachim Hesse gegenüber unserer Redaktion. Zur Unterstützung der direkt Betroffenen wurde die Kampagne "Kohle unten lassen statt Protest unterlassen" ins Leben gerufen.

(NGZ)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort